Wilhelm Filchner

Om mani padme hum


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magnetischen Instruments freundlich an, das, um Erschütterungen zu vermeiden, während der ganzen Fahrt im federnden Wagen auf einem Bündel aus Pelzmänteln in der Schwebe gehalten werden musste.

      Am Pass Kurdai überschreitet wir die Wasserscheide zwischen den Flussgebieten des Tschu und des Ili, und nach 50 Stunden rattern wir bei herrlichem Sonnenschein in Wjernyi ein, wo die schöne Spazierfahrt ihr Ende findet.

      Ich begebe mich zum »Meteorologischen Observatorium«, das im äußersten Süden der Stadt am Fuß des Sailjiski-Ala-tau erbaut ist. Bei der Transportgesellschaft miete ich einen Pferdewagen zur Reise nach Dscharkent. Kostenpunkt: 65 Rubel.

      Bei Dr. Nikolai Wassiljewitsch Bespaltschew und seiner Frau, einer Polin, fand ich gastfreundlichste Aufnahme und jede nur denkbare Unterstützung. Man hatte sich hier schon um mich gesorgt. Mit gemischten Gefühlen erfuhr ich, dass ein Student verschwunden war, der wahrscheinlich auf dem Marsch von Pischpek hierher von Räubern überfallen, beraubt und erschlagen wurde.

      Wjernyi heißt kirgisisch recht klangvoll Alma-ata, auf Deutsch: »Apfel-Vater«. Dieser Name ist jetzt gebräuchlicher als der russische. Alma-ata hat ungefähr sechs Werst im Durchmesser und liegt an der blauen Alma-tinka.

      Meine Gastfreunde wurden mir außerordentlich nützlich beim Einkauf von Ausrüstungsgegenständen für die Weiterfahrt nach der chinesischen Grenze. Auch bei der Beladung meines Reisewagens, der eine Plane aus Matten und starken Holzreifen aufgesetzt hatte, half mir das Ehepaar.

      An Seilen und Netzen, die von der Decke des gewölbehaften Gerippes herabhingen, wurden im Hohlraum die empfindlichen wissenschaftlichen Instrumente aufgehängt, sodass sie vor Erschütterungen bewahrt blieben.

      So sehr mir Regierung und Bevölkerung in der Sowjetunion meine Tätigkeit erleichterten, so schwierig gestaltete sie sich in der Zone um Pischpek und Wjernyi. Ich kam dort in das berüchtigte Erdbebengebiet, das bis zum Issyk-kul hinüberreicht, einer mächtigen Wasseransammlung zwischen dem Tarimbecken und der Balkaschniederung. Noch kurz vor meinem Eintreffen, in der Nacht vom 12. zum 13. Januar, waren die Einwohner durch einen gewaltigen Erdstoß, den ein ungeheures Getöse begleitete, in Angst und Schrecken geraten. Nahezu alle Fensterscheiben waren zersprungen.

      Was werden die nächsten Stunden bringen? Diese bange Frage las ich auf allen Mienen. Auch die liebe junge Frau Bespaltschew – sie war trotz zarter Gesundheit als Lehrerin tätig – lebte in ständiger Furcht vor neuen Erdstößen.

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      Der Reisewagen, in dem das empfindliche magnetische Instrument K, an der Wagendecke aufgehängt, frei schwebend transportiert wurde.

      Seit dem schweren Erdbeben von 1887, bei dem viele Häuser samt der Kathedrale zerstört wurden und mehr als vierhundert Menschen den Tod fanden, pflegen die Einwohner von Wjernyi beim geringsten Anzeichen von Erdbewegungen ihre Häuser zu verlassen und im Freien zu kampieren.

      Während meiner Anwesenheit in dieser Stadt, in einer sogenannten »ruhigen Zwischenpause«, konnte ich meine astronomisch-erdmagnetischen Beobachtungen mit den sehr empfindlichen Instrumenten ausführen, die noch immer leichte Erschütterungen anzeigten.

      Die Erdbeben setzen so plötzlich ein, dass die Einwohner oft nicht Zeit finden, sich ins Freie zu retten. Chinesen, mit denen ich später jenseits der Grenze zusammentraf, alte, erfahrene Söhne des Reichs der Mitte, wunderten sich nicht wenig über den »Leichtsinn« der Russen, an dieser berüchtigten Stelle eine Stadt zu bauen.

      Im Altertum stand hier eine blühende Chinesenstadt. Bei einem gewaltigen Erdbeben verschwand sie von der Bildfläche. Die ganze Erdbebenzone, in alten Zeiten rein chinesisches Gebiet, wird seitdem von den Chinesen gemieden.

      Nahe dem Ostende des Issyk-kul, wo man das Epizentrum des ganzen Erdbebengebiets vermutet, und zwar westlich der Stadt Prschewalsk – nach dem unsterblichen Asienforscher Prschewalski benannt – ist übrigens noch eine andere alte Chinesenstadt versunken.

      Die Erinnerung an diese Katastrophe lebt eigenartigerweise fast ausschließlich bei den Mohammedanern fort. Heute noch bringen kirgisische Taucher oder schwere Stürme allerlei Gegenstände ans Licht, wie chinesische Siegel, Mühlsteine, Silbergerät in vielfarbiger feiner Emaillearbeit byzantinischer Richtung.

      Am 9. Februar verlasse ich Wjernyi und erreiche über Saizewka (Tschilik) und nach Überquerung des Ili bei Golubewskaja die Hauptstraße nach Dscharkent, das ich am 14. Februar betrete. In der Meteorologischen Station finde ich bei der Leiterin, Elisaweta Iwanowna Propalowa, gastliche Aufnahme.

      Ich besitze noch 17 Rubel ...

      Die russische Transportgesellschaft »Dobroflot«, die den Wagenverkehr mit China besorgt, ist glücklicherweise erbötig, meinen Gepäcktransport, sobald er hier eintrifft, nach Kuldscha in der westlichen chinesischen Provinz Sinkiang weiterzuleiten. Für mich die Rettung, da ich erst in Kuldscha zu bezahlen brauche. Ich kann also wider Erwarten mit dem schäbigen Rest meines Reisegeldes auskommen.

      Im nahen Hospital herrschen die schwarzen Pocken und Flecktyphus. Gut, dass ich hier nicht lange zu verweilen brauche!

      Ich miete einen Wagen zur Fahrt nach Chorgos, dem russischen Grenzort gegen China. Er kostet mich zehn Rubel. Das ist noch zu machen.

      Am 19. Februar lege ich die 37 Werst bis Chorgos (1 Werst = 1,066 km) in viereinhalb Stunden zurück. Es ist heute »Roter Tag«, also Feiertag der Sowjetunion. Die Arbeit ruht, überall Trubel und Feststimmung!

      Wir passieren verfallene und verlassene Kirgisenstädte, müssen eisführende, tiefe Bergbäche durchqueren, wobei der Proviant verdirbt. Dann ist die Zweigstelle des »Dobroflot« in Chorgos erreicht, wo ich schon angemeldet bin.

      Ich habe die Ehre, im Amtsgebäude untergebracht zu werden. Ein Russe, der als Kriegsgefangener in Berlin war, wird mir zugewiesen. In seiner dreijährigen Gefangenschaft in Deutschland hat er tatsächlich einige Sätze Deutsch gelernt, die er voller Stolz immer wieder ableiert.

      Abends besucht mich ein russischer Kosak, der eben von Kuldscha kommt. Er bringt mir Grüße von der Firma Faust & Cie. aber kein Geld.

      Leider kann ich nicht gleich nach Kuldscha weiterfahren, da nur Wagen nach China durchgelassen werden, die einen Erlaubnisschein des chinesischen Konsuls in Alma-ata besitzen. Ich muss also hübsch warten, bis ein solcher Wagen von dort zufällig eintrifft oder mir aus Kuldscha herübergesandt wird.

      In den paar Tagen Wartezeit trifft aus Dscharkent ein russischer Kurier ein, pockennarbig, mit helmartiger Tuchmütze und dem roten Sowjetstern, Aktentasche, Säbel und Revolver. Er ist sehr freundlich zu mir, stinkt wie die Pest und säuft mir den Tee weg. Damit ich ihn besser verstehe, brüllt er aus Leibeskräften.

      Er erbietet sich, auf seinem Weg nach Kuldscha drüben im Chinesischen für mich einen Wagen zu besorgen und mir hierher zu senden. Ich bin aber noch nicht sicher, ob es klappt. Meine Lage ist nicht ohne Spannung. Ich besitze noch ganze sechs Rubel.

      Auch der Natschalnik der Tscheka kommt zu mir und kündigt mir baldige Hilfe an.

      Wie bin ich froh, als am Vormittag des 22. Februar sich tatsächlich ein Mohammedaner bei mir meldet, der mit seiner Telega von der chinesischen Seite gekommen ist und sich erbietet, mich für 35 Rubel nach Kuldscha zu befördern!

      Vorerst sind aber noch allerhand Formalitäten zu erledigen. Der Oberbeamte der Zollstation, ein Pole mit Fliegerabzeichen, erledigt die Zeremonien, die Tscheka untersucht meinen Pass. Von meinen Instrumenten werden die Plomben abgenommen. Dann kreuzt noch ein hübsches junges Mädchen aus dem Büro der Tscheka meinen Weg und wünscht mir mit freundlichen Worten viel Glück. Ich nehme das als gutes Zeichen.

      Um vier Uhr nachmittags rollt mein Wagen aus dem mit der Sowjetfahne geschmückten Zollhaus hinab zum gewaltigen Schotterbett des Chorgos-Flusses, dessen Geröll sich in einer Breite von sechs bis sieben Kilometern ausdehnt.

      Ein richtiger