Aufgabe gestellt hatte.
»Wenn ich es mir genau überlege«, meinte Jakobs nachdenklich, »so ist die ganze Sache den Weg nicht wert. Ich habe nämlich einen Gasautomaten – da geht ja dann das Gas von selbst aus.«
»Nun, dann begleiten Sie mich ein wenig. Wir wollen einmal sehen, ob bei mir das Gas noch brennt«, sagte Fellowe gutgelaunt.
Er hatte Jakobs nur leicht am Arm gefaßt; als dieser sich aber zu befreien suchte, wurde der Griff plötzlich stahlhart.
»Was ist denn los?« fragte Jakobs ganz unschuldig.
»Es ist immer wieder das alte Spiel«, erwiderte Frank lächelnd. »Hallo, Willie, Sie haben etwas fallen lassen.«
Er bückte sich schnell, ohne Jakobs loszulassen, und hob eine Brieftasche auf.
Der Autobus wollte gerade abfahren, als sich Frank umwandte und dem Schaffner ein Zeichen gab zu halten.
»Ich glaube, einer der Fahrgäste, die eben eingestiegen sind, hat seine Brieftasche verloren. Wahrscheinlich ist es der korpulente Herr, der gerade nach hinten gegangen ist.«
Der ›Wohlhabende‹ stieg schnell aus dem Autobus und entdeckte auch sogleich seinen Verlust. Als er seine Brieftasche zurückerhalten hatte, war der Vorfall zur allgemeinen Zufriedenheit erledigt.
»Sie sind eben Polizist, da ist nichts zu machen«, sagte Jakobs mit philosophischer Ruhe. »Ich hatte Sie vorher gar nicht bemerkt, Mr. Fellowe.«
»Das dachte ich mir, obwohl ich doch groß genug bin.«
»Und häßlich genug«, fügte Willie hinzu, der nicht im mindesten eingeschüchtert war.
Frank lächelte.
»Sie sind noch lange keine Autorität als Schönheitsrichter, Willie«, sagte er scherzend, als sie zusammen zur nächsten Polizeistation gingen.
»Sagen Sie einmal, Mr. Fellowe«, begann Willie plötzlich, »warum macht sich denn die Polizei nicht daran, einen Mann wie Olloroff zu fangen? Warum werden immer bloß so kleine Leute wie ich gefaßt, wenn ich mir mit viel Mühe und Arbeit meinen Lebensunterhalt verschaffen will? Der Olloroff macht doch Tausende, und er hat Hunderte von Menschen ruiniert. Warum kommt denn der nicht ins Zuchthaus?«
»Ich hoffe schon, daß wir ihn noch dorthin bringen.«
»Na, und da ist dann noch dieser andere, der die kleinen Leute anlockt. Wenn zum Beispiel ein Verkäufer dessen Prospekte liest, wird er dazu verleitet, fünf Pfund herzugeben, um damit einen Goldminenanteil zu kaufen. Natürlich gibt der dumme Verkäufer das Geld – das heißt, er muß es sich aus der Ladenkasse nehmen. Das tut er sozusagen nicht in unehrlicher Absicht, denn er bildet sich ein, eines Tages als reicher Mann in das Büro seines Chefs treten zu können. ›Sehen Sie mal, hier ist Ihr langvermißter Longfellow!‹ wird er dann sagen. – Verstehen Sie, was ich meine?«
Frank nickte.
»›Sehen Sie‹«, ließ Jakobs begeistert den Verkäufer weitersprechen, »›Das ist aus Ihrem früheren Angestellten geworden, der sich den kleinen Fehler zuschulden kommen ließ und sich damals fünf Pfund aus der Ladenkasse lieh.‹«
Es war nicht weiter merkwürdig, daß sie auch von Oberst Black sprachen, denn gerade an diesem Tag war vor Gericht gegen ihn verhandelt worden. Ein allzu vertrauensseliger Kunde Blacks, der sein Geld verloren hatte, hatte auf Rückerstattung der Summe geklagt. Der Oberst hatte sich jedoch nicht einmal die Mühe genommen, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen.
»Früher habe ich auch für Black gearbeitet«, sagte Jakobs. »Wissen Sie, als Bote für neununddreißig Schilling die Woche also nicht viel mehr, als ein Leichenträger verdient.«
Plötzlich sah er Frank gerade ins Gesicht.
»Haben Sie schon einmal zusammengezählt, wie viele ›Freunde‹ Blacks plötzlich gestorben sind? – Sie werden noch so lange warten, bis die ›Vier Gerechten‹ ihn sich holen«, warnte Mr. Jakobs liebenswürdig. »Die werden nicht viel Federlesens mit ihm machen.«
Er schwieg eine Weile, dann wandte er sich wieder an Frank.
»Denken Sie einmal an, Mr. Fellowe, nun haben Sie mich schon zum dritten Male geschnappt«, sagte er.
»Ich habe auch gerade daran gedacht.«
»Warten Sie einmal einen Augenblick.« Jakobs blieb stehen. »In der Tottenham Court Road haben Sie mich erwischt, in der Charing-Cross-Road und in Cheapside. Stimmt es?«
»Sie haben ein blendendes Gedächtnis«, erwiderte Frank lächelnd. »Niemals in seinem Revier«, sagte Jakobs halb zu sich selbst. »Und stets in Zivil. Immer beobachtet er mich. Ich möchte nur wissen, warum?«
Frank überlegte einen Augenblick.
»Wir wollen eine Tasse Tee zusammen trinken«, sagte er dann. »Dabei kann ich Ihnen eine schöne Geschichte erzählen.«
»Ich fürchte, wir werden sehr bald zu den Tatsachen kommen«, meinte Willie kritisch.
Als sie sich in dem Café gegenübersaßen, sagte Fellowe: »Ich werde ganz offen zu Ihnen sein, Willie.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich Sie bitten, mich lieber nicht beim Vornamen zu nennen. Es wäre nicht gut, wenn bekannt würde, daß ich mit Ihnen befreundet bin.«
Frank lachte wieder. Willie hatte ihm schon viel Vergnügen bereitet.
»Ich habe Sie jetzt schon dreimal gefaßt«, begann er, »aber dies ist das erste Mal, daß Sie von unserem Freund Black gesprochen haben. Wenn Sie das vorher schon getan hätten, wäre es Ihnen nicht so schlecht gegangen.«
Willie Jakobs schaute zur Decke empor.
»Jaja, ich erinnere mich, Sie haben früher schon einmal auf den Busch geklopft.«
»Wollen Sie mir nicht sagen, warum Black Ihnen fünf Pfund wöchentlich zahlt?«
»Das tut er nicht«, fuhr Willie auf. »Weil er ein ganz gemeiner Halunke ist – ein Schieber, ein Lügner –«
»Wenn Sie noch mehr zu sagen haben, erleichtern Sie ruhig Ihr Herz. Schießen Sie los!«
Willie zögerte.
»Was hilft es denn, wenn ich das tue? Sie sagen hinterher doch nur, daß ich Sie angelogen habe.«
»Versuchen Sie es doch einmal.«
Willies Zurückhaltung schwand allmählich. Eine Stunde lang saß der Polizist mit dem Dieb zusammen, und sie sprachen eifrig miteinander.
Dann trennten sie sich.
Mr. Jakobs machte sich auf den Heimweg nach Somers Town.
Er war dankbar, daß er mit einem blauen Auge davongekommen war, aber er war doch auch ein wenig eingeschüchtert.
Frank nahm sich ein Taxi und fuhr zu Blacks Haus, und als er ihn dort nicht antraf, nach Hampstead. Er wies den Chauffeur an, so schnell wie möglich zu fahren und sich um keine Verkehrsregeln zu kümmern.
May Sandford erwartete im Wohnzimmer den Oberst. Sie stand in der Nähe des Kamins, knöpfte ihre Handschuhe zu und bemühte sich, ihre Freude darüber zu verbergen, daß ihr früherer Freund sie besuchte.
»Wohin wollen Sie gehen?« war die erste hastige Frage Franks.
Sie sah ihn verletzt an.
»Sie haben kein Recht, mich in diesem Ton zu fragen«, sagte sie ruhig. »Aber ich will es Ihnen sagen – ich gehe zu einem Abendessen.«
»Mit wem?«
Sie errötete, denn sie war wirklich empört über ihn.
»Mit Oberst Black.«
Es kostete sie große Anstrengung, den aufwallenden Zorn zu unterdrücken.
»Ich