erscheinen, Herr Bösenberg!«
Die Seelenhirtin macht Anspruch darauf, selbst eine schöne Seele zu sein, und ich legte daher das dieser Voraussetzung entsprechende Gesicht an –
»Meine Töchter!« sagte der Pfarrherr.
Bei den Charitinnen, da waren sie! Ida, Adeline und Selinde Wachtel! Bei der Mutter der Grazien, Eurynome, – bei dem Papa Jupiter, Weitenweber, – wir sprachen wieder nichts von Bedeutung!«
Ich legte die Feder nieder, starrte einige Minuten in die Flamme meiner Lampe, legte den Kopf in beide Hände und sagte leise:
» Cäcilie Willbrand!«
Welche wunderbare, psychologische Rätsel kann uns doch in jedem Augenblick die Sphinx, welche in unserm Innern kauert, aufgeben!
Da standen meine Schriftzüge auf dem Briefpapier; – Wort auf Wort war aus der Feder geflossen, ohne daß ich aufgeblickt hätte. Satz an Satz, Torheit an Torheit hatte ich aufgereiht; wer aber hätte aus diesem Wirrwarr herausgelesen, daß der eben erwähnte Name oder vielmehr Gedanke: Cäcilie Willbrand – sich um jeden sich formenden Buchstaben geschlungen hatte?
Und doch war es so!
Sidonie Fasterling hatte mir die Trägerin des Namens bereits wieder wachgerufen in der Erinnerung; aus den Fenstern der Oberpfarre erblickt man, jenseits des Weges, inmitten von Bäumen und Gebüsch, ein niedriges Dach, aus dem ein feiner, blauer Rauch emporkräuselte, als ich am Fenster des geistlichen Hauses saß. Dort wohnte Cäcilie Willbrand, meine Jugendgespielin, mit ihrer alten Mutter. – Ich klopfte an ihre Tür – sie öffnete sich – ich sah Cäcilie wieder nach zwanzigjähriger Vergessenheit. Träumerisch war ich in mein düsteres Haus zurückgekehrt, und jetzt – schloß ich meinen Brief an Weitenweber, ohne den Namen Cäcilie Willbrand niedergeschrieben zu haben.
Es waren einmal zwei Menschenkinder, die hatten einander sehr lieb. Sie hatten auch miteinander gespielt und waren zusammen aufgewachsen, und als sie einmal an einem wunderschönen Maiabend in die untergehende Sonne sahen, versprachen sie sich zu heiraten, wie es auch kommen möge. Ach, sie wußten nicht, daß schon vor hundert Jahren ein Lied gesungen ist, welches anhebt:
Das Kraut Jelängerjelieber
An manchem Ende blüht.
Bringt oft ein heimlich Fieber,
Wer sich nicht dafür hüt’t. –
Wie manche traurige Minute, wie manche Stunde des Sehnens, wie mancher lange Tag, wie manches lange, lange Jahr reiheten sich an jene seligen Augenblicke, wo sie durch die Tränen in ihren Augen in die goldene Glut im Westen blickten, nachdem sie all das bunte Spielzeug ihrer Herzen ausgeschüttet hatten! Armer Friedrich Willbrand, arme Agnes Bremer!
Die kleine Stadt Finkenrode, in welcher jeder den andern kennt, kannte auch bald diese Liebe und lächelte und schwatzte darüber nach Gewohnheit und Recht. Die beiden Liebenden waren in der Stadt geboren und aufgewachsen, Agnes war nicht über die nächsten Berge, Fritz nicht über fünf Meilen im Umkreis hinausgekommen; die Stadt Finkenrode hatte das Recht, auf Agnes und Fritz zu achten und beide jede Woche mehreremal vor die Wohlfahrts-Ausschüsse ihrer Kaffee-und Teegegesellschaften zu fordern. Die Herren und Damen von den verschiedenen Gerichtsbehörden kannten »die alte liebe«; die Herren und Damen von der Steuer, der Kirche und der Forstverwaltung kannten sie; die Herren und Damen vom löblichen Kaufmannsstande gaben sie am liebsten jeder Zuckertüte, jedem Hering zu. O die alte, alte Liebe!
Es waren zwei arme, schüchterne Kinder, und die geringste harte Berührung von außen zwang sie, sich in die tiefste Dämmerung und Einsamkeit zurückzuziehen. Sie bauten sich allmählich ihre eigene Welt auf, welche mit der wirklichen wenig gemein hatte. Sie hatten ja Zeit dazu in den langen Jahren voll Ringens und Kämpfens, aber auch voll ungetrübter Seligkeit und wehmütigen, süßen Sehnens! Ihre Eltern waren tot, allgemach zogen die Verlobten sich auch von ihren Bekannten und Gespielen zurück. Abend auf Abend saßen sie zusammen, die Hände ineinandergelegt; aus dem so fröhlich aufklingenden »Bald« ihrer Unterhaltung war schon lange das trübe »Einst« geworden, und das rührend resignierte »Es war einmal« der Kindermärchen glitt auch bereits in die halben Worte, welche sie einander zuflüsterten.
Und die Jahre kamen und gingen; – da hielt einmal an einem ersten Advent der Stadtpastor Wendehals eine lange, einschläfernde Predigt, welche seine andächtige Gemeinde auch richtig in den süßesten Schlummer eingewiegt hatte. Plötzlich aber fuhren alle Köpfe in die Höhe, alle Augen und Ohren öffneten sich. Der ehrwürdige Herr hatte seine Rede geschlossen, räusperte sich aber von neuem und sprach weiter:
»Ferner sind gewillet, in den Stand der heiligen Ehe zu treten, der Bürger und Gerichtsschreiber Friedrich Otto Willbrand, ehelicher Sohn des weiland Bürgers und Steueraufsehers August Friedrich Willbrand, und Jungfrau Agnes Maria Bremer, eheliche Tochter des weiland Bürgers und Armenschullehrers Traugott Werner Bremer hieselbst!
Der Herr erhebe sein Angesicht über uns und gebe uns seinen Frieden – Amen!«
Ein Rauschen, ein Flüstern, ein verwirrtes Getöse verschlang den Friedenswunsch des geistlichen Herrn.
»Ah, wer hätte das gedacht?!« – – –
In dem kleinen Häuschen der Oberpfarre gegenüber wohnte vor langen Jahren eine alte kinderlose Dame mit einer ebenso bejahrten Magd. Sie war die Witwe eines bei Ligny gefallenen Majors und galt für sehr reich in der Stadt Finkenrode. Selten kam sie über die grüne Umzäunung ihres kleinen Reiches hinaus; nur an den Sonn-und Festtagen besuchte sie regelmäßig die Kirche, nach welchem Ereignis man jedesmal einen, vermittelst einer alten Zahnbürste sehr blank geputzten Taler in der Armenbüchse fand, stets das einzige Exemplar in derselben, welches daher auch in der ganzen Stadt Finkenrode »der Taler der Frau Majorin« hieß und dazu diente, die Meinungen und Vermutungen über die Reichtümer der guten alten Dame ins Fabelhafteste hinaufzuschrauben. Der einzige, welcher darüber Genaueres wissen konnte, schwieg. Es war ein greiser, stelzbeiniger Feldwebel, welcher in dem Regimente des Majors gedient und ebenfalls in Finkenrode sein letztes Quartier aufgeschlagen hatte. Dieser war auch der einzige Besucher der Frau Majorin; dieser und die alte Magd trugen ihr die Neuigkeiten der Außenwelt zu; und Eichhorn, der Feldwebel, war es, der eines Morgens, in seiner besten Uniform, mit seinen drei Medaillen vor der Brust und einer Träne an den grauen Augenwimpern, auf dem Stadtgerichte von Finkenrode erschien und das Testament der alten Dame hier niederlegte. Die alte Dame selbst aber lag in ihrer kleinen, stillen, reinlichen Kammer, in welche der Weinstock so hübsch hineinrankte, in ihrem schwarzen seidenen Kleide, auf ihrem Lager lang ausgestreckt zur ewigen Ruhe. Eine Rose hielt sie zwischen den gefalteten Händen, und ein friedliches Lächeln spielte um ihren geschlossenen Mund. In gebührender Form, nach römischem Recht, wurde das Testament an einem dazu festgesetzten Tage feierlich geöffnet, und der Invalide Eichhorn stand dabei, beide Hände auf seinen Stock gestützt, und nickte zu jedem Satze der Vorlesung beifällig mit dem Kopfe; während der Richter daran dachte, was für eine erstaunliche Neuigkeit er seiner Gemahlin nach Haus bringen werde. Fritz Willbrand und Agnes Bremer, mit denen die alte Dame nie ein Wort gesprochen hatte, – waren zu Universalerben des kleinen Vermögens und des grünen Gartenhäuschens am Rande von Finkenrode eingesetzt und knieten schon nach einer Stunde mit herzlichen Dankestränen an dem Grabhügel der Frau Majorin auf dem Stadtkirchhofe. Nach einem fünfzehnjährigen Brautstand winkte ihnen das Schicksal zu dem Bescherungstisch einer stillen, glücklichen Ehe, die sie ein Jahr nach dem Tode der alten Dame eingingen. Eichhorn, der Feldwebel, spielte gebührenderweise den Brautvater, mit einem Blumenstrauß auf der Brust über dem eisernen Kreuz. Aus einem Hausfreunde der Frau Majorin ward er ein Hausfreund der Familie Willbrand und ein Pate der kleinen Cäcilie, welche im nächsten Jahr geboren wurde in dem grünen Gartenhäuschen vor dem Burgtore der Stadt Finkenrode, und welche eine schöne bunte Tüte voll Zuckerwaren einem kleinen kecken Burschen, der verwundert in ihre Wiege lugte und Max Bösenberg genannt wurde, mitbrachte, – – –
Mitternacht! – Was würde Weitenweber zu der Stimmung gesagt haben, in welcher ich mich befand?!
Mit erneueter Macht hatte der Wind sein wüstes Treiben draußen aufgenommen. Die losen Scheiben in den Fenstern klirrten – die