Recht dazu – wir sind verheiratet.«
Sie sah ihn bedrückt an.
»Es wäre mir lieber gewesen, du hättest es jetzt nicht erwähnt«, erwiderte sie traurig. Ihr Blick ging an ihm vorbei. »Was ist das schon für eine Ehe, die wir führen!«
Er nickte. Es war totenstill im Raum, nur das gleichmäßige Stampfen der Maschinen ließ ab und zu die Fensterscheiben erzittern.
»Du hast recht«, entgegnete er schließlich. »Aber glaubst du denn, eine Scheidung wäre der einzige Weg für uns? Sicher, du wärst damit einverstanden, weil du denkst, ich wollte dich wieder loswerden … Denkst du das denn wirklich?«
Sie wurde rot.
»Nein, eigentlich nicht«, entgegnete sie leise. »Und doch, ich kann nicht einfach deine Frau bleiben, nur weil ich einmal Gelegenheit hatte, dir zu helfen. Reden wir doch ganz offen darüber – schließlich ist es uns beiden klar, daß wir einander nicht aus Liebe geheiratet haben. Du hast mich schon öfter gefragt, warum ich überhaupt mit dieser Ehe einverstanden war. Nun, als ich erfuhr, daß du für Willetts ins Gefängnis gehen wolltest, um euer beider Schuld zu sühnen, dachte ich mir, daß auch ich meinen Teil dazu beitragen könnte. Anstelle meines Onkels wollte auch ich etwas gutmachen … Und jetzt, jetzt muß ich daran denken, daß einmal eine Zeit kommen könnte, in der ich mich richtig in jemand verliebe …«
Sie senkte den Blick, doch er nahm ihren Kopf zwischen die Hände und sah sie voll an.
»So darfst du nicht reden! Vielleicht haben wir uns nicht geliebt, als wir uns heirateten – inzwischen ist aber viel Zeit vergangen, und ich wußte schon im Gefängnis, daß ich nicht mehr ohne dich leben kann. Du sagst, es könnte sein, daß du dich einmal verliebst – willst du dich nicht in mich verlieben?« Sie erwiderte nichts, mußte aber doch ein wenig lächeln.
»Du hast ein großes Risiko für mich auf dich genommen«, fuhr er mutiger geworden fort. »Willst du noch ein wenig mehr riskieren – daß du dich in mich verliebst, wenn du dich einmal verliebst?«
Sie sah ihn lange an, dann drückte sie fest seine Hand.
»Ja, ich will es tun.«
*
In der Nordsee kämpfte sich ein Motorboot durch einen Sturm voran, der dauernd heftiger wurde.
Die drei Männer an Bord taumelten hin und her. Helder und Tiger Brown hielten beide krampfhaft das Steuerruder umklammert.
»Schauen Sie sich die Wellen an! Das Wetter wird immer schlimmer!« brüllte Brown. Der Sturm riß ihm die Worte vom Mund.
Helder schüttelte grimmig den Kopf.
»Wir sind alle drei keine Seeleute – wenn es so weitergeht, bleibt uns nichts übrig, als umzudrehen.«
Das Motorboot zitterte in allen Fugen, als eine mächtige Welle den Bug in einen gischtenden Schaumberg verwandelte.
Verzweifelt schaute Helder zurück. Am Horizont sah er gerade noch den gelben Lichtstreifen des Leuchtschiffes, das sie an der Themsemündung passiert hatten.
Eine neue Welle traf das Boot von der Seite, so daß es sich schwer überlegte. Es hatte keinen Sinn, sie konnten die Fahrt über den Kanal jetzt nicht wagen.
»Wir müssen umkehren«, sagte Helder achselzuckend. »Am besten, wir versuchen irgendeine einsame Stelle an der Küste anzulaufen. Die Themse wieder hinaufzufahren, wäre viel zu gefährlich. – und in vier Stunden wird es hell.«
Tiger Brown und Clinker nickten schweigend. Es blieb ihnen keine andere Wahl.
Das Glück war ihnen wenigstens so weit günstig, daß es ihnen gelang, eine verhältnismäßig versteckte Bucht zu finden, in der sie eine Landung wagen konnten. Um fünf Uhr morgens knirschte der Kiel des Bootes im Sand.
»Was soll aus dem Kahn werden?« fragte Tiger Brown.
Helder zögerte; er trennte sich nicht gern von dem Boot, das für ihn fast die letzte Hoffnung darstellte, England unbemerkt zu verlassen. Aber dann machte er sich klar, daß es im Laufe des Tages doch von der Küstenwache entdeckt werden würde. Er mußte das Boot opfern.
Sie drehten es mühsam mit dem Bug zur See, laschten das Steuer fest und stellten den Motor auf volle Fahrt. Nach wenigen Minuten war es ihren Blicken hinter einem Regenvorhang entschwunden. Stumm sahen sie ihm nach.
Helder und seine Begleiter waren bis auf die Haut durchnäßt. Niedergeschlagen machten sie sich auf den Weg landeinwärts. Kein Mensch begegnete ihnen, und nach einer halben Stunde erreichten sie das Dorf Little Clacton.
Hier trennten sie sich. Jeder von ihnen hatte in der Brieftasche eine Geldsumme, die ein kleines Vermögen darstellte.
»Wohin gehen Sie?« fragte Brown.
»Nach London«, entgegnete Helder. »Vielleicht gelingt es mir, mich doch noch zum Kontinent durchzuschlagen.«
»Gut. Wir werden uns zunächst einen Schlupfwinkel suchen. Auf Wiedersehen in Amerika – oder im Kittchen.«
Helder kehrte ihnen den Rücken und machte sich auf den Weg zur Bahnstation. Wieder blieb ihm sein altes Glück treu – als er dort ankam, verließ eben ein Güterzug den Bahnhof in Richtung Colchester. Er lief nebenher und schwang sich mit letzter Kraft auf einen der Güterwagen.
Seine Zähne klapperten vor Kälte, doch er achtete nicht darauf. Würde ihm die Flucht gelingen?
Wenn der Zug unterwegs nicht anhielt, mußte er in einer Stunde in Colchester sein. Und es war ziemlich unwahrscheinlich, daß er auf kleineren Stationen haltmachte.
Er hatte mit seiner Vermutung recht; nach nicht allzulanger Zeit stand der Zug vor einem Haltesignal außerhalb von Colchester. Vorsichtig sprang er aus dem Wagen, ging querfeldein und erreichte ohne Zwischenfall die Stadt.
Einige Leute, die auf dem Weg zu ihren Arbeitsstätten waren, begegneten ihm. Der Morgenwind blies heftig, und Helder war bis auf die Knochen durchfroren. Die Leute würden aussagen, daß sie ihn hier gesehen hatten.
Etwas später traf er einen Mann, der rasch ausschritt und dabei ein Liedchen pfiff. Helder hielt ihn an.
»Entschuldigen Sie …«, begann er.
Der Mann wartete und betrachtete Helder argwöhnisch.
»Wollen Sie sich etwas verdienen?« fragte Helder.
»Sicher«, sagte der Mann. Aber es klang nicht gerade begeistert.
»Ich hatte eine Havarie an meinem Motorboot«, erzählte Helder. »Mußte landen und fünf Meilen querfeldein gehen. Was ich brauche, ist eine Unterkunft und trockene Kleider.«
»Es gibt genug Hotels in der Stadt«, antwortete der Mann brummig.
Helder zerstreute seine Bedenken.
»Ich möchte aber in kein Hotel gehen. Man soll nicht wissen, daß ich hier bin. Ich habe meine Gründe dafür. Irgendwelche trockene Kleider genügen mir.«
Er zog seine Brieftasche heraus und zeigte dem Mann zwei Fünfpfundnoten.
»Kommen Sie mit in meine Wohnung«, sagte dieser, plötzlich höflicher geworden.
Er führte Helder ein Stück zurück in eine kleine Nebenstraße zu einem einzeln stehenden Haus. Sie traten ein, und Helder wurde in ein Wohnzimmer geführt.
»Ich sage rasch meiner Frau Bescheid. Sie wird bestimmt einen passenden Anzug für Sie finden.«
Der Raum war nicht geheizt, aber Helder fühlte sich hier behaglich im Gegensatz zu seinem Aufenthalt im Eisenbahnwaggon und auf freiem Feld. Der Mann kam nach einiger Zeit mit einem Bündel Kleider unter dem Arm zurück, die er auf dem kleinen Sofa ausbreitete.
»Bitte suchen Sie sich aus, was Sie brauchen. Meine Frau macht gerade eine Tasse Tee für Sie.«
Er ging