Karin Bucha

Karin Bucha Staffel 5 – Liebesroman


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nicht, Herr Doktor.« Sie stockt, und er lauscht hinter der dunk­len, wohllauten Stimme her. Er wartet geduldig, bis sie weiterspricht. »Es handelt sich um Ulrich Karsten.«

      Wieder stockt sie und sieht ihn erwartungsvoll an. Aber sie vermag nichts in seinen Zügen zu lesen.

      »Glauben Sie an die Schuld Ulrich Karstens?«

      Er vermag seinen Blick nicht aus den leuchtenden Augen zu lösen. Als habe er sich diese Frage selbst schon längst beantwortet, sagt er:

      »Nein!«

      Sie lehnt sich zurück. Ihre Brust hebt sich in einem tiefen Atemzug. »Dafür danke ich Ihnen. Ich glaube auch nicht daran.«

      »Was kann man tun, um diese Unschuld zu beweisen?«

      »Sind Sie deshalb zu mir gekommen?«

      Sie nickt.

      Er lächelt. »Sie sollten sich an einen tüchtigen Detektiv wenden.«

      »Das könnte ich wohl, doch ich will es nicht«, widerspricht sie heftig. »Sie haben ein so menschliches Interesse an Ulrich Karsten genommen, daß es überhaupt nur Sie gibt, der mir helfen könnte.«

      »Ihnen?« verwundert Doktor Rauh sich. »Ich denke Ulrich Karsten?«

      »Doch, auch mir«, bestätigt sie ernsthaft. Ruckartig hebt sie den Kopf. »Was halten Sie von dieser – dieser Marion Wendland?« Jetzt zittert ihre Stimme etwas.

      »Gar nichts!« antwortet er, und seine Züge, soeben noch aufgeschlossen, verhärten sich. »Diese Frau hat den denkbar ungünstigsten Eindruck hinterlassen. Nicht nur bei mir, auch beim Gericht. Trotzdem sie kein Wort gesprochen hat.«

      »Man müßte den Hebel bei ihr ansetzen«, sinnt sie.

      »Leider hat sie auf unbestimmte Zeit die Stadt verlassen. Auf Reisen«, erklärt er ihr.

      Sie ist überrascht.

      »Woher wissen Sie das?«

      Er lächelt geheimnisvoll. »Ich weiß noch so allerhand.«

      »Wußten Sie das schon vor dem Prozeß?« forscht sie mit Spannung.

      Er wiegt den Kopf. »Teil – teils. Leider hat mir der Mann alles aus der Hand gewunden – durch sein hartnäckiges Schweigen.«

      »Und – und wenn Sie sich jetzt mit ihm in Verbindung setzen würden. Glauben Sie, daß er dann noch schweigt?«

      »Möglich! Alles was für ihn spricht, sind Vermutungen. Er ist verdammt stolz – und sehr sensibel.«

      »Wollen Sie ihm auch heute noch helfen?« fragt sie atemlos.

      »Natürlich!« kommt prompt seine Antwort. Da tritt wieder dieses hoffnungsvolle Strahlen in ihre Augen.

      »Weiß Karsten, daß Sie so viel Anteil an seinem Geschick nehmen?«

      »Nein! Er wird mich kaum mehr kennen. Ich will zu Ihnen ganz ehrlich von unserer Bekanntschaft sprechen. Damals suchte ich für mein Geschäft einen guten Architekten. Man empfahl mir Ulrich Karsten. Er kam mit seinen Plänen. Wir waren damals viel zusammen. Ich glaube –«, jetzt lächelte sie in ihrer reizenden, hilflosen Art, »ich glaube, er hat nicht einmal bemerkt, daß ich eine Frau bin. Aber wir haben großartig harmoniert, und ich fand seine Pläne einmalig. Nun ja, er hat den Umbau vollendet. Ich war sehr zufrieden damit. Dann verloren wir uns aus den Augen.«

      Sie stockt, und wieder erglüht sie. »Das heißt, ich habe ihn nie ganz aus den Augen verloren. Er interessierte mich. Seine Art nahm mich gefangen. Als ich den Prozeß miterleben mußte, war ich erschüttert. Nun wissen Sie Bescheid.«

      »Ja, nun weiß ich Bescheid«, wiederholt er und denkt dabei: Die Hauptsache hast du mir natürlich verschwiegen. Nämlich, daß du diesen Mann liebst.

      »Sie halten mich sicher für sehr – albern.«

      »Nein – für sehr liebenswert.«

      Erschreckt weiten sich ihre Augen. Er kommt um den Schreibtisch herum und stellt sich vor ihr auf.

      »Wie oft habe ich für Menschen arbeiten müssen, die ich sehr unsympathisch fand. Erschrecken Sie bitte nicht, wenn ich Ihnen ehrlich bekenne, daß es mir Freude bereitet, für Sie und Ulrich Karsten arbeiten zu dürfen.«

      »Also – sind wir Verbündete?« strahlt sie und streckt ihm impulsiv die Hand entgegen.

      »Das soll ein Wort sein.« Er drückt die feine Frauenhand und nimmt seinen Platz wieder ein. Er dreht ihre Besuchskarte zwischen den Fingern. »Ich darf Sie doch anrufen, wenn ich Ihrer Hilfe bedarf?«

      »Jederzeit«, erwidert sie rasch und erlöst und verabschiedet sich.

      *

      Ulrich Karsten ist ein williger Gefangener. Er kennt weder Auflehnung noch Verstocktheit. Seinem Wesen haftet dagegen etwas Sinnendes, Grüblerisches an.

      Umschließen ihn die Wände seiner Zelle, dann starrt er stundenlang ins Leere. Auch in seinem Innern gähnt es vor Leere.

      Immer wieder sieht er einen hohen Baum vor sich. Butzenscheiben, durch die schräg das Sonnenlicht fällt und die Dame Justizia beleuchtet. Und dann sieht er die blonde Frau, wie sie dicht an ihm vorüber an diesen Tisch tritt und mit harter Stimme spricht. Eine Stimme, die ihm unendlich fremd war.

      Hat er erwartet, daß sie sprechen würde? Hat er nicht nur nach einem aufmunternden Blick aus diesen geliebten graugrünen Augen gehungert?

      Stundenlang zermartert er sich so den Kopf. Er fiebert innerlich, wenngleich er sich äußerlich gelassen gibt. Er fiebert auf ein Lebenszeichen von Marion.

      Er springt auf, wandert ruhelos hin und her.

      Marion liebt ihn! Marion verrät ihre Liebe nicht! Oder er müßte an der ganzen Welt zweifeln.

      Etwas ruhiger geworden, sinkt er wieder auf das harte Lager zurück und verfällt abermals in Grübeleien.

      So vergeht die Zeit. Tage reihen sich an Tage. Er verbringt sie in völliger Einsamkeit und Verlassenheit. Die Kälte um ihn und diese entsetzliche Leere wird immer größer.

      Er ist innerlich wie abgestorben, und es überrascht ihn gar nicht, daß er eines Tages zum Anstaltsleiter gerufen wird und dieser ihm eröffnet, daß der Rest der Strafe bei Bewährung ausgesetzt wird.

      Jetzt atmet er wieder die Freiheit! Er ist wie benommen. Er trägt wieder Zivilkleidung und glaubt damit einen neuen Menschen übergestreift zu haben. Er geht im Strome der Passanten und fällt nicht auf. Oder doch?

      Scheu blickt er sich um. Unsinn! Er sieht Gespenster. Er hat auch etwas Geld in der Tasche. Schnell winkt er sich eine Taxe herbei und nennt die Pension Bothe.

      Zu Marion! ist sein einziger Gedanke.

      Das Mädchen sieht erschrocken zu dem hochgewachsenen Mann auf.

      »Der Herr Karsten«, kreischt sie und stürzt davon. Langsam folgt Karsten, unangenehm berührt. Am liebsten möchte er kehrtmachen. Aber es ist bereits zu spät. Ein weiter Morgenmantel wedelt um die Ecke des Flurs und drin steckt Milli Bothe

      »Nein, ist das eine Überraschung, lieber Herr Karsten. Und Sie kommen zuerst zu mir? Wie mich das freut? Ist denn die Zeit…«

      Sie verstummt und legt den Finger auf den Mund. »Verzeihen Sie, Herr Karsten. Ich wollte Sie nicht daran erinnern.«

      Sie bemerkt, daß er noch immer steht. »So setzen Sie sich doch. Bitte, lieber Herr Karsten –«

      »Eigentlich wollte ich zu Marion«, fällt er ihr leise ins Wort.

      »Zu Marion, natürlich!« Verlegen zerrt sie an den Enden ihres Gürtels. Sie weicht diesen hellen tiefliegenden Augen aus.

      »Die Marion – sie ist nicht hier –«, stottert sie und sucht krampfhaft nach Worten, die nicht weh tun sollen.

      »Ist sie ausgezogen?«

      »Sie