auf brutale Versuche, mit Blut und Eisen die Revolution zu ersticken, wirken die terroristischen Anschläge auf die Gemüter befreiend. In dem Maße jedoch, wie der Absolutismus die Ohnmacht der Knute einsehen und in die Bahn, sei es auch schwächlicher und schwankender konstitutioneller Konzessionen einlenken wird, wird der Terror von selbst unvermeidlich an Boden und günstiger Atmosphäre verlieren. Seine Rolle wird bei Beginn dieser über kurz oder lang eintretenden zweiten Phase der Revolution ausgespielt sein. Die Revolution aber als Massenbewegung, als proletarische Erhebung wird damit durchaus noch nicht zu Ende sein. Im Gegenteil, erst dann beginnt der immer ausschließlicher proletarische Kampf, um die Liquidation des Absolutismus immer weiterzutreiben, um den Anteil der Arbeiterklasse an den politischen Freiheiten möglichst zu erweitern, um gegen den unvermeidlichen reaktionären Umschlag und Rückschlag der bürgerlich-demokratischen und liberalen Elemente nach dem ersten Sieg der freiheitlichen Bewegung zu reagieren. Kurz, die proletarische Revolution in Rußland hat vor sich noch alle Kämpfe und alle Phasen einer Klassenerhebung, bis sie den geschichtlichen Moment zu dem äußersten Punkt in der Richtung der eigenen Klasseninteressen vorwärts geschoben hat. Auf dem Fond und im Rahmen dieser großen Volksrevolution sind einzelne Akte des Terrors das, was einzelne aufzischende Feuergarben im gewaltigen Flammenmeer eines Waldbrandes sind. Die rächende Hand des Terroristen kann die Desorganisation und Demoralisation des
Absolutismus hie und da beschleunigen. Den Absolutismus stürzen und die Freiheit verwirklichen kann – mit dem Terror oder ohne den Terror – nur der Massenarm der revolutionären Arbeiterklasse im Zarenreich.
Die Lösung der Frage
(1905)
Die Sache der Revolution marschiert im Zarenreich mit eherner Logik vorwärts. In diesem Moment beginnt die Phase der Bauernunruhen, die Revolution pflanzt also ihr Panier auf dem platten Lande auf. Bis jetzt, seit Beginn der revolutionären Periode, schwiegen die russischen Bauern. Das industrielle, von der Sozialdemokratie seit anderthalb Jahrzehnten in unermüdlicher Aufklärungsarbeit beeinflußte städtische Proletariat war zuerst auf dem Platze erschienen, es blieb bis jetzt der alleinige Träger der gewaltigen Revolution, und es ist dazu berufen, dank seiner Klassenlage, der klarste, entschiedenste, am weitesten gehende und deshalb der führende Teil des immer mehr wachsenden revolutionären Heeres in Rußland zu bleiben. Zur Sache des städtischen Proletariats hat sich bereits, und zwar noch vor der Bauernmasse, das Militär zu Lande und zu Wasser geschlagen. Die denkwürdige Rebellion des Potjomkin im Schwarzen Meere, dann die Erhebung der Matrosen in Kronstadt, an der Pforte selbst der zarischen Residenz, gleich darauf der Aufstand der Mannschaften im fernen Wladiwostok, in Charbin, das ist eine Reihe von Explosionen, welche die ganze russische Marine – im Süden, im Norden wie im Osten – in heftiger Gärung zeigen. Und überall ist es nicht etwa ein tobender Ausbruch wilder unklarer Leidenschaften eines betrunkenen „Mobs“, wie die offiziösen russischen Telegraphenagenturen vorzulügen pflegen, um natürlich bei unserer bürgerlichen Presse, allen voran bei den „liberalen“ Blättern, frommen und willigen Glauben zu finden. Nein, es ist der Geist der politischen Aufklärung, des proletarischen Bewußtseins, das Werk der sozialdemokratischen Erziehung, was in allen bisherigen sogenannten „Meutereien“ der russischen Marine zum Ausdruck kam. Auf dem Potjomkin wie in Kronstadt waren es organisierte Sozialdemokraten, die der Bewegung voranmarschierten; die klar und deutlich formulierten Forderungen von ausgesproden politischem und zugleich proletarischem Charakter gaben der Rebellion in allen Fällen das Gepräge einer durch und durch klassenbewußten, revolutionären Aktion. Und wenn Brandstiftung, Mord, Suff und Plünderung alle diese Erhebungen wie dunkle Schatten begleiteten, so ist es bereits vor aller Welt offen erwiesen, daß es die Schurkenbande des Zarismus war, die durch die systematische Aufstachelung des Lumpenproletariats unter Anführung der Pfaffen und der Polizei die revolutionäre Erhebung der Marinemannschaften, wie auch der Industriearbeiter in den Städten, in einer Schmutzwelle des Verbrechens zu ersticken suchte. Mord, Brandstiftung und Plünderung waren nicht von den „meuternden“ Matrosen, sondern von den gedungenen „Ordnungsstützen“ des Absolutismus als Kampfmittel gegen die Matrosen ins Werk gesetzt.
Aber nicht nur in der Marine, auch unter den Landtruppen des letzten Nikolaus reift der Same der Revolution mit jeder Stunde. Bereits bei den Versuchen des Absolutismus, die Matrosenrebellion mit blanker Waffe niederzumachen, versagte das Militär mehrmals. Zweimal ergaben sich in Kronstadt die zur Abschlachtung der Marinemannschaften abgesandten Regimenter. Mehrmals verweigerten die Soldaten in den Städten bei Rencontres mit demonstrierenden Proletariern den Gehorsam. In Moskau, bei dem denkwürdigen grandiosen Begräbnis des von den Zarenschurken ermordeten Sozialdemokraten Baumann, waren unter den etwa 200.000 Menschen, die den Demonstrationszug bildeten, massenhaft Militärs vertreten; um das an der Spitze des Zuges getragene riesige Banner der Sozialdemokratie bildete eine Gruppe höherer Offiziere mit blankgezogenem Säbel die Ehrenwache; in der lebendigen Kette, die den ganzen Riesenzug entlang von beiden Seiten Spalier bildete, reichten sich in bunter Abwechslung Arbeiter, Studenten, Frauen, Soldaten und Offiziere die Hand. Nicht bloß in den Reihen der „Gemeinen“, auch in Offizierskreisen erhebt der fortschrittliche revolutionäre Teil immer kühner die Stimme gegen die willigen Mordbuben des Zarismus. Das Militär im ganzen, von einer fieberhaften Agitation der Sozialdemokratie in Atem gehalten, wird mit jedem Tage unzuverlässiger, untauglicher als Stütze der zusammenbrechenden Alleinherrschaft.
Damit findet aber eine der wichtigsten taktischen Fragen ihre Lösung, die auch bei uns in Deutschland, wie überall, den opportunistischen Kalkulatoren des Klassenkampfes arges Kopfzerbrechen bereitet. Wie kann irgendeine Massenaktion der modernen Arbeiterklasse, sei es auch nur eine Reihe größerer Straßendemonstrationen, ein Massenstreik auf Erfolg rechnen, da wir doch auf die starre Wand des Militarismus, auf die stahlblinkenden Bajonette stoßen, gegen die wir, das wehrlose Proletariat, ganz ohnmächtig sind? So pflegen uns diejenigen zuzurufen, die sich eine Massenaktion der Proletarier nicht anders als in dem starren Milieu, in der kalten Atmosphäre des ruhigen parlamentaristen Alltags vorstellen können. Sie vergessen immer und immer wieder, daß eine ernste Massenaktion des Proletariats selbst nicht anders als in einer revolutionären Situation stattfinden kann, in einer Situation, die bereits die ganze Volksmasse, das ganze Land in Gärung gebracht hat. Ist dem aber so, dann erscheint auch die „starre Wand der Bajonette“ unter einem ganz anderen Gesichtswinkel, denn in den revolutionären Momenten, wo die Sache des kämpfenden Proletariats zur Sache des ganzen arbeitenden Volkes, zur Sache aller Ausgebeuteten und Unterdrückten wird, da erwacht auch im Soldaten der Bürger, der Sohn des Volkes, der Proletarier. Diejenigen, die das heutige Militär als eine unwandelbare feindliche Macht der Revolution des Volkes entgegenstellen, vergessen, daß die Revolution das Militär selbst in ihren Strudel zieht, sie vergessen hinter dem äußeren Kampflärm der Revolution ihre gewaltigste sozial und historisch wichtigste Seite: das politische Erziehungswerk der Revolution. Und dieses vollzieht sich nicht bloß an der Masse des Proletariats, an breiten Schichten des Bauerntums, des Kleinbürgertums, sondern auch an dem in den „Rock des Königs“ gesteckten Teil der Volksmasse.
Die russischen Ereignisse haben wieder einmal erwiesen, daß die Revolution, die neue politische und soziale Probleme aufwirft, auch selbst in ihrem Schoße die Lösung dieser Probleme bringt. Die russische Revolution ist also wieder einmal zugleich eine Mahnung an die Kleingläubigen und zaghaften Rechenmeister in unseren eigenen Reihen, wie eine Warnung an die herrschenden Klassen, die durch immer neue Militär- und Flottenvorlagen auch bei uns Geister auf die soziale Oberfläche rufen, die sie einst nicht zu bannen verstehen werden.
Im Feuerscheine der Revolution
(1905)
Die Maifeier wird in diesem Jahre zum erstenmal in einer revolutionären Situation gefeiert – während ein wichtiger Trupp des internationalen Proletariats in einem gewaltigen direkten Massenkampfe um seine politischen Rechte begriffen ist. Dieser Umstand soll und wird