nein, Nana«, beteuert er. »Ich habe dir doch erklärt, worum es geht. Ich muß ernstlich arbeiten und mich mehr um meine Frau kümmern.«
»Du verlangst von mir, daß ich mich hier zwischen den Wänden vergrabe und dankbar zu sein habe, wenn du mir gnädig eine Stunde deiner kostbaren Zeit opferst?«
Er versucht, sie zu umarmen, aber sie weicht ihm aus. Sie entnimmt dem gelackten Kästchen eine Zigarette und raucht heftig. Nicht einen Blick gönnt sie ihm.
»Es tut mir selbst leid, Nana, glaube mir.« Sein Ton ist beschwörend. »Ich werde Gelegenheit finden, dich zu sehen. Vorläufig müssen wir Geduld haben. Sieh das doch endlich ein.«
Ruckartig dreht sie sich um. »Gibt es auf, den reuigen Sünder zu spielen. Diese Rolle steht dir nicht. Du wirst deine Frau immer betrügen. Wenn nicht mit mir, dann mit einer anderen. Ich sehe nicht ein, warum ich nicht diejenige sein soll. Aber mit Almosen kannst du mich nicht abspeisen. Ich dachte, du würdest eines Tages ganz zu mir finden und dich scheiden lassen.«
»Mich scheiden lassen?« Betroffen starrt er sie an. »Davon haben wir niemals gesprochen. Wer hat es dir eingeredet?«
»Ich selbst habe es mir eingeredet. Was bindet dich noch an deine Frau, an die Frau mit dem madonnenhaften Wesen, wie du immer
erzählst? Was hindert dich daran, den entscheidenden Schritt zu tun?«
»Mein Vater. Er liebt meine Frau, er wacht über sie, und er wird alles tun, um eine Scheidung zu verhindern. Den kürzeren werde nur ich dabei ziehen. Bitte, Nana, sei vernünftig!«
Er zieht die Brieftasche und legt einige größere Scheine auf den Tisch.
»Da, Nana, damit du nicht in Verlegenheit kommst. Sobald ich es ermöglichen kann, komme ich zu dir. Ich schwöre es dir.«
»Schwören«, sagt sie verächtlich. »Wenn du aus dem Haus gehst, hast du deinen Schwur schon vergessen.«
Da er schweigt, versucht sie es mit Tränen. Weinend fällt sie ihm um den Hals.
»Bleib bei mir, Jürgen, wenigstens heute, bitte! Ich bin ja so allein und habe nur dich. Alle meine Freunde und Bekannten habe ich deinetwegen fallenlassen. Bloß heute bleib bei mir.«
Sie weint und schluchzt an seinem Hals. Und da bleibt er.
Sie triumphiert. Die Schlacht hat sie gewonnen, noch ehe sie richtig begonnen hat.
Mitternacht ist längst vorüber, als Jürgen die Heimfahrt antritt. Ihm ist unbehaglich zumute. Wenn sein Vater ihn erwartet? Er brennt sich einen Zigarette an und raucht nervös. Ihm fällt nichts ein, was er als Entschuldigung anbringen kann. Er ärgert sich über sich selbst, daß er sich wieder hat einfangen lassen. Dabei war er mit guten Vorsätzen zu Nana gegangen.
Er kurbelt das Fenster herunter, wirft die Zigarette im Bogen hinaus und braust los. Er liebt schnelle Wagen und schnelles Fahren.
Er schleicht sich ins Haus und in sein Zimmer. Niemand ist ihm begegnet. Kein Fenster ist mehr erleuchtet, wie er draußen festgestellt hat. Er atmet auf.
Noch einmal gutgegangen, denkt er. Er entkleidet sich und legt sich ins Bett. Er fällt in einen tiefen Schlaf. Ihn plagen keine Gewissensbisse mehr.
*
Eine ganze Zeit geht alles gut. Jürgen Kröger arbeitet fleißig. Er weiß, daß sein Vater ihn scharf beobachtet. Er bleibt abends zu Hause. Er findet es jedoch langweilig und zeigt Bettina eine verdrossene Miene, ist mürrisch und wortfaul.
Ruhelos geht er durchs Haus, raucht viel und trinkt. Sein Wesen ist unstet. Auch das entgeht Rudolf Kröger nicht. Er wartet ab.
Bettina, die ja von der Unterredung zwischen Vater und Sohn keine Ahnung hat, wundert sich, daß Jürgen auf einmal Zeit für sie hat.
Sie nimmt es gelassen hin, wie sie auch seine gelegentlichen Ausfälle hinnimmt. Nur wenn er sich ihr nähern will, weicht sie zurück. Ihre Liebe ist tot. Nichts wird sie wieder wecken können.
Seit sie weiß, sie würde ein Kind haben, weint sie nicht mehr soviel. Es würde ihr ganz allein gehören. Sie würde etwas haben, das sie verwöhnen und liebhaben konnte.
Noch weiß es keiner. Nicht einmal ihre Mutter. Aber bald würde sie es nicht mehr verheimlichen können…
»Was starrst du mich so an?« wird sie aus ihren Gedanken gerissen. Sie fühlt, wie sie errötet.
»Ich wundere mich, daß du jetzt so brav zu Hause bleibst.«
Jürgen erhebt sich, stellt sich vor ihr auf und wippt auf den Zehenspitzen.
»Darüber wunderst du dich?« Sein Mund ist verächtlich herabgezogen. »Du warst es doch, der mich bei Papa verpetzt hat. Oder nicht?«
Sie erblaßt. »Nein, das habe ich nicht getan!« stößt sie ängstlich hervor. Sie fürchtet einen neuen Zornesausbruch.
»Lüge nicht!« schreit er sie an. »Wie kommt er dann dazu, mir wie einem kleinen Jungen Stubenarrest zu erteilen? Du warst es! Mit deinem Madonnenblick und deinem scheinheiligen Getue erreichst du ja alles bei Papa.«
Er ist vor Zorn und von dem, was er an scharfen Getränken in sich hineingeschüttet hat, ganz rot im Gesicht.
»Jürgen«, verweist sie ihn sanft.
»Jürgen, Jürgen«, äfft er nach. »Mehr weißt du nicht zu sagen. Du bist das langweiligste Geschöpf unter der Sonne.«
»Und warum hast du mich geheiratet?« fragt sie gelassen. Sie zwingt sich äußerlich zur Ruhe.
»Warum? Du gefielst mir eben. Und ich konnte dich nur besitzen, wenn ich dich heiratete«, sagt er mit offener Brutalität.
»Und als du dein Ziel erreicht hattest, war ich nur noch ein niedliches Spielzeug für dich, das du nach Lust und Laune nahmst oder fortwarfst…«
Er macht eine Handbewegung, als wolle er die Luft zerschneiden. »Ach, hör auf mit deinen langweiligen Predigten. Sie hängen mir schon zum Hals heraus.«
»Wie sehr mußt du mich hassen«, stellt sie ruhig fest.
»Ja, ich hasse dich manchmal…«
Er dreht sich um und gießt sein Glas voll, das er in einem Zug hinunterstürzt. Dann geht er zum Plattenspieler und spielt die verrücktesten Platten. Platten, die Bettinas Ohr weh tun. Sie liebt ganz andere Musik als Jürgen. Was hatten sie überhaupt gemeinsam? Er liest kein gutes Buch. Er versteht es nicht, sich mit ihr zu unterhalten, es sei denn, er beschimpft sie. Er geht kaum in die Oper, besucht keine Konzerte, kein Theater. Mit Bestürzung stellt sie fest, wie primitiv er eigentlich ist.
Sie neigt sich tiefer über ihre Handarbeit. Was macht sie falsch? Hätte sie ihm vielleicht unmerklich für alles Schöne die Augen öffnen sollen? Wie anders ist da sein Vater. Er ist es, der gleich ihr gute Musik gern hört und Theateraufführungen besucht. Wie schön ist es dann hinterher, wenn sie über das Gehörte oder Geschehene diskutieren.
Das alles findet sie bei Jürgen nicht. Er versäumt keine Revue. Hauptsache, er sieht viel nackte Beine.
Sie fühlt sich elend. Seitdem er zu Hause bleibt, lebt sie in dauernder Spannung und Angst. Das zerrt an ihren Nerven.
Langsam legt sie ihre Handarbeit zusammen. »Ich gehe schlafen. Gute Nacht.«
Er brummt etwas vor sich hin. Als sie an ihm vorbeikommt, dreht er sich plötzlich um, packt sie und küßt sie. Er hält sie wie in einen Schraubstock gepreßt. Mit aller Kraft versucht sie, sich zu befreien. Je mehr sie sich sträubt, um so unbeherrschter wird er.
Endlich gelingt es ihr, von ihm loszukommen. Sie rennt aus dem Zimmer. Sein gellendes Lachen verfolgt sie bis in ihr Schlafzimmer, das sie sofort abschließt. Schwer atmend lehnt sie sich gegen die Tür.
Stöhnend schlägt sie die Hände vors Gesicht. Sie zittert und bebt. Papa, denkt sie, ein Glück, daß du heute nicht da warst und das erleben mußtest…
*