traf sie auf ihren Vater, der sich ein Bier aus dem Kühlschrank holte.
»Irgendwie geht es Anneka wirklich nicht so gut«, stellte sie fest, während sie den Saft in ein Glas schenkte. Sie klopfte zwei Eiswürfel aus dem Behälter. Sie knackten leise, als sie sie in den Saft fallen ließ.
»Wenn es ihr morgen nicht besser geht, soll Felix sie in die Praxis bringen«, beschloss Daniel und legte tröstend die Hand auf Désis Schulter. »Rein äußerlich gibt es nämlich gar keinen Grund für ihren schlechten Zustand. Sie hat weder besonders hohes Fieber und außer ein bisschen Schnupfen und Husten keine eindeutigen Krankheitssymptome. Nur dieser Erschöpfungszustand, der gibt mir wirklich zu denken.«
»Glaubst du, dass es was Schlimmes ist?«, fragte Dési skeptisch. Inzwischen standen sie im Flur, sie hatte den Fuß schon auf die erste Stufe gesetzt.
Diese Frage konnte Daniel ruhigen Gewissens beantworten.
»Nein, das glaube ich nicht«, lächelte er beruhigend. »Mach dir nicht so viele Sorgen.«
»Ich versuch’s«, erwiderte Dési und nahm sich vor, tapfer zu sein und nicht immer gleich an das Schlimmste zu denken.
»Wenn Danny und Tatjana fort sind, sehe ich gleich nochmal nach Anneka«, versprach Daniel noch.
Das war es, worauf Dési gehofft hatte.
»Du bist eben doch der beste Papi der Welt!«, erklärte sie erleichtert und stellte sich auf die erste Stufe, um Daniel einen Kuss auf die Wange zu geben. Dann hatte sie es eilig, Anneka den eisgekühlten Orangensaft zu bringen. Als sie aber das Zimmer betrat, schlief ihre Schwester tief und fest.
*
Anneka schlief auch noch am nächsten Morgen, als ihre Familie das Haus verließ, sodass ihr Vater sie nicht stören wollte. Notgedrungen verzichtete er auf die Untersuchung.
»Bitte sehen Sie nach ihr und rufen Sie mich an, wenn es ein Problem gibt«, bat er Lenni, die gute Seele des Hauses.
Tadelnd zog sie eine Augenbraue hoch.
»Das klingt ja ganz so, als ob Sie sich nicht auf mich verlassen können«, erwiderte sie und wirkte eine Spur beleidigt.
»Tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten«, entschuldigte sich Daniel schnell und beeilte sich, zu Fee in den Flur zu kommen.
»Na, hast du dich mit deiner unsensiblen Art mal wieder in die Nesseln gesetzt?«, scherzte sie unbekümmert.
Sie hatte leise nach Anneka gesehen und festgestellt, dass ihre Temperatur über Nacht offenbar herunter gegangen war. Friedlich, wie sie dort lag und schlief, schien sie langsam über den Berg zu sein.
»Und ich dachte immer, ich bin die Empathie in Person«, schmunzelte Daniel mit einem Anflug von Selbstironie.
»Tja, mein Lieber, so kann man sich täuschen. Können wir?« Felicitas war zum Aufbruch bereit und wartete darauf, dass Daniel den Reißverschluss seiner Jacke zuzog, ehe sie die Tür öffnete.
Der Winter hatte das ganze Land fest im Griff, und draußen herrschten ungemütliche Temperaturen. Während Daniel und Fee Seite an Seite zu den Autos gingen, knirschte das Eis unter ihren Füßen und der Atem stand in kleinen Wölkchen vor ihren Mündern.
»Wollen wir uns heute Abend in der Golfhalle treffen und ein paar Abschläge üben?«, fragte Daniel, bevor er sich von seiner Frau verabschiedete.
»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Im Augenblick ist furchtbar viel los in der Klinik, sodass wir oft gar nicht wissen, wo uns der Kopf steht«, erwiderte Fee bedauernd und zupfte einen Fussel von Daniels Jacke. »Lass uns telefonieren, ja?«, bat sie, küsste ihn schnell und flüchtete in den Wagen, bevor sie völlig ausgekühlt war.
Auch Daniel machte sich auf den Weg in die Praxis. Wie immer waren Wendy und Janine schon da und kämpften mit Kerzenlicht gegen das hartnäckige Grau des Tages.
»Schön haben wir’s hier. Richtig gemütlich«, seufzte er zufrieden und rieb sich die kalten Hände. Sein Glück war perfekt, als ihm Janine im Sprechzimmer eine frische und sehr heiße Tasse Kaffee servierte. »Jetzt kann eigentlich nichts mehr passieren.«
Dieser Eindruck täuschte, wie er bald darauf feststellen musste.
»Geben Sie mir was! Los! Sie müssen mir was geben!«, kreischte eine inzwischen wohlbekannte Stimme auf dem Flur. Obwohl sie nur gedämpft bei Daniel ankam, war sie noch laut genug. Gleich darauf war auch Janine zu hören.
Als Franziska Weiß kreidebleich in die Praxis stürmte, überblickte die ehemalige Krankenschwester die Situation sofort.
»Sauerstoff!« Mit einem Satz war sie auf den Beinen und eilte zum Notfallschrank.
Zu ihrer und Wendys großer Überraschung lehnte sich Franziska entschieden gegen diesen Vorschlag auf.
»Quatsch!«, zischte sie ärgerlich. »Mein Herz! Ich brauch was für mein Herz.«
Irritiert hielt Janine inne.
»Haben Sie Schmerzen?«
»Nein.«
»Ein Druckgefühl in der Brust?«
Langsam wurde es Franziska Weiß zu bunt.
»Das ist ein Infarkt, Sie Anfängerin«, herrschte sie Janine erbost an. »Geben Sie mir endlich ein Beruhigungsmittel.«
Hilfesuchend wandte sich die Assistentin an ihre Freundin und Kollegin Wendy.
Die verstand sofort und hob den Hörer.
»Chef, können Sie bitte schnell kommen?«, bat sie, als sich Daniel Norden sofort meldete. »Frau Weiß ist hier. Sie behauptet, dass sie einen Herzinfarkt hat.«
Diese Nachricht war allerdings alarmierend.
»Dann muss sie in die Klinik. Haben Sie schon einen Wagen bestellt?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ihre Diagnose wirklich richtig ist. Sie ist ein wandelnder Wutanfall und hat erstaunlich viel Energie«, erklärte Wendy mit Blick auf die tobende Patientin.
Daniel dachte nur kurz nach. Dann traf er eine Entscheidung.
»Bringen Sie sie ins EKG-Zimmer. Ich bin in zwei Minuten da.«
Es kostete beide Assistentinnen alle Mühe, Franziska Weiß von der Notwendigkeit der Untersuchung zu überzeugen. Mit Engelszungen redeten sie auf sie ein und bugsierten sie ins EKG-Zimmer. Sie brachten die Elektroden auf ihrem Körper an, als Dr. Norden zu ihnen kam.
»Frau Weiß, bitte beruhigen Sie sich«, bat er inständig. Auch wenn Franziska körperlich völlig gesund war, bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie einen Infarkt erlitt.
»Geben Sie sich keine Mühe!«, bemerkte Janine erbittert. »Das habe ich auch schon versucht. Vergeblich.« Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als jedoch das Wunder geschah.
Als Franziska die Stimme des Arztes hörte, wurde sie augenblicklich ruhiger. Ihr Atem ging langsamer, und sie hörte auf zu zittern.
»Ein Glück, dass Sie da sind, Herr Doktor«, seufzte sie, und ihre Miene entspannte sich ein wenig.
Inzwischen verfolgte Wendy die Aufzeichnungen des EKGs, während Janine an den Tresen zurückgekehrt war, um sich um die anderen Patienten zu kümmern.
»Machen Sie sich bitte keine Sorgen«, redete Daniel weiter beschwichtigend auf seine Patientin ein. »Alles wird gut.« Er sah sich nach Wendy um und schickte ihr einen fragenden Blick.
Die zuckte ratlos mit den Schultern.
»Keine Ahnung, woher diese Anfälle kommen. Körperlich ist Frau Weiß völlig in Ordnung«, zog sie einen ersten Schluss aus den Aufzeichnungen des Geräts.
»Dann muss es sich tatsächlich um ein psychosomatisches Phänomen handeln«, bemerkte Daniel Norden nachdenklich.
Angesichts dieser Bemerkung regte sich schon wieder Franziskas Unmut.
»Ich