Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch


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sagte Holmes, nachdem ich ihm den Vorfall berichtet hatte. Er hatte den Nachmittag im Herrenhaus in engster Beratung mit seinen beiden Kollegen verbracht und war etwa um fünf Uhr mit einem gierigen Appetit zu dem ausgiebigen Tee zurückgekehrt, den ich für ihn bestellt hatte. »Keinerlei Vertraulichkeiten, lieber Watson, die sich als höchst unbequem erweisen könnten, wenn es zu einer Festnahme wegen Mord und Beihilfe kommen sollte.«

      »Sie glauben also, daß es dazu kommen wird?«

      Er war in heiterster und liebenswürdigster Laune.

      »Mein lieber Watson, wenn ich dieses vierte Ei verschlungen haben werde, bin ich bereit, Sie mit der ganzen Sachlage vertraut zu machen. Ich will nicht sagen, daß wir der Sache auf den Grund gekommen sind, – wir sind noch weit davon entfernt, – aber wenn wir einmal die fehlende Hantel, –«

      »Die was?«

      »Du liebe Zeit, Watson, ist es möglich, daß Sie noch immer nicht herausgefunden haben, daß die ganze Sache an der einen fehlenden Hantel hängt? Aber, nehmen Sie sich dies nicht zu Herzen, denn, unter uns, ich bin überzeugt, daß weder unser Freund Mac, noch der famose provinzielle Meisterdetektiv die geradezu überwältigende Bedeutung dieses Punktes erkannt haben. Eine Hantel, Watson! Stellen Sie sich Leibesübungen mit einer Hantel vor, die einseitige Anstrengung des Körpers, – mit der Gefahr der Verkrümmung des Rückgrates. Nicht auszudenken, Watson, nicht auszudenken.«

      Er saß da, den Mund vollgestopft mit Röstbrot, während seine spöttisch blinzelnden Augen sich an meiner Verlegenheit weideten. Schon der Umstand, daß er so glänzenden Appetit hatte, deutete darauf hin, daß er glaubte, den Erfolg bereits in der Tasche zu haben. Das war mir klar, als ich all der Tage und Nächte gedachte, die er, ohne auch nur einen Bissen zu sich zu nehmen, zubrachte, wenn er mit der Lösung irgendeines schweren Rätsels rang, den Ausdruck völliger geistiger Insichgekehrtheit in seinem hageren, beweglichen Gesicht. Nachdem er sich schließlich seine Pfeife angezündet und sich damit in der behaglichen Sofaecke des Gastzimmers niedergelassen hatte, begann er langsam und zusammenhangslos über den Fall zu plaudern, mehr wie einer, der zu sich selbst spricht, als jemand, der einen Bericht darüber erstatten will.

      »Eine Lüge, Watson, – eine grobe, faustdicke, knallige Lüge war es, mit der man uns an der Schwelle empfing. Hiervon müssen wir ausgehen. Die ganze Geschichte, die uns Barker erzählte, ist eine Lüge. Mrs. Douglas hat diese Geschichte bestätigt, und das heißt, daß auch sie gelogen hat. Sie lügen beide, gemeinschaftlich und auf Verabredung. Nun entsteht die große Frage, warum sie lügen und was sie damit verbergen wollen. Wir wollen einmal versuchen, Watson, Sie und ich, ob wir nicht dahinterkommen und die Wahrheit herausschälen können.

      Woher ich weiß, daß sie lügen? Ganz einfach, weil das, was sie sagen, ein plumpes Machwerk ist und gar nicht wahr sein könnte. Bedenken Sie einmal! Nach der Darstellung, die man uns gab, hatte der Mörder nicht einmal eine Minute Zeit, nach vollbrachter Tat den Ring, der hinter einem anderen Ring steckte, dem Toten vom Finger zu ziehen, den ersten Ring wieder aufzustecken – etwas, das er sicherlich in seiner Eile nicht getan haben würde, – und diese eigenartige Karte neben die Leiche zu legen. Dies ist offenbar und augenscheinlich ganz unmöglich. Sie mögen es vielleicht bestreiten, lieber Watson, – aber ich habe zuviel Achtung vor Ihrer Urteilskraft, als daß ich dies annehmen könnte, – der Ring wurde schon abgezogen, bevor der Mann tot war. Der Umstand, daß die Kerze nur kurze Zeit brannte, deutet darauf hin, daß der ganze Vorfall nicht lange dauerte. War Douglas, von dessen furchtlosem Charakter wir so viel gehört haben, ein Mensch, der nur weil jemand es verlangt, seinen Ehering hergibt? War er ein Mann, der ihn überhaupt hergeben würde? Nein, nein, Watson, der Mörder war mit ihm eine ganze Weile beisammen, und die Lampe war dabei angezündet. Daran zweifle ich nicht einen Augenblick. Augenscheinlich war die Flinte das Mordwerkzeug. Sie muß also schon erheblich früher, als man uns angab, abgefeuert worden sein; über diesen Punkt ist ein Irrtum ausgeschlossen. Wir stehen daher einer klaren Verabredung zwischen zwei Leuten, die den Schuß gehört haben, gegenüber, nämlich Barker und Frau Douglas. Wenn ich dazu noch beweisen könnte, daß die Blutspur auf dem Fensterbrett absichtlich von Barker erzeugt wurde, um die Polizei auf eine falsche Fährte zu lenken, werden Sie zugeben, daß die Sache für ihn sehr bedenklich aussieht.

      Nun müssen wir uns fragen, zu welcher Zeit der Mord wirklich ausgeführt wurde. Bis halb elf Uhr waren die Bediensteten noch auf und im Hause verteilt. Daher kann es nicht vor dieser Zeit gewesen sein. Um dreiviertel elf waren sie bereits alle in ihren Zimmern, außer Ames, der noch in der Anrichte war. Am Nachmittag, nachdem Sie uns verlassen hatten, habe ich einige praktische Versuche gemacht und dabei herausgefunden, daß, wenn alle Zwischentüren geschlossen sind, selbst von dem mächtigen Lärm, den McDonald in der Bibliothek auf meinen Wunsch hervorrief, nicht eine Spur zu mir in die Anrichte drang. Anders ist es jedoch, was das Zimmer der Haushälterin betrifft. Dieses ist nicht so weit von der vorderen Halle entfernt, und dort kann man laute Stimmen von unten, allerdings ziemlich undeutlich, hören. Der Schuß eines Gewehres, das aus nächster Nähe abgefeuert wird, wie zweifellos in dem vorliegenden Fall geschehen ist, klingt immer etwas gedämpft. Er braucht nicht sehr laut gewesen zu sein, und doch hätte ihn Frau Allen in der Stille der Nacht hören müssen. Sie ist jedoch, wie sie uns sagte, etwas schwerhörig. Nun hat sie in ihrer Aussage erwähnt, daß sie tatsächlich etwas gehört hat, was wie das Zuschlagen einer Tür klang, etwa eine halbe Stunde, bevor sie heruntergerufen wurde. Ich zweifle nicht daran, daß das, was sie gehört hat, nichts anderes als der Schuß war, und es daher den wirklichen Zeitpunkt des Mordes bezeichnet. Wenn dem so ist, müssen wir herausfinden, was Mr. Barker und Frau Douglas, sofern sie nicht selbst die Mörder sind, zwischen dreiviertel elf, dem Zeitpunkt also, wo sie der Schuß aufgestört hat, und ein Viertel nach elf, als sie die Bediensteten durch das Klingelzeichen herbeiriefen, getan haben. Was war es, und warum haben sie nicht augenblicklich die Dienerschaft alarmiert? Das ist die Frage, der wir gegenüberstehen. Wenn es uns gelingt, sie zu beantworten, so werden wir nicht mehr sehr weit von der Lösung des Problems sein.«

      »Darüber, daß zwischen den beiden ein Einvernehmen besteht, bin auch ich mir vollkommen klar«, sagte ich. »Sie muß eine herzlose Natur sein, wenn sie einige Stunden nach dem Morde ihres Mannes lachen und scherzen kann.«

      »So ist es. Sie macht keine gute Figur als Ehegattin, selbst nicht nach ihrer eigenen Aussage. Sie wissen, lieber Watson, daß ich kein sonderlich eifriger Anbeter des weiblichen Geschlechts bin, aber in meinem ganzen Leben ist es mir doch nicht vorgekommen, daß sich eine Frau, die für ihren Mann irgend etwas übrig hat, durch einige Worte eines Dritten davon abhalten läßt, zu der Leiche ihres toten Gatten zu gehen. Wenn ich einmal heiraten sollte, Watson, so möchte ich wünschen, meiner Frau derartige Gefühle einflößen zu können, daß sie sich nicht von der Haushälterin fortführen läßt, wenn ich ein paar Schritte von ihr entfernt auf der Totenbahre liege. Die Sache war schlecht inszeniert, denn selbst dem unerfahrensten Detektiv würde das Fehlen jedweder weiblicher Gefühlsmomente aufgefallen sein. Von allem anderen abgesehen, würde dieser Umstand allein mich schon dazu geführt haben, an einen verabredeten Plan zu glauben.»

      »Sie sind also der bestimmten Meinung, daß Barker und Mrs. Douglas sich des Mordes schuldig gemacht haben?«

      »Ihre Fragen, lieber Watson, sind unangenehm gradlinig«, sagte Holmes, mit seiner Pfeife vor meinem Gesicht hin-und herwippend. »Wie aus der Pistole geschossen. Wenn Sie mich fragen würden, ob Mrs. Douglas und Barker die Wahrheit über den Mord wissen und sie auf Verabredung geheim halten wollen, dann könnte ich Ihnen eine vorbehaltlose Antwort geben. Dessen bin ich nämlich sicher. Aber von Ihrer blutrünstigen Auffassung bin ich nicht so fest überzeugt. Wir wollen uns die Schwierigkeiten, die uns hier begegnen, etwas näher besehen.

      Angenommen, daß sich die beiden, die durch das Band einer schuldigen Liebe geeint sind, entschlossen haben, den Mann, der ihnen im Wege steht, beiseite zu schaffen. Diese Liebe ist eine etwas kühne Vermutung, denn eingehende und diskrete Nachforschungen bei den Bediensteten haben nichts ergeben, was darauf hindeutet. Im Gegenteil, es hat sich herausgestellt, daß die beiden Eheleute sehr aneinander hingen –«

      »Das möchte ich aus das lebhafteste bezweifeln«, sagte ich, indem ich an ihr lachendes Gesicht im Garten dachte.

      »Nun