Hubert Haensel

Perry Rhodan Neo Paket 1: Vision Terrania


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Techniker waren gute Leute, Männer und Frauen, die führenden Experten in ihren Disziplinen. Sie hätten für ein mehrfaches ihrer bescheidenen NASA-Gehälter in der freien Wirtschaft oder für das Militär arbeiten können, aber sie hatten sich dagegen entschieden. Der Traum von den Sternen bedeutete ihnen zu viel.

      Jetzt, da mit dem Scheitern der Mondstation ihr Traum vor dem Aus stand, waren sie nervös. Sie überspielten ihre Aufregung mit Galgenhumor, verbargen voreinander ihre Sorge. Die NOVA war ihnen unheimlich. Sie war ein mechanisches und elektronisches Wunderwerk, über dessen Befindlichkeit in jeder Sekunde Hundertschaften von Fühlern und Sonden Auskunft gaben – und das dennoch seinen eigenen, unergründlichen Willen zu besitzen schien.

      Aber solange die Techniker ihre Witze rissen, mussten sich Rhodan und seine Kameraden keine Sorgen machen. Zumindest versuchte Rhodan sich das einzureden.

      Es gab einen Ruck. Mit einem Knall sprengte sich die ausgebrannte erste Stufe der NOVA ab. Der Andruck, der Rhodan die Augen in die Höhlen und die Luft aus den Lungen gepresst hatte, verschwand übergangslos. Rhodan schnappte nach Luft. Er wand sich in den Gurten wie ein Fisch, den man aus dem Wasser gerissen hatte. Er hörte, wie seine Kameraden ebenfalls um Luft rangen.

      »Alle Systeme arbeiten einwandfrei«, sagte eine Stimme in seinem Ohr, ruhig und beherrscht. Sie gehörte Pounder. »Ihr habt dreiunddreißig Sekunden zur Erholung, Jungs!«

      Bull stöhnte auf, aber dabei blieb es. Im fehlte die Luft für die bissige Bemerkung, die ihm auf der Zunge liegen musste.

      Rhodan legte den Kopf zur Seite, sah zu seinem Kameraden. Sein Kopf war beinahe so rot wie seine Haare, als sein Herz sich bemühte, die unterversorgten Regionen seines Körper zu durchbluten. Jenseits von Bulls Kopf war ein Bullauge, zur Erde gewandt. Rhodan versuchte durch es zu sehen, probierte einen Blick auf ihre Heimatwelt zu erhaschen, die knapp 60 Kilometer unter ihnen liegen musste. Es gelang ihm nicht. Seine Augen gehorchten ihm nicht, stellten nicht scharf.

      »Noch fünf Sekunden bis zur Zündung der zweiten Stufe«, sagte Pounder. »Vier, drei, zwei, eins.«

      Der Andruck kehrte zurück, stärker noch als zuvor. Das Siebenfache ihres Körpergewichts drückte auf die Astronauten, drohte ihnen jeden Knochen zu zerbrechen, ihre Eingeweide zu zerquetschen. Rhodan wollte aufschreien, aber der Andruck reduzierte seinen Schrei zu einem Gurgeln, das im Tosen des Triebwerks der zweiten Stufe spurlos unterging.

      Rhodan, den Kopf vom Andruck in seitlicher Stellung fixiert, sah zu Bull und erkannte, dass sein Gefühl ihn nicht trog: Es sah tatsächlich so aus, als bemühten sich unsichtbare Finger, seinem Kameraden das Fleisch vom Gesicht zu ziehen.

      Nach einer Zeit, die dem Bordcomputer der STARDUST zufolge gerade sechs Minuten maß, dem Gefühl Rhodans nach aber eine mittlere Ewigkeit, war die zweite Stufe ausgebrannt.

      Mit einem Knall und einem Ruck wurde sie abgesprengt und die unwirklich anmutende Leichtigkeit der Schwerelosigkeit brach über die Männer herein.

      »Durchhalten, Jungs!«, sagte Pounder. »Das Schlimmste habt ihr hinter euch!«

      Hatte so etwas wie Mitgefühl in der Stimme des Alten mitgeschwungen? Rhodan musste sich geirrt haben. Der Andruck hatte den Blutgefäßen in seinem Gehirn zugesetzt.

      Doch in der Sache hatte Pounder recht. Die Trägerrakete der STARDUST hatte wider Erwarten zuverlässig ihren Dienst verrichtet. Übrig war von ihr lediglich noch die dritte und kleinste Stufe, die sie mit moderater Beschleunigung in Richtung Mond tragen würde. Aber davon würde Rhodan nichts bemerken ...

      »Wow, seht euch das an!« Es war Bull. Auf dem Papier war er der Angehörige der Crew, der den Andruck am schlechtesten wegsteckte. In der Praxis war das Gegenteil der Fall. Rhodan wusste, wieso: Die Versuchsanordnungen der Mediziner mochten in der Lage sein, die Physiologie Bulls exakt zu messen – aber das Wesen des Manns, der sich niemals unterkriegen ließ, blieb ihnen verborgen.

      Bull zeigte mit der behandschuhten Hand auf das Bullauge.

      Ein Ausschnitt der Erde zeichnete sich auf der Scheibe ab. Der südliche Pazifik, im Westen von den beiden grünen Inseln Neuseelands begrenzt, im Süden vom Eis der Antarktis. Sonnenlicht glitzerte auf der riesigen Wasserfläche.

      »Ist die Erde nicht wunderschön?«, fragte Bull mit entwaffnender Rührung. »Ich könnte sie tausend Mal sehen, ohne ihres Anblicks je müd...«

      Ein Stöhnen, das in ein Gurgeln überging, schnitt ihm das Wort ab. Rhodan wandte den Kopf. Die Gurte hielten ihn fest, verhinderten, dass in der Schwerelosigkeit sein ganzer Körper der Bewegung folgte. Das Gurgeln kam von Flipper. Dunkle Tropfen schwebten in seinem Helm, versperrten den Blick auf sein Gesicht, verklebten die Innenscheibe.

      »Ruhig, Flipper!« Es war Manoli. Der Arzt löste die Gurte und glitt mit einer zielstrebigen Eleganz von der Konturliege, als hätte er sein ganzes Leben in der Schwerelosigkeit verbracht. »Halt für einen Moment die Luft an! Ich bin sofort bei dir.«

      Im nächsten Moment hatte Manoli Flipper erreicht. Mit beiden Händen umfasste er die Notöffnung seines Helms. Das Visier glitt auf. Perlen der dunklen Flüssigkeit strömten aus der Öffnung und verteilten sich in der Kabine. Es war Blut.

      »Ganz ruhig«, flüsterte Manoli. »Das haben wir gleich.« Aus einer Tasche seines Anzugs holte Manoli eine kleine Pumpe hervor. Surrend sog sie die Blutstropfen ein, gab den Blick auf Flippers Gesicht frei. Der Astronaut war bleich und gleichzeitig, so schien es Rhodan, rot angelaufen vor Scham. Sein Blick war unstet, wich denen seiner Kameraden aus.

      »Den Mund auf bitte«, flüsterte Manoli. Flipper folgte der Aufforderung. »Wie ich es mir gedacht habe: die Zunge«, stellte der Arzt fest. Er zog einen weiteren Gegenstand aus einer Tasche. Er erinnerte an eine geschrumpfte Spraydose, und das war er auch, in gewissem Sinne: Rhodan hörte leises Zischen.

      »Sprühplasma«, erklärte der Arzt. »Bis wir auf dem Mond sind, ist deine Zunge besser als neu, Clark.« Er klopfte dem Kameraden aufmunternd auf die Schulter, stieß sich ab und schnallte sich wieder auf seiner Liege fest.

      Clark Flipper holte tief Luft und suchte tapfer Blickkontakt mit Rhodan. »Ein Anfängerfehler«, flüsterte er mit Tränen in den Augen. »Ein bescheuerter Anfängerfehler! Es tut mir leid, Perry. Es wird nicht mehr vorkommen. Ich verspreche es.«

      Rhodan winkte ab. »Mach dir keine Gedanken, Clark. Es hätte jedem von uns passieren können.«

      »Aber ich ...«

      »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du ...«

      »Was ist bei Ihnen da oben los, Rhodan?«, unterbrach ihn die Stimme Pounders. »Meine Medizinmänner berichten mir, dass Sie und ihre Männer über die festgelegten Parameter aufgeregt sind. Ihr Puls und Blutdruck liegen weit über dem Soll.«

      Rhodan winkte dem in seiner Liege vor Scham zusammengesunkenen Flipper beruhigend zu, dann sagte er: »Nichts Ungewöhnliches, Pounder, wir sind eben aufgeregt.«

      »Und wie – das sehe ich! Ich will wissen, was bei Ihnen da oben los ist!«

      »Nichts. Wir sind außergewöhnlich aufgeregt, weil wir uns auf einer außergewöhnlichen Mission befinden. Was ist daran außergewöhnlich?«

      Rhodan hörte, wie Pounder 200 Kilometer tiefer im Kontrollcenter von Nevada Fields scharf die Luft einsog. Pounder war Widerspruch nicht gewohnt. Er setzte an: »Sie ...« Er unterbrach sich und fuhr fort: »Sie haben recht, Rhodan.«

      »Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis, Sir. Wir fahren wie geplant fort? Tiefschlaf?«

      »Natürlich!«

      »Ihr habt Pounder gehört«, wandte sich Rhodan an seine Crew. »Flipper, Manoli und ich gehen in den Tiefschlaf. Bull sorgt dafür, dass die STARDUST den Mond nicht verfehlt. Ich werde ihn beizeiten ablösen, klar?«

      Er bekam keine Antwort. »Gut, dann los!«

      Flipper wischte sich die Tränen aus den Augen und setzte wieder den Helm auf. Dann warf er Rhodan einen dankbaren Blick zu und löste die Injektion aus. Einen Augenblick später erschlaffte