woran er steif und fest glaubte – sie hatte ja schon vor dreißig Jahren mit Beneke begonnen –, nahm jetzt in seiner Einbildungskraft eine Wendung zum Besseren; es ging ihr, wie es jeder schändlichen Verschwörung gehen soll: sie kam an das Licht des Tages! Infolge seiner so oft wiederholten Donnerworte und der jüngsten Schriften von ihm und über ihn ist sie endlich entdeckt und die Verschwörer in Furcht und Schrecken gejagt worden. Schon ist es so weit, dass die heimtückischen Feinde seine Schriften nicht mehr ignorieren, sondern nur noch sekretieren, d. h. alles tun, um dieselben geheim zu halten. Das ängstliche Manöver stellte sich ihm vor Augen: die Philosophieprofessoren haben seine Schriften zu Hause und sehen sie an »wie das Galgenmännlein im Fläschchen oder wie der Magus das Teufelchen Asmodäus im Fläschchen und sagen: ›ich weiß, kommst du heraus, so holst du mich‹«. – Im Stillen weidet er sich an den Angstzuständen der Professoren, die jetzt nur noch auf ihre gemeinsame Rettung bedacht sind. »Ich möchte den Kriegskonseil der Herren behorchen, ihre Verlegenheit muss unbeschreiblich sein.« »Aber dies irae kommt!« So schreibt er den 9. Dezember 1849. Noch sechs Jahre später kann er sich ihre Furcht vor ihm nicht lebhaft genug ausmalen: »Ich glaube, dass sie alle den ganzen Tag an mich denken und herumschleichen wie der Abt zu St. Gallen – ›ihm wird’s vor den Augen bald gelb und bald grün, o guter Hans Bendix‹ usw. – und dass ich ihnen nachts noch im Traume vorkomme als Werwolf«.189
3. Das Goethe-Album
Es gab übrigens nach seiner Meinung noch einen zweiten Fall einer solchen schändlichen Verschwörung zur Unterdrückung der Wahrheit. Wie sich die Philosophieprofessoren zu ihm, so haben sich die Physiker zu Goethe verhalten. Als er nun zur ersten Säkularfeier der Geburt des Dichters einen Beitrag in das Frankfurter Goethe-Album liefern sollte, schrieb er das große Pergamentblatt, das man ihm geschickt hatte, auf beiden Seiten voll »mit einer greulichen Philippika und zwar diesmal adversus physicos. Diese nämlich haben gegen Goethes Farbenlehre sich analog benommen wie die Philosophieprofessoren gegen meine Philosophie. Ich bin meiner Sache gewiss, habe mich dermaßen deutlich gemacht, dass es ein Skandal sein wird. Goethe sieht von oben herab auf das Album seiner Vaterstadt, hat gewiss zehnmal mehr Freude über mein Donnerwetter als über alle Lobhudeleien der übrigen, sagt: ›du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe’, und begreift, wie dämonisch er getrieben war, als er 1813 mich zu seinem persönlichen Schüler darin gleichsam presste, vorherfühlend: ›exoriare aliquis meis ex ossibus ultor’!«190
Als er fünf Jahre später erfuhr, dass Goethe in seinem Briefwechsel mit dem Staatsrat Schultz ihn zwar wegen seiner Fähigkeiten belobt, aber einen Gegner seiner Farbenlehre genannt habe, rief er aus: »Während ich 40 Jahre nachher und 22 Jahre nach seinem Tod noch ganz allein dastehe und die Standarte seiner Farbenlehre hoch emporhalte, schreiend: ›ihr Esel, er hat recht!’ – hier in seiner alten Vaterstadt, in deren Albo. Er tut es aber bloß, weil auch ich eine Herstellung des Weißen aus Farben lehre, und seine Maxime ist: ›Und weiche keinen Finger breit von Goethes Wegen ab’.«191 Es ist wahr, dass Schopenhauer in der Verteidigung der Goethe’schen Farbenlehre sich als der treue Eckart bewährt hat: er hat um ihretwillen von Goethe selbst viel Leid und Unrecht erlitten, aber nie wider ihn gemurrt.
Mit dem Beginn des neuen Dezenniums – es ist sein letztes – steigt die Bahn des dreiundsechzigjährigen Mannes aufwärts, was die Anerkennung und den Ruhm seiner Werke betrifft, den ihm die Welt noch immer schuldet. Der Montblanc fängt an sich zu entwölken und im Morgenlicht zu strahlen. Zwar bleibt der Pessimismus sein unwiderrufliches Dogma, aber sein tägliches Leben im Anblick des steigenden Ruhms wird mit jedem Tag behaglicher, es strotzt von »unerschütterlicher Gesundheit« und Wohlgefühl, wie seine Briefe an den dienstfertigen Freund von einer oft skurrilen Heiterkeit, die uns an Heine erinnert.
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