Готфрид Келлер

Gesammelte Werke von Gottfried Keller


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immer zu Kleinlichkeit und Laune führt; sie steht auch höher als das Genießen und Absondern nach Stimmungen und romantischen Liebhabereien, und nur sie allein vermag eine gleichmäßige und dauernde Glut zu geben. Es kam mir nun alles und immer neu, schön und merkwürdig vor, und ich begann, nicht nur die Form, sondern auch den Inhalt, das Wesen und die Geschichte der Dinge zu sehen und zu lieben. Obgleich ich nicht stracks mit einem solchen fix und fertigen Bewußtsein herumlief, so entsprang das nach und nach Erwachende doch durchaus aus jenen dreißig Tagen, so wie deren Gesamteindrucke noch folgende Ergebnisse ursprünglich zuzuschreiben sind.

      Nur die Ruhe in der Bewegung hält die Welt und macht den Mann; die Welt ist innerlich ruhig und still, und so muß es auch der Mann sein, der sie verstehen und als ein wirkender Teil von ihr sich widerspiegeln will. Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verscheucht es; Gott hält sich mäuschenstill, darum bewegt sich die Welt um ihn. Für den künstlerischen Menschen nun wäre dies so anzuwenden, daß er sich eher leidend und zusehend verhalten und die Dinge an sich vorüberziehen lassen als ihnen nachjagen soll; denn wer in einem festlichen Zuge mitzieht, kann denselben nicht so beschreiben wie der, welcher am Wege steht. Dieser ist darum nicht überflüssig oder müßig, und der Seher ist erst das ganze Leben des Gesehenen, und wenn er ein rechter Seher ist, so kommt der Augenblick, wo er sich dem Zuge anschließt mit seinem goldenen Spiegel, gleich dem achten Könige im Macbeth, der in seinem Spiegel noch viele Könige sehen ließ. Auch nicht ohne äußere Tat und Mühe ist das Sehen des ruhig Leidenden, gleichwie der Zuschauer eines Festzuges genug Mühe hat, einen guten Platz zu erringen oder zu behaupten. Dies ist die Erhaltung der Freiheit und Unbescholtenheit unserer Augen.

      Ferner ging eine Umwandlung vor in meiner Anschauung vom Poetischen. Ich hatte mir, ohne zu wissen wann und wie, angewöhnt, alles, was ich in Leben und Kunst als brauchbar, gut und schön befand, poetisch zu nennen, und selbst die Gegenstände meines erwählten Berufes, Farben wie Formen, nannte ich nicht malerisch, sondern immer poetisch, so gut wie alle menschlichen Ereignisse, welche mich anregend berührten. Dies war nun, wie ich glaube, ganz in der Ordnung, denn es ist das gleiche Gesetz, welches die verschiedenen Dinge poetisch oder der Widerspiegelung ihres Lebens wert macht; aber in bezug auf manches, was ich bisher poetisch nannte, lernte ich nun, daß das Unbegreifliche und Unmögliche, das Abenteuerliche und Überschwengliche nicht poetisch sind und daß, wie dort die Ruhe und Stille in der Bewegung, hier nur Schlichtheit und Ehrlichkeit mitten in Glanz und Gestalten herrschen müssen, um etwas Poetisches oder, was gleichbedeutend ist, etwas Lebendiges und Vernünftiges hervorzubringen, mit einem Wort, daß die sogenannte Zwecklosigkeit der Kunst nicht mit Grundlosigkeit verwechselt werden darf. Dies ist zwar eine alte Geschichte, indem man schon im Aristoteles ersehen kann, daß seine stofflichen Betrachtungen über die prosaisch-politische Redekunst zugleich die besten Rezepte auch für den Dichter sind.

      Denn wie es mir scheint, geht alles richtige Bestreben auf Vereinfachung, Zurückführung und Vereinigung des scheinbar Getrennten und Verschiedenen auf einen Lebensgrund, und in diesem Bestreben das Notwendige und Einfache mit Kraft und Fülle und in seinem ganzen Wesen darzustellen, ist Kunst; darum unterscheiden sich die Künstler nur dadurch von den anderen Menschen, daß sie das Wesentliche gleich sehen und es mit Fülle darzustellen wissen, während die anderen dies wiedererkennen müssen und darüber erstaunen, und darum sind auch alle die keine Meister, zu deren Verständnis es einer besonderen Geschmacksrichtung oder einer künstlichen Schule bedarf.

      Ich hatte es weder mit dem menschlichen Wort noch mit der menschlichen Gestalt zu tun und fühlte mich nur glücklich und zufrieden, daß ich auf das bescheidenste Gebiet mit meinen Fuß setzen konnte, auf den irdischen Grund und Boden, auf dem sich der Mensch bewegt, und so in der poetischen Welt wenigstens einen Teppichbewahrer abgeben durfte. Goethe hatte ja viel und mit Liebe von landschaftlichen Dingen gesprochen, und durch diese Brücke glaubte ich ohne Unbescheidenheit mich ein wenig mit seiner Welt verbinden zu können.

      Ich wollte sogleich anfangen, nun so recht mit Liebe und Aufmerksamkeit die Dinge zu behandeln und mich ganz an die Natur zu halten, nichts Überflüssiges oder Müßiges zu machen und mir bei jedem Striche ganz klar zu sein. Im Geiste sah ich schon einen reichen Schatz von Arbeiten vor mir, welche alle hübsch, wert- und gehaltvoll aussahen, angefüllt mit zarten und starken Strichen, von denen keiner ohne Bedeutung war. Ich setzte mich ins Freie, um das erste Blatt dieser vortrefflichen Sammlung zu beginnen; aber nun ergab es sich, daß ich eben da fortfahren mußte, wo ich zuletzt aufgehört hatte, und daß ich durchaus nicht imstande war, plötzlich etwas Neues zu schaffen, weil ich dazu erst etwas Neues hätte sehen müssen. Da mir aber nicht ein Blatt eines Meisters zu Gebote stand und die prächtigen Blätter meiner Phantasie sogleich in nichts sich auflösten, wenn ich den Stift auf das Papier setzte, so brachte ich ein trübseliges Gekritzel zustande, indem ich aus meiner alten Weise herauszukommen suchte, welche ich verachtete, während ich sie jetzt sogar nur verdarb. So quälte ich mich mehrere Tage herum, in Gedanken immer eine gute und sachgemäße Arbeit sehend, aber ratlos mit der Hand. Es wurde mir angst und bange, ich glaubte jetzt sogleich verzweifeln zu müssen, wenn es mir nicht gelänge, und seufzend bat ich Gott, mir aus der Klemme zu helfen. Ich betete noch mit den gleichen kindlichen Worten wie schon vor zehn Jahren, immer das gleiche wiederholend, so daß es mir selbst auffiel, als ich halblaut vor mich hinflüsterte. Darüber nachsinnend, hielt ich mit der hastigen Arbeit inne und sah in Gedanken verloren auf das Papier und mit einem wehmütigen Lächeln. Da überschattete sich plötzlich der weiße Bogen auf meinen Knien, der vorher von der Sonne beglänzt war; erschrocken schaute ich um und sah einen ansehnlichen, fremd gekleideten Mann hinter mir stehen, welcher den Schatten verursachte. Er war groß und schlank, hatte ein bedeutsames und ernstes Gesicht mit einer stark gebogenen Nase und einem sorgfältig gedrehten Schnurrbart und trug sehr feine Wäsche. In hochdeutscher Sprache redete er mich an »Darf man wohl ein wenig Ihre Arbeit besehen, junger Herr?« Halb erfreut und halb verlegen hielt ich meine Zeichnung hin, welche er einige Augenblicke aufmerksam besah; dann fragte er mich, ob ich noch mehr in meiner Mappe bei mir hätte und ob ich wirklicher Künstler werden wollte. Ich trug allerdings immer einen Vorrat des zuletzt Gemachten mit mir herum, wenn ich nach der Natur zeichnete, um jedenfalls etwas zu tragen, wenn ich einen unergiebigen Tag hatte, und während ich nun die Sachen nach und nach hervorzog, erzählte ich fleißig und zutraulich meine bisherigen Künstlerschicksale; denn ich merkte sogleich an der Art, wie der Fremde die Sachen ansah, daß er es verstand, wo nicht selbst ein Künstler war. Dies bestätigte sich auch sogleich, als er mich auf meine Hauptfehler aufmerksam machte, die Studie, welche ich gerade vorhatte, mit der Natur verglich und mir an letzterer selbst das Wesentliche hervorhob und mich es sehen lehrte. Ich fühlte mich überglücklich und hielt mich ganz still, wie jemand, der sich vergnüglich eine Wohltat erzeigen läßt, als er einige Laubpartien auf meinem Papier mit ihrem Vorbilde in der Natur verglich, mir zeigte, wie ich es ganz anders machen müßte, Schatten und Licht klarmachte und auf dem Rande des Blattes mit einigen mühlosen Meisterstrichen das herstellte, was ich vergeblich gesucht hatte. Er blieb wohl eine halbe Stunde bei mir, dann sagte er: »Sie haben vorhin den wackern Habersaat genannt; wissen Sie, daß ich vor fünfzehn Jahren auch ein dienstbarer Geist in seinem verwünschten Kloster war? Ich habe mich aber beizeiten aus dem Staube gemacht und bin seither immer in Italien und Frankreich gewesen. Ich bin Landschafter, heiße Römer und gedenke mich eine Zeitlang in meiner Heimat aufzuhalten. Es soll mich freuen, wenn ich Ihnen etwas nachhelfen kann, ich habe viele Sachen bei mir, besuchen Sie mich einmal, oder kommen Sie gleich mit mir nach Hause, wenn’s Ihnen recht ist!«

      Ich packte eilig zusammen und begleitete in feierlicher Stimmung den Herrn Römer und mit nicht geringem Stolze. Ich hatte oft von ihm sprechen gehört; denn er war eine der großen Sagen des Refektoriums, und Meister Habersaat tat sich nicht wenig darauf zu gut, wenn es hieß, sein ehemaliger Schüler Römer sei ein berühmter Aquarellist in Rom und verkaufe seine Arbeiten nur an Fürsten und Engländer. Auf dem Wege, solange wir noch im Freien waren, zeigte mir Römer allerlei gute Dinge in der Natur, sei es in Licht und Tönen, sei es in Form und Charakter. Aufmerksam begeistert sah ich hin, wo er mit der Hand fein wegstreichend hindeutete; ich war erstaunt, zu entdecken, daß ich eigentlich, so gut ich erst kürzlich noch zu sehen geglaubt, noch gar nichts gesehen hatte, und ich staunte noch mehr, das Bedeutende und Lehrreiche nun meistens in Erscheinungen zu finden, die ich vorher entweder übersehen oder wenig beachtet. Jedoch freute ich mich, sogleich zu verstehen, was mein Begleiter