früh schon unterwegs, Betty, und bei dem schlechten Wetter? Du wirst dich erkältet haben, siehst elend und verfroren aus, Kind.«
Sie geht ihm entgegen und küßt ihn auf beide Wangen. Eine Welle der Zärtlichkeit überspült sie.
»Ich habe mich nicht erkältet, Papa. Nur eine wichtige Besorgung. Warum bist du nicht in der Fabrik? Führt dich etwas Besonderes zu mir?«
Rudolf Kröger geht einmal durch den geschmackvoll eingerichteten Raum. Schließlich macht er auf dem Absatz kehrt und sieht sie ernst an.
»Ich mache mir Sorgen um Jürgen, Kind. Er war wieder nicht in der Fabrik.« Bitter setzt er hinzu: »Wie so oft nicht! Was soll daraus werden? Er wirft das Geld mit vol-len Händen hinaus. Ich kann weder im Guten noch im Bösen etwas bei ihm erreichen. Rede du ihm doch einmal ins Gewissen.«
Beinahe hätte Bettina laut aufgelacht. Ausgerechnet sie, die selbst ein Spielball in seinen Händen ist. Sie beherrscht sich.
»Ich will es gern versuchen, Papa.« Sie zuckt die Schultern. »Ob es aber etwas nützt?«
»Als Jürgen dich damals ins Haus brachte, da hoffte ich, er würde sich ändern, würde sein liederliches Leben aufgeben. Zuerst hatte es auch den Anschein, doch er verfiel wieder in seine alten Fehler.«
Aufmerksam forscht er in ihrem schmal gewordenen Gesicht. »Er ist doch wohl gut zu dir, Kind?«
Sie schlüpft aus dem Mantel und legt Hut und Handschuhe auf den niedrigen Tisch.
»Doch, Papa, sehr gut«, lügt sie aus Rücksichtnahme. Dabei steigt es ihr heiß in die Kehle. Wie gern hätte sie sich alles Leid von der Seele gesprochen. Aber den Glauben an seinen Sohn kann sie ihm nicht rauben. Es genügt, wenn ihr Ideal zerbrochen am Boden liegt.
»Dann ist es gut, Betty. Andernfalls werde ich keinen Spaß verstehen.« Er sagt es grimmig, und sie erschrickt. Er wird doch nichts gemerkt haben?
Rudolf Kröger erhebt sich aus dem Sessel, in dem er Platz genommen hatte.
»Na ja, Kind, ich muß jetzt wieder rüber in die Fabrik. Auslandsbesuch hat sich angesagt. Jürgen weiß das. Er soll bei den Verhandlungen dabeisein. Vielleicht ist er schon drüben.« Er küßt Bettina zärtlich auf die Wangen. »Du machst mir einen erschöpften Eindruck. Willst du dich nicht hinlegen? Jetzt fällt es mir besonders auf.«
Sie lächelt ihm zu. »Sorg dich nicht, Papa. Mir geht es gut. Ich habe nicht besonders gut geschlafen. Das mag es sein.«
Sie reibt sich die blassen Wangen, um etwas Farbe zu bekommen. Vielleicht ist auch ihr Zustand mit schuld daran. Wie gern hätte sie es ihm gesagt. Aber dieses süße Geheimnis will sie vorläufig noch für sich behalten.
»Ich kann ja Mama einen Besuch machen. Zum Essen bin ich wieder da«, sagt sie, während sie ihn bis zur Tür begleitet. Er dreht sich rasch um.
»Bei dem Wetter, Betty? Hier ist es angenehm warm. Ruh dich aus. Wirklich, ich sorge mich um dich.« Er sagt es zärtlich und besorgt, und sie muß abermals die Tränen zu-rückhalten. Sie nickt.
Kaum ist sie allein, läßt sie sich in die Couchecke sinken. Das ist nun ihr Leben! Ein Komödienspiel, das all ihre Nerven auffrißt.
*
Gegen Mittag fährt Jürgen Kröger mit seinem Sportwagen vor dem Verwaltungsgebäude vor. Rudolf Kröger sieht ihn kommen. Er trommelt mit der Rechten nervös gegen die Fensterscheibe. Er muß noch eine Weile warten, ehe Jürgen bei ihm auftaucht.
»Setz dich, ich habe mit dir zu reden«, beginnt Kröger ohne Einleitung in scharfem Ton. Jür-
gen hebt die Schultern und setzt sich.
Rudolf Kröger räuspert sich. Seine Stimme klingt kalt.
»So geht das nicht weiter mit dir. Deine Bummelei habe ich gründlich satt.«
»Gott, Papa, ich habe Freunde und Bekannte. Ich habe gesellschaftliche Verpflichtungen. Manchmal wird es etwas spät, das gebe ich zu.« Er sagt das so leichthin, daß in Kröger kalte Wut aufsteigt.
»Und deine Frau? Nimmst du sie auch mit zu deinen Bekannten?«
»Bettina?« Er runzelt die Stirn. Sollte sie sich beschwert haben? Sollte sie der Grund dieser Auseinandersetzung sein? Selten, daß der Alte in diesem Ton mit ihm redet. »Du weißt ja selbst, daß sie sich nichts aus dem Rummel macht.«
»Wie soll das werden, wenn ich einmal nicht mehr bin? Willst du das, was mein Vater aufgebaut hat, und ich noch erweitert habe, zugrunde richten?«
Jürgen lacht belustigt auf. »Du wirst hundert Jahre alt bei deiner Vitalität.«
»Hör auf, Unsinn zu reden!« fährt Kröger seinen Sohn böse an. »Nimmst du überhaupt etwas ernst? Mir kann morgen schon etwas passieren. Ich habe nicht das ewige Leben gepachtet. Soll ich meine Augen für immer schließen mit dem Bewußtsein, hier geht alles drunter und drüber? Und Bettina wird mit hineingerissen in das Unglück, das ich jetzt schon kommen sehe.« Er erhebt seine Stimme, und Jürgen durchfährt es: »Das sage ich dir, und es ist mein voller Ernst, änderst du dich nicht, werfe ich dich aus dem Hause und aus der Fabrik. Für Bettina werde ich sorgen. Mag aus dir werden, was will. Mich soll es nicht mehr stören. Es ist die letzte Chance, die ich dir gebe.«
Rudolf Kröger kommt hinter seinem Schreibtisch hervor, während sein Sohn sich mit nervösen Bewegungen eine Zigarette anzündet.
»Und jetzt ist es Zeit, zum Essen zu fahren. Anschließend haben wir die Verhandlung mit den Holländern.«
Betreten folgt Jürgen seinem Vater nach Hause. Bettina wartet schon. Der Tisch ist wie immer mit aller Sorgfalt und Liebe gedeckt. Jürgen beugt sich zu Bettina hinab und will sie küssen. Schnell dreht sie das Gesicht zur Seite. So ein Heuchler, so ein gemeiner Heuchler! denkt sie erbittert. Kommt von der anderen und wagt es, mich küssen wollen!
Es wird eine schweigsame und recht ungemütliche Mahlzeit. Die beiden Männer brechen auch nach dem Nachtisch sofort auf.
Rudolf Kröger hat Bettina zärtlich umarmt. Sekundenlang lehnt sie ihren Kopf gegen seine Schulter und flüstert:
»Du bist so gut, Papa.«
»Und du bist es wert, Kind«, erwidert er.
Dann ist Bettina allein. Sie ist ratlos. Wie wird sich in Zukunft ihr Leben mit Jürgen gestalten? Wie soll sie sich verhalten? Der Ekel schüttelt sie, wenn sie daran denkt, wie sicher er auf ihre Liebe baut, die längst erloschen ist.
Ich weiß nicht, was werden soll. Ich weiß es wirklich nicht – denkt sie und blickt in den Garten hinaus. Gleichmäßig fällt der Regen, und der Wind fährt heftig durch die Bäume, so daß sich die Äste beugen und wiegen.
*
Die Verhandlung mit den Holländern ist zur beiderseitigen Zufriedenheit ausgefallen. Jürgen hat sich geschickt benommen. Er hat auch anschließend die längst fällige Post aufgearbeitet. Als Kröger jedoch seinen Sohn abholen will, ist er nicht mehr da.
Er wird heimgefahren sein, überlegt er beruhigt.
Aber Jürgen Kröger ist nicht heimgefahren, sondern sucht ein Hotel auf, übrigens das erste Hotel am Platze, wo er für seine Geliebte ein teures Appartement unterhält.
Die hochgewachsene Frau mit den roten Haaren und den unergründlichen Nixenaugen kommt ihm lachend entgegen und legt ihm die Arme um den Hals. Er küßt sie flüchtig.
Sonst hat er seine Freundinnen immer schnell gewechselt, von dieser launenhaften Frau, die ihn mit ihrer Unberechenbarkeit in Atem hält, kommt er nicht los. Sie ist eine teure Geliebte. In ihren schlanken Händen zerrinnt das Geld wie Wasser.
»Nana«, sagt er mit ungewöhnlichem Ernst, »wir können uns eine Weile nicht mehr sehen. Mein Vater hat Krach gemacht. Er hat mir gedroht, mich auf die Straße zu werfen, und das kann ich mir nicht leisten und du auch nicht.«
Nana starrt ihn entgeistert an. Wie man ein Bild auslöscht, so verschwindet