ich frage doch nur ganz bescheiden. Ich will doch nur wissen, wann das Abendbrot fertig sein muß.«
»Es ist möglich, daß ich heute abend nicht zu Tisch komme«, sagte Gordon kurz. Er ging fort, um sich in seine Tätigkeit zu stürzen, denn sein Geschäft war in letzter Zeit sehr aufgeblüht, und er war gerade damit beschäftigt, einen neuen Versicherungszweig zu organisieren. Er war fest entschlossen, die Frage, die ihn in seinen Gedanken und Überlegungen störte, für die Stunden seiner Arbeitszeit auszuschalten. Erst beim Mittagessen dachte er wieder an die beabsichtigte Reise nach Ostende mit der Seelenfreundin. Er wünschte, daß Heloise van Oynne einen anderen Platz als gerade Ostende ausgesucht hätte. Dieser weltbekannte Badeort paßte ihm nicht, man verband mit ihm gewöhnlich den Begriff von zügelloser und luxuriöser Lebensführung. Er fühlte auch, daß er wahrscheinlich Diana gegenüber viel mehr Festigkeit und Rückgrat zeigen könnte, wenn er nicht selbst auf verbotenen Wegen ginge, oder zum mindesten beabsichtigte, die althergebrachte Sitte zu durchbrechen.
Der Plan der Ostender Reise war wirklich verrückt, und er fragte sich, von wem er eigentlich ausgegangen sei. Aber schließlich brauchte er ja gar nicht erkannt zu werden, wenn er nicht gerade immer am Landungssteg spazierenging, wo die Dampfer vom Kontinent anlegten. Im Notfall konnte er auch sein Aussehen ein wenig verändern … Es wurde ihm heiß und kalt bei dem Gedanken. Diana hatte sich doch schon immer über seinen kleinen Backenbart lustig gemacht. Auch sein Friseur machte immer Bemerkungen über diese kleinen Bartansätze. Er hatte auch selbst schon ganz ernsthaft an ihre Entfernung gedacht, besonders seitdem sich Heloise darüber gewundert hatte. Sie meinte, daß sie ihn viel älter machten, als er in Wirklichkeit sei, und es würde natürlich ein liebenswürdiges Kompliment ihr gegenüber bedeuten, wenn er ihr an dem Tag ihrer Reise glattrasiert gegenüberträte. Andererseits ging man aber auch nicht in Cut und Zylinder nach Ostende. Er könnte vielleicht einen Sportanzug tragen – aber er hatte einen Schneider, der ihn beraten konnte, und er sprach auf seinem Heimweg bei diesem Mann vor, der natürlich sogleich im Bilde war und aufmerksam zuhörte.
»Wenn Sie an die belgische Küste gehen, würde ich Ihnen den Vorschlag machen, sich ein paar leichte Sommeranzüge anfertigen zu lassen. Graukariert ist augenblicklich Mode – graue Karos mit einer roten Betonung in der Mitte. Aber nein, Sir, o nein! Lord Furnisham hat erst im letzten Monat einen solchen Anzug bestellt, und wie Sie wissen, ist er ein Mann von feinem Geschmack, der immer nach der letzten Mode gekleidet geht.«
Gordon sah die Muster durch und war bestürzt über ihre Farbenfreudigkeit. Aber vielleicht wäre es ganz gut – wer würde Gordon Selsbury denn in einem modernen, flotten Anzug aus graukariertem Stoff mit lebhaften roten Punkten erkennen?
»Ist das Muster nicht doch etwas grell?« protestierte er.
Der Schneider lächelte nur nachsichtig, als Gordon meinte, es wäre doch wohl besser, wenn er sich den Anzug aus dunkelblauer Seide machen ließe.
Schließlich ließ sich Gordon überreden und bestellte den graukarierten Anzug. Er tröstete sich damit, daß er die Reise ja nicht auszuführen brauche. Fest verpflichtet war er unter keinen Umständen. Wenn er aber doch reisen würde, hatte er wenigstens beizeiten schon für die Ausrüstung gesorgt, und dieser Gedanke war in gewisser Weise auch beruhigend.
Doch ein Gedanke beschäftigte ihn stark. Er mußte doch irgendwie erreichbar sein, wenn unerwartete, geschäftliche Ereignisse sein persönliches Eingreifen erforderten.
Dies war in Wirklichkeit der Hauptgrund seiner Abneigung gegen diese Fahrt. Er konnte dieses Abenteuer ja nur unternehmen, wenn er noch einen Dritten ins Vertrauen zog. Diana war natürlich für diesen Posten unmöglich. Gordon kniff die Lippen zusammen und wiederholte in Gedanken die Ausdrücke, in denen er seinem Stellvertreter den Charakter seiner Reise erklären wollte. Aber sooft er auch versuchte, diese so merkwürdige und unglaublich klingende Geschichte in Worte zu fassen, war er ärgerlich und unzufrieden mit sich selbst. Er ließ alle in Frage kommenden Menschen an seinem Geist vorüberziehen und kam dabei immer wieder auf seinen Bruder Bobby zurück.
*
Robert G. Selsbury hatte ein Büro an der Mark Lane, wo er mit beträchtlichem Gewinn von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags Tee, Kaffee und Zucker kaufte und verkaufte.
Als Gordon gemeldet wurde, prüfte Bobby gerade eine neue Teeprobe, die eben aus China eingetroffen war.
»Wie, Mr. Gordon Selsbury?« fragte Bobby ungläubig. »Bitten Sie ihn herein«, sagte er, als die Stenotypistin es bestätigte. »Nun, was ist denn los?«
Gordon nahm etwas steif auf einem Sessel Platz, setzte seinen funkelnden, tadellosen Zylinder auf den Tisch und zog langsam die Handschuhe aus.
»Robert, ich bin in einer unangenehmen Lage – und ich möchte dich um deine Hilfe bitten.«
»Geld kann es doch nicht sein – also hast du eine Liebesaffäre. Wer ist es denn?«
»Es handelt sich weder um Geld noch um Liebe«, widersprach Gordon etwas gereizt. »Es ist – nun ja, es ist eine sehr delikate Angelegenheit.«
Bobby pfiff, und Pfeifen kann unter Umständen sehr beleidigend wirken.
»Ich will dir die näheren Umstände erklären.« Aber er mußte erst mit sich selbst kämpfen und war schon nahe daran, eine Entschuldigung für seinen Besuch zu finden und sich wieder zu verabschieden.
»Kommst du wegen Diana?«
»Nein, nein, Diana hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Es handelt sich um folgendes, alter Junge …«
Der »alte Junge« gab Bobby zu denken. Das zeigte, daß sein Bruder nicht mehr ganz normal war. So hörte er denn gut zu, ohne ihn zu unterbrechen. Aber die Geschichte, die Gordon vorbrachte, war die lahmste, die Bobby jemals gehört hatte, das war die durchsichtigste Schwindelei, die jemals einer zweifelnden Mitwelt unterbreitet wurde.
»Wer ist denn eigentlich diese Mrs. van Oynne?« fragte er schließlich.
»Sie ist … nun, ja, ich möchte nicht über sie sprechen. Ich habe sie früher bei einem Diskussionsabend kennengelernt … sie ist einfach wundervoll!«
»Ja, das möchte ich auch sagen«, entgegnete Bobby trocken. »Du wirst natürlich nicht mit ihr verreisen?«
Es bedurfte nur dieser Frage, um Gordons Widerspruchsgeist zu entfesseln.
»Aber selbstverständlich werde ich das tun«, sagte er entschieden. »Ich brauche diesen Wechsel, ich muß einmal eine seelische Erholung haben.«
»Aber warum geht ihr denn nach Ostende, um über Seelenharmonie zu diskutieren? Wie wäre es denn mit Battersea-Park? Ich habe noch nie eine so verrückte Idee gehört! Wenn du dir in Ostende deinen guten Namen verderben willst, kannst du dich in Zukunft ebensogut Hochwohlgeboren Herr Wüstling nennen. Ich nehme ja an, daß du mir die Wahrheit sagst. Wenn mir das ein anderer erzählte, würde ich niemals im Zweifel sein, was ich darüber zu denken hätte – ich würde wissen, daß es eine dicke Lüge ist. Hast du eigentlich schon an Diana gedacht?«
Das war allerdings eine verwirrende Frage. Gordon erschrak.
»Aber ich sehe gar nicht ein, was Diana überhaupt damit zu tun hat! Was zum Teufel geht sie denn diese Sache an?«
»Sie wohnt doch bei dir und ist doch deine Hausgenossin«, sagte Bobby ernst. »Jeder Schatten, der deinen guten Namen trifft, fällt auch auf sie.«
»Sie kann doch fortgehen – ich wünschte sogar, sie würde fortgehen!« rief Gordon böse. »Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß ich auch nur die Möglichkeit zugebe, daß sie meinen Plänen irgendwie im Wege steht? Sie ist ein Eindringling – in gewisser Weise verachte ich sie. Manchmal ist sie mir direkt verhaßt. Willst du mir nun helfen oder nicht?«
Dieses Ultimatum schleuderte er seinem Bruder über den Tisch entgegen. Aber Bobby war friedlich gestimmt, er wollte keinen Krieg.
»Ich nehme an, daß ich dir nicht zu viel zu telegrafieren habe. Es wird sich ja wohl nichts in deiner Abwesenheit