Erich von Drygalski

Zum Kontinent des eisigen Südens


Скачать книгу

worden, und zwar der Zweite Bootsmann, der Koch und ein Matrose als die Anstifter der Unruhen, zwei andere wegen kleinerer Vergehen gegen die Disziplin und der sechste auf seinen eigenen Wunsch. Ein Ersatz hatte sich wunderbar leicht gefunden, indem viele damals in Südafrika zusammengeströmte Elemente, die teilweise schon ein abenteuerliches Leben hinter sich hatten, durch unsere Expedition angelockt wurden, und so war am Abend des 6. Dezember unser Bedarf an Besatzung wieder gedeckt.

      In allerletzter Stunde erschienen über den richtigen Bestand hinaus noch zwei junge schwedische Matrosen an Bord, die einer dort liegenden schwedischen Bark entlaufen waren, beide aus guter Familie und nur von dem dringenden Wunsch beseelt, die Expedition begleiten zu dürfen. Viel Zeit zur Überlegung oder zu Erörterungen gab es nicht mehr; die Gäste hatten sich eingefunden und die Taue wurden losgeworfen.

      Um 12 Uhr mittags am 7. Dezember 1901 konnte also die Abfahrt vonstattengehen. Von der Kommandobrücke des »Gauß« entbot uns Herr von Lindequist den letzten Abschied des Reiches; die Schiffe im Hafen hatten Flaggenschmuck angelegt, von dem Kai spielte die Militärkapelle deutsche Lieder, unsere Gäste folgten in einem kleinen Dampfer bis in die äußere Bucht.

      Eine starke Dünung aus Südwesten empfing uns, und der »Gauß« begann stark zu rollen. Aus dem Laboratorium erklang das verderbliche Klingen der Gläser; in den Kabinen und im Salon rollten die vielen Blumenspenden und andere Geschenke, die uns Freunde in Kapstadt gesandt hatten, wirr durcheinander. So stürzte, als kaum die letzten Gesänge verklungen waren, alles von der Kommandobrücke herab, um zu retten, was noch zu retten war, wirklich ein starker Kontrast.

      Langsam und wehmutsvoll haben wir unsere Kabinen geordnet und begaben uns danach frühzeitig zur Ruhe.

      Über die Crozetinseln

      nach den Kerguelen

      Die Fahrt um das Kap der Guten Hoffnung ist im Sommer verhältnismäßig leicht, während sie im Winter Schwierigkeiten bereitet.

      Auch wir merkten diesen Gegensatz bald. Schon am Tag nach unserer Abfahrt wurde eine starke Erwärmung des Meerwassers beobachtet und seine Farbe wurde blau, während sie am Tag vorher schmutzig grün gewesen war. Wir hatten den Agulhasstrom also erreicht, standen aber noch in Sicht des Landes.

      Am 11. Dezember näherten wir uns der südlichen Grenze des warmen Agulhasstroms und nahmen an der wirren Bewegung des Wassers wahr, wie er hier mit der entgegengesetzten Strömung der Westwindregionen kämpfte.

      Mit der Wärme der Wasseroberfläche sank auch die Lufttemperatur schnell und die Tropenkleidungen verschwanden. Wir befanden uns in dem kühlen Wasser des subantarktischen Meeres.

      Am 11. Dezember haben wir zum ersten Mal wieder gelotet, was bei den heftigen Bewegungen des Schiffes nicht leicht war. In Kapstadt hatten wir aber unsere Ausrüstung durch eine kleine Dampfmaschine ergänzt, die das Aufwinden des Drahtes wesentlich erleichterte; für das Heben von 100 m wurden von nun an gleichmäßig 46 bis 50 Sekunden gebraucht.

      Wir fuhren in der Folgezeit meistens nur unter Segeln; doch Dampf war angestellt und wurde immer benutzt, wenn der Wind ungünstiger wurde, sodass wir andauernd schnelle Fahrt hatten. Den Kurs legte ich über die Crozetinseln nach den Kerguelen.

      Das Wetter war anhaltend stürmisch, wenn auch vielfach die Sonne dabei schien. Die See war so unruhig, dass alle Arbeiten wesentlich erschwert wurden. Bei den magnetischen Beobachtungen sprang einmal durch das Schlingern des Schiffes die Nadel aus ihren Lagern heraus, und bei den Lotungen musste man sich mit Händen und Füßen halten, weil die Lotungsbrücke bisweilen fast bis ins Wasser tauchte. Das Schiff schöpfte von beiden Seiten und knietief schälte das Wasser auf Deck, mitunter auch bis in die inneren Räume des Schiffes hinein. Bei den Schöpf- und Temperaturserien band ich von nun an nie mehr als zwei Instrumente zugleich an den Draht, weil sie immer stark gefährdet waren.

      Am 20. Dezember wurde im Bodenschlamm die erste Verbindung mit dem Eismeer verspürt; kantige Feldspatstücke darin deuteten auf einen Transport durch Eisberge hin. An diesem Tag hatten wir das seltene Schauspiel, eine Herde von etwa hundert Walen in unmittelbarer Nähe zu sehen. Sie spielten um das Schiff, sprangen im Wasser umher, legten sich auf den Rücken oder standen auch senkrecht, nur mit dem stumpfen Kopf oder mit dem Schwanz aus dem Wasser emportauchend. Sie hatten weiße Kehle und Bauch, eine scharfe Rückenflosse und dahinter einen länglichen weißen Fleck; auch weiße Streifen an der Seite wurden gesehen. Es waren alte und junge, die hier mit Sicherheit als Grindwale erkannt werden konnten.

      Am Morgen des 21. Dezember wurde ich in aller Frühe gerufen, weil ein großer Dampfer auf uns zuhielt. Es war ein Schiff der White-Star-Linie aus Aberdeen. Er kam dicht an uns heran, brachte drei Hurras, wir hissten »Alles wohl an Bord« und hatten damit unsere letzte Begegnung mit der Kulturwelt gehabt. Am 21. haben wir Hagel gehabt und in der Nacht auf den 22. Schnee. Am 23. Dezember kam dichter Nebel auf.

      In einem lichten Augenblick um die Mittagszeit des 24. Dezember war es dann, als plötzlich an Backbord ein großer Eisberg erschien und gleich darauf an Steuerbord noch ein zweiter. Diese ersten so weit nach Norden vorgeschobenen Boten der Antarktis erregten große Sensation.

      So gab es am Weihnachtstag Aufregung genug. Nichtsdestoweniger feierten wir ein friedliches, schönes Fest. Bei rollendem Schiff wurden am Nachmittag ein künstlicher Baum geschmückt und die zahlreichen Geschenke aufgebaut, die uns von fern und nah zugeströmt waren. Um 4 Uhr wurden die Lichter angezündet und alle dazu gerufen, die an Deck irgendwie entbehrlich waren. Wir sangen »Stille Nacht, heilige Nacht« und gingen dann zur Bescherung. Jeder Mann erhielt Zigarren, Tabak, Pfefferkuchen und ein Liederbuch, das allen willkommen war; andere Geschenke wurden verlost. In späterer Abendstunde versammelten wir uns dann um eine Punschbowle, bei welcher eine vorzügliche Weihnachtszeitung große Freude erregte. Während das Nebelhorn oben ertönte, der Sturm wuchs und die im Dienst befindlichen Seeleute ab und zu liefen, erfreuten wir uns unten des heimischen Festes.

images

       Lotung in schwerer See

      (Quelle: Drygalski-Nachlass, Privatbesitz Mörder, Feldkirchen-Westenham)

      Am Morgen des 25. Dezember wurde ich um 5 Uhr mit der Nachricht geweckt, dass die Inseln hervorkämen. Vor uns lag die Possessioninsel mit flach geneigten, breiteren Formen, die höheren Gipfel von Nebelwolken gekrönt, und rechts davon die Ostinsel als steiles Kastell aus dem Meer emporsteigend, oben gänzlich von Wolken bedeckt.

      Die Küste selbst ist steil und in der Wasserlinie von tiefen Grotten durchbrochen, in welchen die Wogen branden und schäumen. Man erkennt in ihnen den Kampf der Wellen mit dem Land, wie sie dieses mit starker Kraft unterhöhlen, sodass die Steine von oben nachstürzen, die Felsen herunterbrechen und eine Steilküste entsteht.

      Wir fuhren an der Südostküste entlang und spähten nach einer Landungsstelle aus; doch keine der Buchten schien dafür groß genug und geeignet zu sein. Ich beschloss, die Ausbootung zu versuchen, und es ging trotz stark bewegter See und schweren, böigen Windstößen wunderbar gut.

      Am Ufer fanden wir ein paradiesisches Tieridyll vor. See-Elephanten lagen wie dicke Fettsäcke am Strand, mächtige Tiere, die bis 6 m lang werden können, mit stumpfer Schnauze.

      Auf den Felsenstufen umher standen massenhaft Pinguine, von denen zwei Arten erkannt und gesammelt wurden, nämlich der Esels- und der Goldhaarpinguin.

      Auf der Höhe der Stufe über der Bucht umschwirrten uns zahlreiche Enten, von denen mehrere erbeutet wurden, und viele Raubmöwen; auch ein Kormoran wurde zwischen den Pinguinen geschossen, und draußen bei der Fahrt längs der Küste waren wir von diesen Vögeln in großen Scharen umschwärmt. Am Ufer liefen die weißen Chionis, der Scheidenschnabel, ein Uferläufer umher, und ließen sich mit leichter Mühe erbeuten, während der Riesensturmvogel (Ossifraga gigantea), eine Mahlzeit erwartend, umherflog.

      Wir nahmen von diesen Tieren, so viel wir brauchten, nämlich zwei Seeelephanten, den einen zur Nahrung und den anderen für die Sammlungen; auch acht lebende Pinguine wurden mit an Bord gebracht, welche bei dem Schwanken des