dem Zimmer hinausgeschlängelt.
»Madam, der wird jetzt ganz ruhig sein – trauen Sie nur dem alten Onkel Artur!«
Diana wußte, daß es nutzlos war, auf ihrem Willen zu bestehen. Sie schloß also ihren Gefangenen wieder ein und ging hinunter in das Studierzimmer. Auch sie war davon überzeugt, daß er jetzt keinen weiteren Versuch machen würde, zu entwischen.
Sie mußte mit Bobby in Verbindung bleiben, selbst auf die Gefahr hin, daß er ihr böse war, wenn sie ihn zu so früher Stunde aus dem Bett holte. Sie nahm den Hörer ab und rief seine Wohnung an. Mit unglaublicher Schnelligkeit erhielt sie Antwort. Die Stimme war ihr allerdings unbekannt – vermutlich sprach Bobbys Diener mit ihr.
»Hier ist Miss Ford – kann ich Mr. Selsbury sprechen?«
»Er ist die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen, meine Dame. Ich bin aufgeblieben, um auf ihn zu warten. Er wollte bei Tagesanbruch wieder in London sein.«
»Wo ist er denn?«
»Er ist nach Ostende gereist, mein Fräulein. Er hat von Dover aus telefoniert.«
Das war eine ganz unerwartete und beunruhigende Nachricht.
»Ist er allein verreist?«
»Nach meinem besten Wissen und Gewissen«, sagte Bobbys Diener taktvoll, diplomatisch und juristisch einwandfrei.
Diana hing den Hörer wieder an.
War es denn den Verbrechern auch gelungen, Bobby fortzulocken?
21
Bobby Selsbury war zum Victoria-Bahnhof gegangen, um seinen Bruder noch in elfter Stunde aus einer gefährlichen Lage zu befreien. Er hatte schon erfolglos den einen Zug, der nach dem Festland fuhr, von Anfang bis zu Ende durchsucht, und war nun dabei, den anderen zu inspizieren, als plötzlich die Pfeife des Fahrdienstleiters ertönte und er vor die Alternative gestellt wurde, den Zug sofort zu verlassen oder mit nach Dover zu fahren. Er entschied sich für das letztere und setzte seine Nachforschungen in den einzelnen Abteilen weiter fort. Er störte zwei jung verheiratete Paare auf der Hochzeitsreise, aber seinen Bruder fand er nicht.
Bei seiner Ankunft in Dover entdeckte er, daß um drei Viertel elf noch ein Vorzug vom Victoria-Bahnhof abgegangen war. Die Passagiere waren bereits auf dem Dampfer. Es war ja möglich, daß Gordon diesen Zug benutzt hatte, und Bobby entschloß sich, rasch zu handeln.
Er telefonierte schnell nach London und hatte glücklicherweise sofort Anschluß. Es waren sehr viele Leute an Bord, und er sah sofort, daß es unmöglich war, in kurzer Zeit festzustellen, ob Gordon hier war. Er blieb also auf der »Prinzessin Juliana«, als sie in See stach, und kam um vier Uhr nachmittags in Ostende an. Gordon und Mrs. van Oynne hatte er nicht gefunden.
In Ostende waren nur noch einige Hotels geöffnet. Bobby besuchte sie alle und ließ sich die Gästebücher vorlegen. Aber er stellte mit einer gewissen Erleichterung fest, daß Gordon nicht in Ostende war. Es war ja möglich, daß er in letzter Minute noch seinen Plan geändert hatte und nach Paris gefahren war, obwohl ihm das nicht ähnlich sah. Bobby glaubte seinem Bruder, obwohl sein Vertrauen auf eine sehr harte Probe gestellt wurde.
Er kehrte mit dem Nachtdampfer nach Dover zurück und erreichte den Hafen beim Morgengrauen. Um zehn Uhr kam er unrasiert, müde und gereizt wieder in der Hauptstadt an. Er fuhr sofort nach Scotland Yard. Er hatte sich überlegt, daß er das eigentlich gleich hätte tun sollen. Er hatte Glück, denn er fand Polizeiinspektor Carslake in seinem Büro, mit dem er während des Krieges in Frankreich zwölf Monate lang in einem Nachrichtenbüro zusammengearbeitet hatte.
Bobby brachte sein Anliegen so kurz wie möglich vor, und der Inspektor hörte ihm mit außerordentlichem Interesse zu.
»Es ist merkwürdig, daß Sie gerade zu mir kommen. Ich führe nämlich die Untersuchung über alle Vergehen des Doppelgängers. Ich muß ohne weiteres zugeben, daß die Sache ganz nach ihm aussieht.«
»Gordon ist nicht leicht zu imitieren«, entgegnete Bobby, »obgleich ich ihm das sagte, um ihn zu warnen.«
»Für den Doppelgänger gibt es in dieser Beziehung keine Schwierigkeiten«, meinte Carslake. »Groß, klein, dünn oder dick, das ist diesem Spezialisten ganz gleich. Er hat bis jetzt noch keinen Nachfolger in diesem Fach gefunden. Haben Sie die Frau gesehen, diese Mrs. van Oynne?«
Bobby schüttelte den Kopf.
»Wissen Sie vielleicht ihre Wohnung?«
»Ich habe nicht die mindeste Ahnung.«
»Vor Montag wird er wohl nichts unternehmen«, sagte Carslake nachdenklich. »Der Doppelgänger arbeitet nur, wenn die Banken geöffnet sind. Aber wenn er tätig ist, dann regt er sich auch ordentlich. Vor der Schlauheit dieses Menschen nehme ich den Hut ab, er kann etwas.«
»Wer ist er denn eigentlich?«
»Er heißt Throgood und war früher Schauspieler. Ich glaube, er wurde den besten Künstlern in Amerika an die Seite gestellt. Er war ein Charakterdarsteller. Er selbst ist wahrscheinlich Engländer, seine Partnerin stammt aus Amerika oder Kanada und war früher eine Statistin am Theater. Vielleicht ist es noch dieselbe – sehr schlank, nicht allzu groß – goldblondes Haar und blaue Augen. Sieht Mrs. van Oynne so aus?«
»Soviel ich weiß, nicht.« Bobby begann wieder zu hoffen. »Vielleicht irre ich mich auch. Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher?«
Carslake nickte.
Er werde am Montag nach dem Rechten sehen.
Bobby fuhr nach Hause. Er fühlte sich jetzt wohler als in den letzten vierundzwanzig Stunden.
Sein Diener hatte neue Nachricht für ihn.
»Miss Ford hat heute morgen schon angeläutet, Sir.«
»Was hat sie denn gesagt?« fragte Bobby. Er hielt den Rasierpinsel in der Hand.
»Sie fragte nur, ob Sie zu Hause seien.«
»Um wieviel Uhr hat sie denn angerufen?«
»Etwa um fünf.«
»Um fünf Uhr! Sie alter Ölgötze, warum haben Sie mir denn das nicht sofort gesagt?« Eingeseift wie er war, eilte er zum Telefon und ließ sich mit Diana verbinden.
»Bist du am Apparat, Bobby? Kannst du heute zu mir kommen?«
»Ich werde sofort erscheinen!«
»Das ist nicht nötig. Wenn du gelegentlich vorbeikommst, ist es gut. Aber sei nicht erstaunt, wenn du hier einen Herrn findest, von dem ich dir schon viel erzählt habe.«
»Doch nicht etwa Dempsi?« fragte er verwundert.
»Ja. Er ist für ein oder zwei Tage hier – ich werde dir alles erklären, wenn du kommst.«
Bobby pfiff leise vor sich hin.
Er nahm das Mittagessen in seinem Klub und machte am frühen Nachmittag seinen Besuch in Cheynel Gardens. Die Tür wurde ihm von einem merkwürdigen Hausmeister geöffnet.
Bobby schaute den Mann überrascht an. Dieser Diener mit den Ziehharmonikahosen und dem schlechtsitzenden Anzug hätte aus einer Burleske entsprungen sein können.
»Sie sind wohl der neue Butler?«
Der andere legte die Hand aufs Herz und verneigte sich. »Jawohl, Sir, mein Name ist Smith«, sagte er düster.
Er schielte und legte das Gesicht in Falten.
»Ich werde Sie aber trotzdem Superbus nennen – Sie können auch ruhig wieder natürlich dreinschauen.«
Mr. Superbus gehorchte enttäuscht.
»Woran haben Sie mich denn wiedererkannt?