Leni Behrendt

Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman


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      »Ist auch Zeit. Ganz kalte Füße habe ich gekriegt, du närrische Person. Kann ich jetzt zurück ins Bett, oder gedenkst du mir noch mehr kalte Schauer über den Rücken zu jagen?«

      Damit drückte sie auf den Knopf, und überraschend schnell erschien eine Schwester, über dem Arm die Kleider der beiden Patientinnen.

      »Nanu, Schwester, können Sie hellsehen?«

      »O nein, gnädige Frau, ich bin von der Frau Oberin bestens informiert. Wer von den Damen steht zuerst auf?«

      »Ich. Der kleine Faulpelz da findet es zu schön im Bett, als daß sie es verlassen möchte. Na, immer wie jedem schön ist. Und nun wollen wir mal.«

      Schwungvoll verließ sie das Bett, stellte sich couragiert auf die Beine, die dann jedoch langsam zu zittern begannen.

      Doch tapfer hielt sie durch, bis sie angekleidet war, dann ließ sie sich aufatmend in den Korbsessel fallen und trank mit Behagen den stärkenden Wein, den die Schwester ihr brachte. Danach wurde sie so unternehmungslustig, daß sie erklärte: »Nun kommt ein Spaziergang durch den langen Korridor.«

      »Gnädige Frau, der ist nicht vorgesehen.«

      »Machen Sie nicht solche Angstaugen, Schwester Erika! Ich nehme diese Eigenmächtigkeit auf meine Kappe, also haben Sie nichts zu befürchten.«

      Lenore vergnügt zuwinkend, verließ sie das Zimmer. Doch kaum, daß sie einige Meter gegangen war, lief sie der Oberschwester in die Arme.

      »Ja, gnädige Frau, sehe ich recht? Sind Sie es wirklich?«

      »Natürlich«, kam es lachend zurück. »Um hier als Geist einherzuwandeln, dafür bin ich denn doch zu rundlich.«

      »Na, so ein Leichtsinn! Schwester Erika.«

      »Lassen Sie die Schwester in Frieden«, unterbrach Gertraude sie gemütlich. »Die hat keine Schuld.«

      »Sie können gehen«, wandte die Vorgesetzte sich an das Mädchen, das nur zu gern entschwand. Als es außer Hörweite war, fragte Agathe gedehnt: »Na, gnädige Frau, wenn dieser Spaziergang nur nicht etwas zu bedeuten hat.«

      »Kluges Kind! Reichen Sie mir galant Ihren Arm und führen Sie mich zu meinem Schwager!«

      Der sah dann seiner Schwägerin unwillig entgegen: »Also, Gertraude …«

      »Stopp ab, Schwagerherz!« ließ sie sich in den nächsten Sessel sinken. »Gib mir lieber ein Glas Wein und laß mich dann reden. Es ist nämlich wichtig, was ich dir zu sagen habe.«

      »Brieflich hätte es auch genügt.«

      »Nein, dieses nicht.«

      Nachdem sie den Wein getrunken hatte, legte sie sich im Sessel zurück und erwischte gerade noch den Ärmel der Oberin, die das Zimmer verlassen wollte.

      »Bleiben Sie bitte hier! Sie haben sich wahrlich um Lenore verdient gemacht, und von ihr werde ich jetzt sprechen.«

      Sie tat’s, gab alles ziemlich wörtlich wieder.

      Danach war es erst einmal bedrückend still, bis der Arzt kopfschüttelnd sagte: »So ist dein gutes Herz wieder einmal mit dir durchgegangen, meine liebe Traude. Aber ich weiß nicht, ob Doktor Skörsen das anerkennen wird. Denn schließlich hast du über seinen Kopf hinweg eine Bestimmung getroffen …«

      »Ach was!« unterbrach sie ihn hitzig. »Der soll doch man ganz ruhig sein. Hat gerade genug auf dem Kerbholz.«

      »Gertraude!«

      »Na ja, ich halte schon den Mund«, brummte sie halb ärgerlich, halb beschämt. »Ist es nicht besser für ihn, daß ich mich seiner Frau annehme, selbst über seinen Kopf hinweg, als daß sie sich ein Leid antut?«

      »Kindisches Geschwätz!«

      »Wenn du dich da nur nicht irrst. Wie ist Ihre Ansicht darüber, Frau Oberin?«

      »Daß man Lenores Reden nicht auf die leichte Schulter nehmen darf. Denn in solch einer seelischen Verfassung, in der sie sich jetzt befindet, hat schon mancher seinem Leben ein Ende gemacht.«

      »Will ich meinen«, nickte Gertraude. »Also wird man Doktor Skörsen mitteilen müssen …«

      »Was natürlich mir zugeschoben wird«, knurrte Rudolf Hollgart dazwischen. »Als ob es so einfach wäre, dem armen Kerl gewissermaßen den Dolch ins Herz zu stoßen. Außerdem wird er dann hier nicht länger bleiben wollen, und wir sind unsere beste Kraft los.«

      So kam es dann auch. Denn nachdem der Professor mit Skörsen gesprochen hatte, lachte dieser hart auf.

      »Das habe ich kommen sehen. Na schön, mag meine Frau ihren Willen haben – sagen wir, vorerst mal auf ein halbes Jahr. Sie wird in der Zeit mich weder sehen noch von mir hören, da ich ins Ausland zu gehen gedenke. Ich habe während des Kursus, an dem auch Ausländer teilnahmen, mancherlei Verbindungen angeknüpft, die ich jetzt auszuwerten gedenke. Ich bitte daher, Herr Professor, mich meiner Verpflichtung hier zu entbinden – wenn möglich, sofort.«

      »Also doch! So gehen Sie mit Gott. Sollten Sie jedoch ein Fiasko erleiden, dann steht Ihnen hier die Tür immer offen.«

      »Fiasko?« wiederholte Skörsen, und es klang unendlich bitter. »Mir genügt das in meiner Ehe vollkommen. Eine Bitte hätte ich noch: darf ich Frau Hollgart persönlich kennenlernen?«

      »Das ist Ihr gutes Recht. Aber verlangen Sie keine Freundlichkeit von meiner Schwägerin, sie ist nicht gut auf Sie zu sprechen.«

      »Kein Wunder, ich selbst bin es auf mich nämlich auch nicht. Jedenfalls schulde ich der Dame großen Dank, die sich so liebreich meiner Frau annimmt.«

      Noch am gleichen Tage kam es zur Aussprache, bei der Gertraude ihre Ansicht über den jungen Arzt erheblich änderte. Sie hatte sogar Mitleid mit ihm, dem die Zerrüttung seiner Ehe sehr nahe zu gehen schien, was er allerdings mannhaft zu verbergen suchte. Am liebsten hätte sie ihm tröstend über den Kopf gestreichelt, als er sich zum Abschied über ihre Hand neigte.

      »Ich danke Ihnen, gnädige Frau.«

      Mehr sagte er nicht. Aber es genügte, um Gertraude die Tränen in die Augen zu treiben. Tränen des Mitgefühls mit dem Mann, dem der Schmerz in den Augen brannte.

      *

      Es war drei Tage später. Gertraude und Lenore, die jetzt schon ziemlich sicher auf den Beinen waren, saßen in bequemen Sesseln und blätterten in Illustrierten. Im Zimmer war es mollig warm, doch draußen fror es, daß es knackte. Kein Wunder, da man sich in der zweiten Hälfte des Februar befand.

      Schwester Erika trat ein, einen Koffer tragend, den sie zuerst abstellte und dann der jüngeren der Damen einen Brief überreichte.

      »Beides ist für Sie abgegeben worden, gnädige Frau.«

      Sie zog sich zurück.

      Lenore starrte erst einmal den weißen Umschlag an wie etwas, das nicht ganz geheuer war. Doch nachdem sie die Schrift erkannte, öffnete sie das Kuvert mit bebenden Händen.

      Während sie las, kam und ging die Farbe auf ihrem Gesicht in jähem Wechsel. Dann ließ sie das Schreiben sinken und sah wie hilflos zu Gertraude hinüber, die wohl ahnte, von wem es kam, sich jedoch abwartend verhielt.

      »Tante Traude?«

      »Ja?«

      »Ein Brief von meinem Mann. Willst du ihn lesen?«

      »Gern, wenn du mich dieses Vertrauens für würdig hältst.«

      »Bitte!«

      »Na, schön, gib her.«

      Dann las sie aufmerksam, was da in prägnanter Schrift stand:

      Lenore! Da Du mich nicht mehr sehen willst, bin ich gezwungen, schriftlich von Dir Abschied zu nehmen. Ich habe mich für ein halbes Jahr als Arzt nach Australien verpflichtet. Doch dann kehre ich wieder nach Deutschland zurück und hoffe, dich dann seelisch wie körperlich