bist doch Jörgs Schwester«, meinte Bambi. »Dich kann er ja nicht heiraten.«
»Er wird sich Zeit lassen«, meinte Inge zuversichtlich.
»Die schöne Lou scheint ja schlecht geschlafen zu haben, wenn es sie so früh hinausgetrieben hat«, stellte Henrike fest.
»Wo wir ihr doch lauter Kletten unters Bettlaken gelegt haben«, versicherte Bambi strahlend. »Das wird ganz schön stachelig gewesen sein.«
»Das war aber doch nicht deine Idee«, sagte Inge entsetzt.
»Doch, das war meine Idee«, sagte Bambi entschieden, um jeden Verdacht von Hannes abzuwenden.
»Es war meine«, tönte dessen Stimme von der Tür her. »Bambi braucht sich nicht für mich opfern. Mensch, die hat vielleicht geflucht, als sie ins Bett gegangen ist! Aber ich habe mich taub gestellt, und Bambi hat zum Glück schon geschlafen. Und heute Morgen haben sich die beiden noch mal in die Haare gekriegt. Es war direkt schön. Hätte gerade noch gefehlt, dass sie uns unseren guten Kuchen wegisst.«
»Hannes!«, seufzte Inge erschlagen, aber ihr war es irgendwie doch wunderbar wohl.
»Ist das die ganze Strafpredigt?«, fragte er verblüfft.
Sie konnte ja nicht zugeben, dass er ihr aus der Seele gesprochen hatte. »Weil heute Sonntag ist«, sagte sie nur.
»Und weil wir sie los sind. Hoffentlich klaut sie Jörgs Wagen nun nicht auch noch.«
»Das wird sie wohl kaum nötig haben als Bankierstochter«, meinte Henrike anzüglich.
»Vielleicht ist sie bloß eine Angeberin«, äußerte er sich. »Ein feines Benehmen hatte sie jedenfalls nicht. Dass Jörg auf so was reinfällt, hätten wir uns auch nicht träumen lassen, nicht wahr, Mami?«
»Aber lasst ihn in Ruhe«, bat Inge. »Wenn man jung ist, macht man halt mal Fehler.«
»So blöd werde ich nicht sein«, versicherte Hannes. »Ich gucke mir die Mädchen genau an.«
Jedenfalls war der Sonntagsfrieden gerettet, denn keiner verlor mehr ein Wort über Lou. Alle waren sogar besonders nett zu Jörg, der in den Schoß der Familie zurückgekehrt war und sich verwöhnen ließ.
Als er drei Wochen später wiederkam, um an Sandra und Felix Münsters Hochzeit teilzunehmen, war Lou Ramin auch aus seinem Gedächtnis gestrichen. Nur eine Beule in seinem rechten Kotflügel erinnerte an sie.
»Nicht mal Autofahren konnte sie«, war Hannes’ Kommentar darauf. »Blödes Weib.«
*
Es war ein strahlendschöner Tag, an dem Sandra und Felix Münster heirateten. Sandra war eine wunderschöne Braut. Atemlos wurde sie von Manuel bestaunt. Jetzt konnte man auch Felix Münster nicht mehr ansehen, dass es vor zwei Tagen noch einen scheußlichen Auftritt mit seiner Schwägerin Ellen gegeben hatte, die nun aber endgültig aus ihrem Leben verschwunden war.
»Meine Mami, nun ist sie meine Mami«, stammelte Manuel und schmiegte sich in Marianne von Riedings Arm. »Und du bist meine liebe Omi«, versicherte er.
»Eine charmante Omi«, murmelte Carlo Heimberg, der neben Werner Auerbach Trauzeuge bei dieser Hochzeit war.
»Dich mag ich jetzt auch ganz gern«, erklärte Manuel großmütig.
»Das freut mich aber«, erwiderte Carlo lächelnd. »Wo ich doch auch fast ein Opa bin.«
Gerade noch zur rechten Zeit war Harald Herwig aus der Klinik gekommen. Wenn er auch noch am Stock gehen musste, im Rollstuhl brauchte er wenigstens nicht zu sitzen. Ulla stützte ihn auf der anderen Seite, und das ließ er sich anscheinend gern gefallen. Man konnte nur staunen, wie hübsch Ulla aussah in dem zartgrünen Chiffonkleid.
Henrike in schmeichelnder fliederfarbener Seide war für Fabian natürlich die Allerschönste. Und wer es bis zu diesem Tage noch nicht wusste, dass die beiden zusammengehörten, wurde jedem Zweifel enthoben.
Stella in maisgelbem Georgette und Jörg im funkelnagelneuen Smoking waren das dritte Paar. Sie wahrten jedoch Distanz, und als Jörg dem Mädchen höflich den Arm bot, zischte sie ihm leise zu: »Einzubilden brauchst du dir darauf nichts.«
Mit Hingabe streuten Manuel und Bambi Blumen, während Hannes und die Zwillinge nicht recht wussten, was sie nun eigentlich für Mienen zeigen sollten, gesetzte, würdige oder heitere.
Jedenfalls konnten sich auch ihre Eltern sehen lassen, und einstimmig herrschte unter den Zaungästen die Meinung, dass es eine solche Hochzeit in Hohenborn noch nicht gegeben hatte.
Aber die Krönung der kirchlichen Trauung und zugleich auch die größte Überraschung erlebten alle, als plötzlich eine glockenreine Mezzosopranstimme von der Empore tönte.
»Wo du hingehst, da will auch ich hingehn …«
Alle hielten den Atem an. Georgia Ullrich sang. Nicht Georgia Minetti, die Diva, sondern eine glückliche Frau, die alles in ihren Gesang legte, was ihr in diesen Wochen noch einmal geschenkt worden war. Und wohl noch niemals hatte Arnold Ullrich so hingebungsvoll der Stimme seiner Frau gelauscht, noch nie hatte Nonna solche Tränen des Glücks vergossen.
Die Zwillinge konnten nur staunen. Sie hatten bis zum heutigen Tage nicht erfahren, dass ihre Mutter wieder singen konnte. Wohlweislich hatte Georgia immer dann geprobt, wenn sie aus dem Haus waren, um nach ihrem Schatz zu graben, den sie bisher aber noch nicht gefunden hatten, obgleich Kasimir ihnen dabei half.
Inge, die mit Tränen in den Augen dieser herrlichen Stimme lauschte, war wohl die einzige, die sich schon vorher darüber hatte freuen können.
Welch eine begnadete Sängerin war sie doch! Doch fortan wollte sie ihre Stimme nur noch bei solchen Gelegenheiten in der Öffentlichkeit ertönen lassen. Sie hatte erkannt, dass ihr wahres Glück an der Seite ihres Mannes lag, dass ihre Familie auch ihr mehr bedeutete als der Ruhm.
Sandra und Felix blickten sich tief in die Augen. Für sie begann heute ihr gemeinsamer Lebensweg, mit der Gewissheit, dass nicht nur sie glücklich waren, sondern auch ein kleiner Junge, der nun endlich eine über alles geliebte Mami bekommen hatte.
Teta, Felix Münsters Haushälterin und Manuels geliebte mütterliche Freundin, die sonst so schweigsame, stammelte später immer wieder: »Dass ich das noch erleben durfte!« Doch dabei hoffte sie, noch viele Jahre mitzuerleben, was Erlenried und der Sonnenwinkel zu Füßen der Felsenburg noch an Glück zu bieten hatte. Dass auch das Leid nicht ausbleiben würde, daran wollte heute niemand denken.
Man feierte ja Hochzeit, und es war ein Tag, den kein Schatten trübte.
Selbstvergessen tanzten Felix und Sandra später ihren Brautwalzer, und als sie das Brautbukett in die Menge warf, wurde es nicht etwa von Ricky aufgefangen, sondern flog genau in Carlo Heimbergs Hand.
»Du liebe Güte«, murmelte Marianne von Rieding, »das lässt ja noch allerlei erhoffen.«
»Auch der Zufall ist nicht unergründlich«, erwiderte er rätselhaft, bot ihr den Arm, und führte sie auf die Tanzfläche.
»In zweihundertvierundfünfzig Tagen kann noch viel passieren«, raunte Fabian Ricky ins Ohr.
»Es werden aber immer weniger«, seufzte sie erleichtert.
»Und wir müssen zuschauen«, sagte Harald Herwig zu Ulla. »Aber auf der nächsten Hochzeit tanzen wir auch.«
»Halt mich gefälligst nicht so fest«, zischte Stella Jörg zu. »Ich kriege ja keine Luft.«
Hannes hatte andere Sorgen. Wehmütig betrachtete er seine beiden Freunde Dirk und Claas.
»Hoffentlich kommt ihr bald wieder«, murmelte er bekümmert in sich hinein.
»Wir sind ja noch da«, erwiderten sie tröstend.
»Und wir bleiben immer hier, nicht wahr, Manuel«, flüsterte Bambi glücklich und erleichtert, nicht fort zu müssen.
*
Acht