der Stier bekommt nie Ruhe. Und wenn er dann ganz erschöpft und nicht mehr schnell genug ist, sticht der Matador ihn mit dem Schwert ab.«
Jetzt war die Reihe an die Banderilleros gekommen. Dreimal versuchte einer von ihnen, die Wurfpfeile anzubringen. Dreimal missglückte es ihm. Er verwundete den Stier nur und machte ihn rasend. Sie wissen, diese Banderillas müssen in die Schulter eindringen, je zwei auf einmal zu jeder Seite des Rückgrats, dicht daneben. Wird nur eine angebracht, so ist es missglückt. Das Publikum pfiff und rief nach Ordonez. Und da machte Ordonez etwas Fabelhaftes. Viermal trat er vor, und viermal brachte er gleich beim ersten Versuch seine Banderillas an, sodass acht Stück schön geordnet aus dem Rücken des Stiers auf einmal herausragten. Das Publikum war ganz verrückt, und ein Regen von Hüten und Geldstücken fiel in den Sand der Arena.
Aber eben in diesem Augenblick griff der Stier unerwartet einen Kapeador an. Der Mann glitt aus und verlor seine Geistesgegenwart. Der Stier kriegte ihn – glücklicherweise zwischen die weit auseinanderstehenden Hörner. Und während das Publikum in atemlosem Schweigen wartete, sprang John Harned auf und schrie vor Freude. In dem tiefen Schweigen von allen anderen schrie John Harned. Und er schrie vor Freude über den Stier. Sie sehen selbst: John Harned wünschte, dass der Mann getötet würde. Er war ein brutaler Mensch. Dies unpassende Benehmen empörte die Leute, die in der Loge des Generals Salazar saßen, und sie begannen, John Harned zu beschimpfen. Und Urcisino Castillo sagte ihm ins Gesicht, dass er ein Hund von einem Gringo wäre und dergleichen mehr. Aber er sagte es auf Spanisch, und John Harned verstand es nicht. Er stand da und schrie, vielleicht zehn Sekunden lang, bis der Stier zu einem Angriff auf die anderen Kapeadore verlockt wurde und der erste sich unverletzt erhob.
»Der Stier hat keine Chance«, sagte John Harned traurig, indem er sich setzte. »Der Mann ist unbeschädigt. Sie haben den Stier angeführt.« Dann wandte er sich zu Maria Valenzuela und sagte: »Ich bitte Sie um Verzeihung, ich war aufgeregt.«
Sie lächelte und gab ihm einen Verweis, indem sie ihm mit dem Fächer auf den Arm schlug.
»Es ist Ihr erster Stierkampf«, sagte sie. »Wenn Sie erst mehrere gesehen haben, werden Sie nicht schreien und wünschen, dass der Mann getötet wird. Ihr Amerikaner seid brutaler als wir, wie Sie sehen. Das kommt von Euern Boxkämpfen. Wir kommen nur, um zu sehen, wie der Stier getötet wird.«
»Aber ich will nur, dass der Stier eine Chance hat«, antwortete er. »Zweifellos werde ich mich allmählich nicht mehr über die Menschen ärgern, die den Stier anführen.«
Die Hörner gaben das Totensignal. Ordonez trat mit dem Schwert und dem scharlachroten Tuch vor, aber der Stier hatte sich besonnen und wollte nicht kämpfen. Ordonez stampfte mit dem Fuß auf den Sand, schrie und rief und schwang das scharlachrote Tuch. Das griff der Stier an, aber ohne Beherztheit. Es war keine Kraft in dem Angriff. Der Stoß war schlecht. Das Schwert stieß gegen einen Knochen und bog sich. Ordonez nahm eine neue Klinge. Der Stier, den die Verwundung aufreizte, griff noch einmal an. Fünfmal versuchte Ordonez den Stoß, aber jedes Mal ging die Klinge entweder nur halb hinein oder stieß gegen einen Knochen. Beim sechsten Male fraß sich die Klinge bis zum Griff hinein. Aber es war ein schlechter Stoß, das Schwert traf nicht das Herz, es fuhr links zwischen den Rippen hinein und auf der anderen Seite wieder heraus. Das Publikum pfiff den Matador aus. Ich warf einen Blick auf John Harned. Er saß schweigend da, ohne sich zu rühren, aber ich konnte sehen, dass er die Zähne zusammenbiss und dass seine Hände krampfhaft die Logenbrüstung gepackt hatten.
Es war jetzt keine Kraft mehr in dem Stier, und obwohl der Stoß nicht tödlich war, trottete er doch nur mit Mühe herum, wegen der Klinge, die quer durch ihn hindurchging. Er lief den Matadoren und den Kapeadoren fort, trabte an der Balustrade entlang und sah zu den vielen Gesichtern auf.
»Er sagt: ›Um Gottes willen, lasst mich doch fort von hier, ich will nicht kämpfen‹«, meinte John Harned. Das war alles, mehr sagte er nicht. Aber er saß da und passte auf, warf nur hin und wieder einen Blick auf Maria Valenzuela, um zu sehen, wie sie sich benahm. Sie war böse auf den Matador. Er war ungeschickt, und sie hatte Geschicklichkeit und Gewandtheit sehen wollen.
Der Stier war jetzt sehr müde und schwach wegen des Blutverlustes, wenn er auch noch nicht daran dachte, zu sterben. Er ging langsam um die Arena herum und suchte einen Ausgang. Er wollte nicht angreifen. Er hatte genug davon. Aber er sollte ja getötet werden. Es gibt eine Stelle auf dem Hals des Stiers, hinter den Hörnern, wo das Rückenmark ungeschützt ist und ein rascher, kleiner Stich augenblicklich tötet. Ordonez trat vor den Stier und senkte das scharlachrote Tuch. Der Stier wollte nicht angreifen. Er blieb stehen, schnüffelte am Tuch und senkte den Kopf, um richtig schnuppern zu können. Ordonez stach in die erwähnte Stelle am Hals. Der Stier warf den Kopf hoch. Der Stoß hatte nicht richtig getroffen. Jetzt achtete der Stier auf die Klinge. Als Ordonez wieder das Tuch senkte, vergaß der Stier die Klinge und senkte den Kopf, um das Tuch beschnuppern zu können. Ordonez stach noch einmal zu, traf aber wieder nicht. Er versuchte es viele Male. Es war dumm. Aber John Harned sagte nichts. Schließlich traf ein Stoß, und der Stier brach zusammen. Er war sofort tot, und die Maultiere wurden vorgespannt und schleppten ihn hinaus.
»Die Gringos sagen, es sei ein grausamer Sport – nicht wahr?« meinte Luis Cervallos. »Es ist unmenschlich, es ist schade um den Stier, nicht wahr?«
»Nein«, sagte John Harned. »Um den Stier handelt es sich nicht. Es ist entwürdigend für die, welche zusehen. Der Sinn des Stierkampfes ist, sich über die Leiden eines Tieres zu freuen. Es ist feige, wenn fünf Männer mit einem dummen Stier kämpfen. Dadurch werden auch die, welche zusehen, feige. Der Stier stirbt, aber die, welche zusehen, leben, und das, was sie sehen, beeinflusst sie, Mannesmut und Männerherzen fördert es nicht, wenn sie ein Schauspiel der Feigheit sehen.«
Maria Valenzuela sagte nichts. Sie sah ihn auch nicht an, aber sie hörte jedes Wort, und ihre Wangen waren heiß vor Zorn. Sie blickte in die Arena und fächelte sich, aber ich sah, dass ihre Hand zitterte, und John Harned sah sie nicht an. Er erzählte, als wäre sie gar nicht zugegen. Auch er war von Zorn, von kaltem Zorn erfüllt.
»Ach«, sagte Luis Cervallos leise. »Sie glauben, uns zu verstehen.«
»Jetzt verstehe ich die spanische Inquisition«, sagte John Harned. »Die war sicher noch herrlicher als Stierkämpfe.«
Luis Cervallos lächelte, sagte aber nichts. Er sah Maria Valenzuela an und wusste, dass das Stiergefecht in der Loge gewonnen war. Sie würde nie mehr etwas mit dem Gringo zu tun haben wollen, der solche Worte sprach. Aber weder Luis Cervallos noch ich waren darauf vorbereitet, dass der Tag so enden würde. Ich fürchte, wir verstehen diese Gringos nicht. Wie konnten wir wissen, dass John Harned, dessen Zorn so kalt