nicht geworden, da mußt du schon ergänzend eingreifen.«
Er unterbrach sich und machte eine Verbeugung zu der Gestalt hin, die durch die hohe Flügeltür in die Halle trat.
Wie eine Kassandra wirkend in dem düsteren Gewand, dem auffallend bleichen Gesicht, den flackernden Augen und dem verkniffenen Mund. Bevor die beiden Herren sich noch regen konnten, war die Gestalt wie ein Schemen verschwunden. Man sah noch den Zipfel ihres Gewandes auf der Treppe, dann war der Spuk vorbei, und der Baron zog den wie erstarrten Freund in sein Arbeitszimmer. Dort fragte er, ob ein Schnaps genehm wäre.
»Her damit!« schüttelte Gunder sich wie ein nasser Hund. »Den kann ich gebrauchen nach dem Schreck. Gott in deine Hände! Mann, da hast du dir aber mal eine prima Ahnfrau zugelegt. Die schwarze Frau von Grünehöh – klingt apart. Gib mir noch einen Schnaps – so, jetzt wird mir langsam wohler.«
Sie sahen sich an wie zwei lustige Verschwörer und nahmen dann in den tiefen Sesseln am Kamin Platz. Es war ein hohes, weites Gemach mit schweren, dunklen Möbeln, dem der rote, sehr kostbare Smyrna eine lebhafte Note gab. Der mächtige, reichgeschnitzte Schreibtisch war mit Kontobüchern und Papieren bedeckt, ein Zeichen, daß an ihm ernsthaft gearbeitet wurde.
Nachdem die Herren ihre Pfeifen gestopft und angesteckt hatten, gab Swidbörn die Ergänzung zu dem, was dem Freund bei der sprudelnden Erzählung Odas entgangen war, und dieser sagte pomadig:
»Schmeiß sie raus, das ist der einzige Rat, den ich dir geben kann. Aber da du dafür zu vornehm bist, überlaß es mir, ich erledige es mit Vehemenz. Die Frau ist ja von einer bodenlosen Gemeinheit. Nicht genug, daß sie das bedauernswerte Fräulein von Schlössen im Stift geknechtet und es hinterher ihrem Schicksal überlassen hat, versucht sie jetzt auch noch gegen es zu intrigieren und gute, warmherzige Menschen anzugreifen. Laß sie das ja nicht in meiner Gegenwart tun, dann hat’s aber gebumst. Denn wenn ich empört bin, dann bin ich nicht fein.«
»Hm«, schmunzelte der Freund. »Die aus dem Haus im grünen Grund scheinen dir ja sehr ans Herz gewachsen zu sein. Wer am meisten?«
»Die Frauke«, gab er unumwunden zu. »Sie hat so entzückende Grübchen, wenn sie lacht. Man könnte diese immerzu küssen.«
»Dann sieh zu, daß dir bald das Recht dazu gegeben wird«, riet Winrich, und der andere seufzte.
»So einfach ist das nicht. Man muß die Mädchen im grünen Haus mit einem andern Maßstab messen als die meisten. Sie sind wie ein Kräutlein Rührmichnichtan.«
»Also Mimosen«, bemerkte der Freund trocken. »Dann wirst du Draufgänger wohl dein Herz in beide Hände nehmen und deine Frauke erst umwerben müssen. Denn wie eine reife Frucht fällt dir das zurückhaltende Mädchen bestimmt nicht zu.«
»Würde ich mir auch ernstlich verbitten«, brummte Uwe. »So reife Früchte werden bald matschig, das haben wir beide ja erfahren müssen.«
»Kann man wohl sagen. Eigentlich bist du zu beneiden, daß du als gebranntes Kind nicht das Feuer scheust.«
»Ein Zeichen, daß die Flamme nicht gebrannt, sondern nur so ein bißchen gesengt hat. Aber ich habe ja auch nicht das ausgestanden, was du armer Kerl hast ausstehen müssen.«
»Was aber nur auf die Nerven ging und nicht aufs Herz.«
»Na, Gott sei Dank! Wohl selten hinterläßt ein Verstorbener so wenig oder gar keine Spuren wie deine Selige. Nichts, aber auch gar nichts erinnert hier mehr an sie. Versunken und vergessen, mehr hat die Megäre ja auch nicht verdient.
Aber wenden wir uns wieder erfreulicheren Dingen zu. Wie gefällt dir die Frauke?«
»Gut. Ihre Grübchen sind wirklich bezaubernd.«
»Aber küssen möchtest du sie nicht?«
»Nein. So weit geht mein Wohlgefallen nun auch wieder nicht.«
»Gut so, wenn auch unbegreiflich. Denn ein Mädchen wie Frauke muß doch jeden Mann betören.«
»Er ist verliebt, laßt ihn gewähren«, lachte Winrich, und Uwe sah ihn entrüstet an.
»Lach nicht, die Sache ist mir verflixt ernst. Mit Verliebtheit hat das nichts zu tun. Und nun enteile ich, damit du mir nicht noch immer tiefer den Dolch deines Spottes ins blutende Herz stoßest.«
Lachend sahen sie sich in die Augen und trennten sich mit warmem Händedruck. Ein Freund des andern gewiß, in unwandelbarer, oft erprobter Treue.
*
Am nächsten Vormittag fand sich der Tierarzt ein, um nach seinem maladen Patienten zu sehen, der ihn freundlich begrüßte. Gutwillig ließ er sich den Verband abnehmen und die Wunde pinseln, die sich fast schon geschlossen hatte. natürlich standen alle herum, einschließlich Oda. Selbst Bertchen hatte sich eingefunden. Und alle strahlten, als der Arzt die Wunde für so gut wie geheilt erklärte.
Was dem guten, sonst so fürsorglichen Tierarzt gar nicht recht war. Aber wenn er nicht mehr benötigt wurde, dann hatte er keinen Grund mehr, hierher zu kommen, was sein liebeheißes Herz betrübte. Wenn jedoch das Schicksal zwei Menschen füreinander bestimmt hat, dann sorgt es auch dafür, daß diese zueinander finden können. Und dazu gehört, daß sie sich begegnen, je öfter, je besser.
Als der Arzt nun den letzten Besuch bei seinem vierbeinigen Patienten gemacht hatte und so von Herzen traurig das Haus verließ, in dem es ihm doch so gut gefiel, stand am Gartentor eine Frau, die ihn aufgeregt empfing.
»Herr Doktor, ist bloß gut, daß ich Sie hier antreffe. Schon zweimal rief ich in der Praxis an. Kommen Sie schnell, unsere Kuh ist krank!«
»Wo wohnen Sie denn?« fragte er, dabei nach der Haustür schielend, in der Frauke stand.
»Schräg gegenüber, jenseits des Baches«, zeigte sie auf ein unweites Gehöft. »Wenn wir den Pfad durch den Wiesengrund nehmen, kürzen wir uns den Weg erheblich ab. Den Wagen können Sie doch hier stehen lassen, nicht wahr?«
»Selbstverständlich«, entgegnete Frauke, die jetzt am Gartentor stand. »Gehen Sie nur, Herr Doktor, auf Ihren Wagen passen wir schon auf.«
»Herzlichen Dank, gnädiges Fräulein. Ich melde mich dann wieder zur Stelle.«
Was eine Stunde später der Fall war. Und da man gerade den Nachmittagskaffee trank, mußte Frauke ihn höflichkeitshalber dazu einladen, versteht sich. Dankend nahm er die Tasse aus der Hand, die er am liebsten festgehalten und an die Lippen gedrückt hätte, was natürlich nicht anging. Schon gar nicht in Jadwigas und Ortruns Gegenwart. Ergo unterdrückte er sein heiß’ Verlangen und benahm sich so artig, wie es einem guterzogenen jungen Mann geziemt.
»Was fehlt denn der Kuh?« erkundigte sich Frauke, ihm den Teller zuschiebend, auf dem Napfkuchenstücke lagen, reichlich mit Mandeln und Rosinen gespickt. Genauso, wie seine Mutter ihn gebacken hatte, und Grübchen hatte sie auch gehabt. Was Wunder, wenn des Mannes Herz heiß und immer heißer wurde, daß ihn die Traulichkeit, die ihn an sein Elternhaus erinnerte, immer fester umspann.
»Herr Doktor, träumen Sie?« klang ein lustiges Lachen auf. »Ich habe gefragt, was der Kuh fehlt.«
»Entschuldigen Sie, gnädiges Fräulein«, lachte nun auch er, wenn auch verlegen. »Ich habe wirklich geträumt, bin jetzt aber wieder beieinander. Die Kuh, ja, die muß etwas eingefressen haben. Zum Glück hatte der Bauer ein Gegenmittel zur Hand, das seine Wirkung tat. Hoffentlich ist die Sache damit behoben.«
Sie war aber nicht behoben. Denn kurz nachdem der Arzt in seiner Praxis den letzten Vierbeiner abgefertigt hatte, rief der Bauer ihn telefonisch zu der kranken Kuh. Und was der noch sagte, klang wie Musik in den Ohren des Verliebten.
»Herr Doktor, Sie müssen aber wieder den Weg durch den Wiesengrund nehmen. Denn die Straße, die zu uns führt, ist stellenweise aufgerissen. Da kommen Sie mit dem Wagen nur langsam voran, und Eile tut not.«
So konnte es kommen, daß der bekannte Wagen wieder vor dem Haus im grünen Grund hielt, wo Hulda im Vorgarten die Blumen goß.
»Nanu, Herr