begleitet, der diese Schwierigkeit überwindet, jedoch mit seinem nackten Fuß ins Kreosot tritt. Das bringt nun Toby auf den Schauplatz und nötigt einen Militärarzt auf Halbsold, im Morgengrauen meilenweit herumzulaufen.«
»Aber es war der andere, und nicht Jonathan, der das Verbrechen beging.«
»Ganz richtig. Jonathan war sogar entschieden dagegen, nach der Art zu urteilen, wie er umher gestampft ist, sobald er in das Zimmer kam. Er hatte nicht den Wunsch, seinen eigenen Kopf in die Schlinge zu stecken, hegte auch gegen Bartholomäus Scholto keinen Groll. Deshalb würde er es vorgezogen haben, wenn man ihn einfach hätte binden und knebeln können. Indessen, dem war nicht mehr abzuhelfen; die wilde Natur seines Gefährten war zum Ausbruch gekommen und das Gift hatte seine Wirkung gethan. So ließ Jonathan sein Denkzeichen zurück, schaffte die Kiste mit dem Schatz am Strick hinunter und folgte ihr selbst. Das war der Hergang der Ereignisse, so weit ich sie enträtseln kann. Was seine Persönlichkeit betrifft, so muß er natürlich ein Mann in mittleren Jahren sein und auch sonnverbrannt, nachdem er längere Zeit in solch einem Backofen wie die Andamanen zugebracht hat. Seine Größe kann man leicht nach der Weite seiner Schritte schätzen, und daß er einen Bart hat, wissen wir. Sein bärtiges Gesicht war ja Thaddäus Scholto besonders aufgefallen, als er ihn am Fenster sah. Ich wüßte nicht, daß sonst noch etwas zu erörtern übrig bliebe.«
»Aber der Genosse?«
»Ja so. Dabei ist kein großes Geheimnis. Sie werden alles bald genug erfahren. – Die Morgenluft ist doch köstlich. Sehen Sie nur, wie dort die kleine Wolke, gleich der roten Feder eines Riesenflamingos, durch die Luft segelt. Jetzt steigt der Goldrand der Sonne über die Dunstwolke Londons. Ich möchte gleich wetten, daß von allen den Leuten, die sie bescheint, keiner ein so seltsames Unternehmen vorhat, wie wir. – Sie haben doch Ihre Pistole bei sich?«
»Ich habe meinen Stock.«
»Es wäre nicht unmöglich, daß wir etwas der Art brauchen, wenn wir ihr Nest aufgestöbert haben. Den Jonathan überlasse ich Ihnen, aber wenn der andere widerwärtig wird, so schieße ich ihn nieder.«
Er zog seinen Revolver heraus und ließ ihn, nachdem er zwei Läufe geladen hatte, wieder in die Rocktasche gleiten.
Während der ganzen Zeit waren wir Tobys Führung gefolgt, auf halb ländlichen, mit Villen besetzten Wegen. Nun aber kamen wir in regelrechte Straßen, wo Arbeiter und Fuhrleute schon in Bewegung waren und schlampige Weiber die Fensterläden öffneten und die Thürschwellen fegten. Im Wirtshaus an der Ecke wurde es lebendig. Wüst aussehende Männer kamen heraus nach ihrer Morgenwäsche und trockneten sich den Bart am Aermel. Fremde Hunde kamen herzugelaufen, um uns neugierig zu mustern; aber unser unvergleichlicher Toby blickte weder rechts noch links, sondern trabte immer vor sich hin, mit der Nase am Boden, und hie und da ein ungestümes Geheul ausstoßend, zum Zeichen wie eifrig er der Spur nachging.
Die Leute, deren Fährte wir verfolgten, schienen einen wunderlichen Zickzackweg eingeschlagen zu haben; wahrscheinlich um der Beobachtung zu entgehen. Sie waren niemals auf der Hauptstraße geblieben, wenn sich ihnen eine gleichlaufende Seitenstraße darbot. Am unteren Ende von Kennington-Lane waren sie links durch die Bond-und Milesstraße abgebogen. Wo letztere Straße auf den Knights-Platz mündet, fing Toby plötzlich an, bald vor-, bald rückwärts zu laufen, sein eines Ohr war gespitzt, das andere hing herab; ein wahres Bild hündischer Unentschlossenheit. Dann wackelte er im Kreise umher und blickte von Zeit zu Zeit zu uns empor, als erwarte er Mitgefühl in seiner Verlegenheit.
»Was zum Henker hat der Hund?« brummte Holmes. »Sie werden doch nicht eine Droschke genommen haben, oder in einem Ballon aufgeflogen sein!«
»Vielleicht haben sie hier eine Weile Halt gemacht?«
»Aha! Schon recht. Er läuft wieder!« sagte Holmes, erleichtert aufatmend.
In der That hatte sich Toby wieder in Trab gesetzt. Noch einmal schnüffelte er, dann faßte er plötzlich einen Entschluß und schoß mit einer Kraft und Entschiedenheit davon, wie er sie noch nie gezeigt hatte. Er war jetzt wieder auf so sicherer Fährte, daß er nicht einmal die Nase auf dem Boden zu halten brauchte, wohl aber zerrte er hitzig an der Leine und versuchte sich loszureißen. An Holmes’ leuchtenden Augen konnte ich erkennen, daß wir nach seiner Meinung dem Ende unserer Irrfahrt nahe sein müßten.
An der Schenke zum ›Weißen Adler‹ vorbei, stürmte der Hund wie unsinnig in Nelsons großen Holzhof hinein, wo die Arbeiter schon in voller Thätigkeit waren. Durch Sägemehl und Hobelspäne raste Toby weiter, ein Gäßchen hinunter, in einen Durchgang zwischen zwei Holzhaufen hinein und sprang dann endlich mit einem Triumphgebell an einem großen Faß in die Höhe, welches noch auf dem Handkarren stand, auf dem es hergebracht worden war. Mit weit heraushängender Zunge und blitzenden Augen stand Toby jetzt auf dem Faß, bald Holmes bald mich ansehend in Erwartung eines Zeichens der Anerkennung. Die Dauben des Fasses und die Räder des Karrens waren mit einer dunkeln Flüssigkeit getränkt und der Geruch von Kreosot erfüllte die ganze Luft. Eine Weile standen Holmes und ich sprachlos da, und dann brachen wir beide in ein unaufhaltsames, schallendes Gelächter aus.
8. Das Freikorps aus der Bakerstraße
»Was nun?« fragte ich. »Toby hat den Ruf der Unfehlbarkeit verloren.«
»Er handelte nach seiner Einsicht,« versetzte Holmes und hob den Hund vom Faß herunter. »Es wird ja täglich Kreosot durch London gekarrt, man braucht es hauptsächlich um das Holz zu tränken; kein Wunder, daß unsere Fährte gekreuzt worden ist. Der arme Toby ist ohne Schuld.«
»Sollten wir nicht die erste Spur wieder aufsuchen?«
»Ja, und das ist glücklicherweise nicht weit. Was den Hund an der Ecke des Knights-Platzes verwirrte, war offenbar, daß da zwei verschiedene Spuren in entgegengesetzter Richtung auseinandergingen. Wir sind der falschen gefolgt und brauchen also nur auf die andere zurückzugehen.«
Das machte keine Schwierigkeit. Als wir Toby auf den Platz führten, wo er seinen Fehler begangen hatte, kreiste er in der Runde umher und schoß endlich in einer neuen Richtung fort.
»Wenn uns der Hund nur nicht an den Ort bringt, von wo das Faß Kreosot herkam!« bemerkte ich.
»Davor war mir auch bange, aber sehen Sie, er bleibt auf dem Pflaster des Bürgersteigs, während der Karren den Fahrweg benützt hat. Nein, nein – jetzt sind wir auf der richtigen Fährte.«
Sie leitete uns abwärts auf das Flußufer zu, den Belmont-Platz und die Princestraße kreuzend. Am Ende von Broadstreet lief sie geradeswegs nach dem Wasser hin, wo sich eine kleine, hölzerne Schiffswerft befand. Toby führte uns bis zum äußersten Rande, dann stand er winselnd still und guckte auf den schwarzen Strom hinaus.
»Das Glück ist uns nicht hold,« sagte Holmes. »Hier haben die Flüchtlinge ein Boot genommen.«
Verschiedene kleine Fahrzeuge lagen teils im Wasser, teils auf der Werft umher. Wir brachten Toby zu einem nach dem andern, aber, obgleich er eifrig schnüffelte, gab er kein Erkennungszeichen.
Dicht bei dem Landungsplatz lag ein kleines Ziegelhaus. Auf dem hölzernen Aushängeschild am zweiten Fenster stand in großen Buchstaben zu lesen: ›Mordecai Smith‹ und darunter ›Boote zu vermieten auf Stunden oder tageweise.‹ Eine zweite Inschrift über der Thür that jedermann kund, daß daselbst ein Dampfboot gehalten werde, worauf übrigens auch die großen Haufen Coaks schließen ließen, die auf dem Damme lagen. Holmes sah sich langsam um und sein Gesicht nahm einen unheilverkündenden Ausdruck an.
»Das sieht schlimm aus,« sagte er. »Die Kerle sind geriebener, als ich erwartete. Sie haben gesucht, ihre Spur zu verwischen. Ich fürchte, es handelt sich hier um eine im voraus abgekartete Sache.«
Jetzt öffnete sich die Thür des Hauses und ein kleiner, etwa sechsjähriger Lockenkopf kam herausgelaufen, hinter ihm her eine untersetzte Frau mit rotem Gesicht und einem großen Schwamm in der Hand.