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Aus der Fremde kam ein kleiner Junge
»Such dir endlich eine Frau, die zu dir passt, die du gernhast und die dich gernhat«, hatte seine Oma schon oft zu ihm gesagt, meistens dann, wenn er ihre Kochkunst zu sehr gelobt oder mal wieder gemeint hatte, sie wäre die Beste, und bei ihr würde er es mindestens noch zehn Jahre aushalten.
Darüber hatte sie stets nur gelächelt, ein bisschen spöttisch und ein bisschen traurig. Und vor einem guten Jahr hatte sie ihm zögernd und etwas unglücklich gestanden, dass sie in absehbarer Zeit in eine kleine und altersgerechte Wohnung ziehen wolle. Und er möge darüber nachdenken, ob er diese Wohnung – drei große Zimmer, Küche, Bad, Korridor und Balkon – behalten wolle.
Sicher wollte er das, wenn nur die Miete nicht so hoch gewesen wäre.
Henrik Hollstein hatte damals nicht so recht gewusst, wie er sich verhalten sollte. Natürlich würde es die Oma in der neuen Wohnung viel bequemer haben, sie musste nicht mehr so viele Treppen steigen, nicht mehr so viel einkaufen, kochen und putzen. Sie hatte dann ja nur noch für sich allein zu sorgen und nicht mehr für ihn, ihr einziges Enkelkind, das sie nach dem frühen Unfalltod der Eltern ganz allein aufgezogen hatte. Andererseits war er inzwischen achtundzwanzig Jahre alt und würde es wahrscheinlich doch schaffen, ohne sie zu überleben und die Miete aufzubringen.
Der Anfang war selbstverständlich schwer gewesen, denn es war ja viel leichter und angenehmer, sich an einen gedeckten Tisch zu setzen, als für dessen kulinarische Bestückung zu sorgen. Von anderen Arbeiten ganz zu schweigen. Aber unter der Anleitung seiner Großmutter lernte er, was zur Führung eines kleinen Haushaltes unbedingt notwendig war, und lernte es schneller, als er selbst gedacht hatte.
Das Schicksal meinte anscheinend, er hätte für seine Bemühungen eine Belohnung verdient, denn schon wenige Wochen, nachdem Amalie Hollstein ausgezogen war, lernte er auf einer Party bei Freunden Evelin Lanzkow kennen, eine hübsche, zierliche Brünette, die bald bei ihm einzog und sich an den Kosten beteiligte. Sie konnte zwar nicht so gut kochen wie die Oma, gab sich aber viel Mühe, ihn in jeder Hinsicht zu verwöhnen. Und das gefiel ihm außerordentlich gut.
Und da er ihr offensichtlich auch gefiel mit seinem markanten Gesicht, den blonden Haaren, der sportlichen Figur und dem umgänglichen Wesen heirateten sie bereits ein Jahr später. Die Oma spendierte zu diesem Anlass das Geld für die Hochzeitsreise nach Venedig, Evelins Eltern trugen zur Wohnungseinrichtung bei, und alle nahmen nun an, dass bald ein Baby zur Welt kommen würde. Immerhin hatten beide eine ausreichend große Wohnung, hatten studiert und lebten in guten finanziellen Verhältnissen. Gesund und voller Lebensfreude waren sie ebenfalls.
Doch die Jahre vergingen, Henrik, mittlerweile bereits dreiunddreißig, war vor Kurzem der Leiter des hiesigen Arboretums geworden, was ihn einerseits freute, aber auch mehr Verantwortung, Arbeit und gelegentliche Überstunden einbrachte.
Evelin, nur wenig jünger als ihr Mann, rechnete hingegen fest damit, bald Dozentin an der Universität zu werden, wo sie seit ein paar Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt war. An ein Kind dachten beide anscheinend gar nicht. Die Karriere und weite Reisen im Urlaub schienen ihnen wichtiger als der Nachwuchs zu sein.
*
»Sie sind schwanger, Frau Hollstein«, hatte der Arzt vorhin gesagt und hatte dazu eine Miene gemacht, als müsste sie nun so glücklich sein, dass sie fortan die ganze Welt umarmen könnte. Der Kerl hatte ja keine Ahnung, überhaupt keine! Was sollte sie mit einem Kind bloß anfangen?
Diese Frage beschäftigte Evelin auf dem Weg nach Hause so sehr, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte. Sie vergaß sogar, in ihrer Lieblingsboutique einzukehren und sich das elegante rubinrote Kleid zu kaufen, das sie vor ein paar Tagen dort entdeckt hatte. Wütend auf sich selbst und vor allem auf ihren Mann kam sie daheim an, warf sich anschließend auf ihr Bett und ließ dort ihren Tränen freien Lauf.
Sie war so sehr in ihren Kummer vertieft, dass sie Henrik erst bemerkte, als er sich zu ihr setzte, sie in die Arme nahm und erschrocken fragte: »Was ist denn passiert? Ist was mit deinen Eltern oder mit Oma?«
»Nein, denen geht es gut, bloß mir nicht.«
»Was hast du denn?«
»Ich bekomme ein Kind.«
»Ein Kind??« Seine Augen begannen zu strahlen, während er sie fester an sich drückte. Dabei fragte er aufgeregt: »Bist du dir auch ganz sicher?«
»Dr. Weber hat es bestätigt«, antwortete sie missmutig. »Ich habe es sozusagen schwarz auf weiß. Kannst du mir sagen, was nun werden soll?«
»Ich verstehe dich jetzt nicht«, antwortete er irritiert. »Du bekommst das Baby, bleibst ein oder zwei Jahre zu Hause, und dann bringen wir es tagsüber in eine Kindertagesstätte.«
Sie stieß ihn von sich, sprang auf und rief entrüstet: »Ich soll ein oder zwei Jahre zu Hause bleiben, soll das Gör hüten und meine Karriere zum Teufel schicken? Ja, sag mal, du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank! Wozu habe ich denn studiert und meinen Doktor gemacht?«
»Aber – Evi, andere Frauen bekommen doch auch Kinder. Und ich werde dir doch helfen.«
»Na, klar, besonders dann, wenn du den ganzen Tag auf der Arbeit bist. Ich würde es mir ja wegmachen lassen, aber der Doktor sagt, es ist schon zu spät dazu. Leider.«
Das Kind wegmachen lassen? Er hätte jetzt am liebsten mit der Faust auf den Tisch gehauen oder sie zornig angeschrien, weil sie eine Abtreibung überhaupt in Betracht zog. Andererseits wollte er sie nicht noch mehr aufregen. Möglicherweise verlor sie dann das Kind. Daher stand er ebenfalls auf und legte ihr beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
»Nun bekomme das Kind doch erst einmal. Du wirst schon sehen, alles geht einfacher, als du jetzt denkst. Wir kriegen bestimmt einen Kita-Platz, vielleicht schon nach ein paar Monaten. Dann kannst du doch wieder arbeiten gehen.«
»Und wenn das Kind krank wird? Diese kleinen Bälger haben doch dauernd irgendetwas – Husten, Schnupfen, Durchfall, Erbrechen und Fieber. Ich weiß das von meiner Kollegin. Wenn da nicht die Eltern und Schwiegereltern immer einspringen würden, könnte sie so gut wie gar nicht zur Arbeit gehen. Aber so etwas ist bei uns ja nicht möglich. Du hast nur noch die Oma, und die ist nach ihrem Oberschenkelhalsbruch auch nicht mehr so fit wie früher. Und meine Eltern sind Ärzte und wohnen in München, was fast tausend Kilometer von uns entfernt ist.«
»Wir werden eine Lösung finden. Zwei oder drei Monate kann ich ja auch bei dem Baby bleiben, wenn es nicht mehr gestillt werden muss.«
»Zwei