Готфрид Келлер

Gesammelte Werke von Gottfried Keller


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die Nägel mit zornigen Schlägen in das Holz, daß das Haus davon widerhallte; denn mit jedem Nagel, den er einschlug, nahm er sich gewisser vor, am nächsten Tage fortzugehen, und so dünkte es ihn, als nagle er seinen eigenen Sarg zu. Aber nach jedem Schlage schallte ein klangreiches Gelächter oder ein fröhlicher Triller aus den oberen Gängen des Hauses, die Mädchen jagten hin und her und schlugen die Türen auf und zu. Dies bewirkte, daß Heinrich auf sein Zimmer ging und gleich auch den Reisekoffer packte. Als er damit fertig war, ging er höchst schwermütig, aber gefaßt ins Freie und nach dem Kirchhofe; dort setzte er sich auf eine Bank und hoffte, Dortchen werde etwa herkommen und er wenigstens einige Minuten noch allein und ohne Bosheit bei ihr sitzen können, um sie noch einmal recht anzusehen. Sie kam auch richtig nach einer Viertelstunde herangerauscht, aber von der Gärtnerstochter und dem großen Haushunde begleitet. Da entfernte er sich eiligst, glaubend, sie hätten ihn noch nicht gesehen, und lief hinter die Kirche. Als er dort die Mädchen wieder sprechen und lachen hörte, ging er in der Verwirrung in das Pfarrhaus hinein, das ganz in der Nähe war, und traf den Pfarrer essend am Tische sitzen, über den die Nachmittagssonne friedlich wegschien. Heinrich setzte sich zu ihm und sah ihm zu. »Ich esse hier mein Vesperbrötchen«, sagte der Pfarrer, »wollen Sie nicht mithalten?« – »Ich danke«, erwiderte Heinrich, »wenn Sie erlauben, so will ich Ihnen sonst ein wenig Gesellschaft leisten!« – »Das sind mir junge Leute heutzutage«, sagte der Hochwürdige, »das hat ja gar keinen ordentlichen deutschen Appetit mehr! Na, die Gedanken sind auch danach, da kann freilich nicht viel anderes herauskommen als nichts und aber nichts!« Der Pfarrer merkte nicht, wie materialistisch er sich mit dieser speiselustigen Rede selbst ins Gesicht schlug, sondern war eifrig mit der großen Schüssel beschäftigt, die vor ihm stand. Dieselbe enthielt viele Anhängsel eines frischgeschlachteten Schweines, nämlich die Ohren, die Schnauze und den Ringelschwanz, alles soeben gekocht und dem Geistlichen lieblich in die Nase duftend. Er pries das aufgetürmte Gericht als unübertrefflich an einfacher Zartheit und Unschuld und trank einen tüchtigen Krug braunen klaren Bieres dazu.

      Als Heinrich fünf Minuten traurig dagesessen und dem Pastor zugesehen hatte, klopfte es an der Tür, und Dorothea trat, nur von dem schönen Hunde begleitet, anmutig und höflich herein und schien aber ein ganz klein bißchen befangen zu sein. »Ich will die Herren nicht stören«, sagte sie, »ich wollte Sie nur bitten, Herr Pfarrer, heute abend bei uns zu sein, da Herr Lee morgen fortreist; Sie sind doch nicht abgehalten?« – »Gewiß werde ich kommen«, erwiderte der Pfarrer, der sich schon wieder gesetzt hatte, »bitte, mein Liebster, holen Sie doch einen Stuhl für das Fräulein!« Heinrich tat dies mit großer Herzensfreude und stellte einen zweiten Stuhl an den Tisch, sich gegenüber. »Danke schön!« sagte Dortchen, freundlich lächelnd und zierlich vor sich niedersehend, indem sie Platz nahm. Nun war Heinrich doch glückselig, da er in der sonnigen und wohnlichen Pfarrersstube ihr gegenübersaß und sie sich so gutmütig und still verhielt. Der Pfarrer, obgleich er fortaß, sprach immer, und die beiden Leutchen brauchten ihm nur zuzuhören, indes der Hund mit feurigen Augen und offenem Maule nach der Schüssel starrte. »Ach, der arme Hund, wie es ihn gelüstet«, sagte Dortchen, »essen Sie dies auch, Herr Pfarrer? oder erlauben Sie, daß ich es ihm gebe?« Sie zeigte hiebei auf das krumme Schwänzchen, das sich manierlich auf dem Rande der Schüssel darstellte. »Dies Sauschwänzchen?« sagte der Pfarrer, »nein, mein Fräulein! das können Sie ihm nicht geben, das eß ich selbst! Warten Sie, hier ist was für ihn!« und er setzte dem gierigen Tiere einen Teller vor, in welchen er allerlei Knöchelchen und Knorpelwerk geworfen hatte. Dortchen und Heinrich sahen sich unwillkürlich einander an und mußten lächeln, nicht über den Pfarrer aus Spott, sondern weil seine vergnügte und selbstzufriedene Freude an dem Sauschwänzchen so lustig war. Auch der Hund, der sich eifrig und begierig mit seinen Knorpeln unterhielt, vermehrte durch seine Behaglichkeit die gute Stimmung der jungen Leute. Dortchen streichelte ihm den Kopf, als Heinrich ihm den Rücken streichelte, und als sie mit ihrer Hand achtlos der seinigen zu begegnen Gefahr lief, wich er ihr aus, wofür sie ihn, irgendeine gleichgültige Frage benutzend, um so freundlicher ansah.

      Am offenen Fenster blühte ein Apfelbaum, und weiße Schmetterlinge flogen in die Stube, und als es nun gar so lieblich war, dazusitzen der Lieblichen gegenüber, konnte Heinrich nicht anders, als er mußte sich den Pfarrer noch hinwegdenken, die Stabe zu seiner eigenen machen und sich vorstellen, als wäre Dortchen seine junge Frau und säße an einem solchen Mainachmittage am weißgedeckten Tische herzensallein ihm gegenüber. Heiß werdend und verlegen, streichelte er wieder den Hund, und nun fiel ihm plötzlich ein, wie er vor Jahren mit dem ganz jungen Mädchen ja schon einmal gemeinschaftlich einen Hund geliebkost habe, ohne zu ahnen, daß es je wieder begegnen würde. Nun ist sie groß und schön geworden, dachte er, was er freilich schon am ersten Tage Gelegenheit hatte zu bemerken, und wenn abermals eine Reihe von Jahren dahin ist, so wird sie dem Alter entgegengehen und zuletzt dem Tode! Ist es möglich, daß dies Wesen und diese Lieblichkeit vergehen soll? Es ergriff ihn heftiges Leiden um sie, und es schien ihm beim Himmel nicht möglich und nicht möglich zu sein, daß sie anders als in seinen Armen glücklich und zufrieden alt werden könne. Er fühlte, daß ihm sogleich die Augen übergehen würden, stand auf und sagte »Ich muß gehen, ich habe noch viel Zu tun.« Er verbeugte sich verzweifelt, Dortchen stand überrascht auf und verbeugte sich ebenfalls, und dies war sehr komisch und wehmütig, da beide bei dem einfachen Tone, der in dem Hause herrschte, sich längst nicht mehr gegeneinander verbeugt hatten, sondern sich aufrecht begrüßten.

      Heinrich lief in die Kirche hinein, um sich zu verbergen, und da dort ein altes Mütterchen knieete und ihr Vaterunser betete, so flüchtete er in die Sakristei und setzte sich dort in einen dunklen Winkel, um unaufhaltsam zu weinen und zu schluchzen. Werfe niemand einen Stein auf ihn, weil er schwach war; denn diese Schwäche war nur der Gegenpol und die Kehrseite der Tiefe und Kraft, mit welcher er das Leben zu empfinden fähig wurde in diesem Hause, und nur wer den heißen Sonnenschein, die leuchtende Trockenheit des Glückes recht voll und anhaltend zu ertragen berufen ist, wird solcher Schwäche teilhaftig, wenn die Sonne sich verhüllt. So saß er eine gute halbe Stunde, und es war ihm so elend zu Mute wie noch gar nie in seinem Leben. Denn alles ging ihm durch den Sinn, was er wollte und hoffte, und formte sich sämtlich in das Bild des einzigen Dortchens, dem zu Ehren und zu Lieb er allein alles tun und erleben mochte, was ihm irgend beschieden war.

      Die Sakristei war der älteste Teil der ziemlich ansehnlichen Kirche und bestand aus einer uralten Kapelle, die zuerst auf diesem Platze gestanden. Es war ein dunkles romanisches Gewölbe, dessen Fenster zum großen Teil vermauert waren, und man hatte hier viele Gegenstände hingebracht und aufgestapelt, welche im Laufe der Zeit den Raum in der eigentlichen Kirche beengt.

      Vorzüglich aber ragte ein großes Grabmal hervor von schwarzem Marmor, auf welchem, aus dem gleichen Stein gehauen, ein langer Ritter ausgestreckt lag, die Hände auf der Brust gefaltet. An seiner linken Seite, auf dem Kranze des Sarkophags, stand eine verschlossene Büchse von Erz, reich gearbeitet und mittelst einer ehernen Kette an dem Marmor befestigt. Sie enthielt das vertrocknete Herz des Ritters, und sein Wappen war auf ihr eingegraben. Die Büchse und die feine Kette waren gänzlich oxydiert und schillerten schön grün im Zwielicht der Sakristei. Das Grabmal aber gehörte, laut den Hausberichten, einem französischen Ritter an, welcher von wilder und heftiger, aber ehrlicher und verliebter Natur gewesen und dessen Herz, als er vor allerhand Unstern und Frauenmißhandlung flüchtig herumzog, in dieser Gegend gewaltsam gebrochen war. Dies war zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts geschehen, und seine Familie hatte hier, wo er in den letzten Tagen gepflegt worden, das Grabmal errichten lassen. Dasselbe vor Augen, saß Heinrich nun da in seinem Winkel zwischen alten Tabernakeln und Prozessionsgerätschaften, als er hörte, daß wieder Leute in die Kirche traten. Es schienen zwei Frauenzimmer zu sein, und bald unterschied er Dortchens und Apollönchens Stimme, die miteinander leise sprachen. Sie schienen diesmal nicht zu lachen, sondern angelegentlich etwas zu beraten. Doch bald war ihnen der Ernst zu lang, und sie kamen in die Sakristei hereingehuscht, indem Dortchen rief »Komm, wir wollen den verliebten Ritter besehen!« Sie stellten sich dicht vor das Grabmal und gafften dem starren Rittersmann neugierig in das dunkle ehrliche Gesicht. »O Gott! ich fürchte mich!« flüsterte Apollönchen, »wir wollen hinausgehen!« – »Warum denn, Närrchen?« sagte Dortchen laut, »der tut niemand was zuleid! Sieh, wie es ein guter Kerl ist!« Sie nahm das erzene Gefäß in die Hand und wog es bedächtig; aber plötzlich schüttelte sie es, so stark sie konnte, auf und nieder,