Prolog
1431 v. Chr., im Grenzgebiet von Burma und Laos
Vogelschreie hallten durch das abgelegene Tal, als der Dschungel zu einem neuen Tag erwachte. Zwanzig Khmer-Krieger verließen ihr Nachtlager am Ufer eines Flusses und spähten in den dichten Nebel, der von den nahegelegenen schroffen Felsformationen herabgestiegen war. Eine Gruppe müder Ochsen graste nur wenige Meter abseits des Wassers und an ihrer Seite saß ein hochrangiges Mitglied des königlichen Hofes auf einer schweren Holzkarre. Dunkle Ringe unter seinen Augen erinnerten an die vielen schlaflosen Stunden auf der langen Reise in diese unerforschte Wildnis.
Die Ladung des unförmigen Gefährts bestand aus zahlreichen Truhen, die die Reichtümer des Imperiums der Khmer beinhalteten – heilige Reliquien, goldene Kelche sowie Edelsteine von unermesslichem Wert. Doch der absolut größte Schatz war lediglich in eine Decke eingewickelt worden: Der legendäre Smaragd-Buddha, dessen kleinerer Bruder im thailändischen Königshaus verweilte, das sich momentan im Krieg mit den Khmer befand.
Seinem überlegenen Rivalen aus dem Süden hatte das Imperium der Khmer nicht viel entgegenzusetzen, bereits vor Wochen war der prächtige Tempel von Angkor Wat der Thai-Armee in die Hände gefallen. Doch schon als König Ponhea Yat von seinen Spionen die Kunde erhalten hatte, dass die feindlichen Soldaten auf dem Vormarsch waren, hatte er Chey, einem seiner engsten Vertrauten, den Auftrag gegeben, die nationalen Reichtümer in Sicherheit zu bringen.
Ein großer Mann in schwerer Rüstung näherte sich dem Wagen, seine narbigen Gesichtszüge in tiefe Falten gelegt. Sihanouk war einer der berüchtigtsten Krieger im ganzen Königreich, und es ging ihm ganz eindeutig gegen den Strich, den Geleitschutz für diese Operation zu stellen, während anderswo gegen die Eindringlinge gekämpft wurde. Es war nicht seine Idee gewesen, wie eine alte Frau im Dschungel herumzuirren, doch Befehle waren Befehle: Er sollte Chey, den Gesandten des Königs, tief in unbekanntes Gebiet eskortieren, bis sie ein geeignetes Versteck für den Schatz finden würden.
»Ich habe selten ein Tal gesehen, das abgeschiedener und besser versteckt ist, als dieses«, setzte Sihanouk an, »doch frage ich mich trotzdem, ob unser Schatz hier am Ende der Welt besser aufgehoben ist als zuhause, wo er von loyalen Kriegern verteidigt werden könnte.«
»Unsere Aufgabe war, einen geeigneten Ort für ein Versteck zu finden. Alles andere liegt außerhalb unserer Verantwortung«, entgegnete Chey.
»Bisher war uns das Schicksal gewogen«, sagte Sihanouk. »Hoffen wir nur, dass die verfluchten Eingeborenen uns in Ruhe lassen, bis unsere Arbeit vollendet ist.«
»Habe Zuversicht, dann wird sich alles zum Guten wenden!«
Sihanouk musterte Chey skeptisch. »Auch wenn ich deinen Optimismus begrüße, werde ich mein Schwert griffbereit halten.«
Es gab kaum Sympathie zwischen Chey, der von den Soldaten als windiger Opportunist betrachtet wurde, und Sihanouk, der sich seine Sporen im Kampf verdient hatte. Für den Krieger waren die Entscheidungen des Königs, wen er in seinen inneren Kreis aufnahm, immer wieder irritierend. Doch er hatte dem König nach dessen Belieben zu dienen, auch wenn das bedeutete, sich von Chey herumkommandieren zu lassen. Trotzdem gab ihm dieser schleimige Aal ein ungutes Gefühl und er fieberte dem Ende seiner Mission entgegen – denn dann könnte er sein Volk endlich wieder ehrenhaft verteidigen.
»Hast du schon eine bestimmte Stelle im Kopf?«, fragte Sihanouk.
Chey grinste ihn verschlagen an. »Ich habe da so eine Idee.«
»In dieser Nebelsuppe wird es schwierig, sich zu orientieren.«
»Der Schleier wird sich bald lüften. Die Männer sollen sich nützlich machen, während wir warten – schicke sie zum Fischen, damit wir etwas essen können. Nachdem wir unsere Bäuche gefüllt haben, werden wir die Suche nach einer geeigneten Stelle beginnen.«
Am frühen Vormittag hatte sich der Nebel verzogen und Chey führte Sihanouk den Fluss hinunter, auf der Suche nach einer geeigneten Höhle. Wie er es erwartet hatte, gab es einige davon, doch die Jahrmillionen währende Erosion des Kalksteines war sehr unregelmäßig verlaufen und die meisten der Höhlen waren für ihre Zwecke zu flach. Schließlich fanden sie eine perfekte Vertiefung mit einer sehr schmalen Öffnung, die vom Fluss aus nicht eingesehen werden konnte und die in ein größeres Gewölbe mit mehreren abzweigenden Kammern führte.
Ein Monat verging, in dem die Männer in langen Arbeitstagen den weichen Stein weiter aushöhlten, bis die Gewölbe ihren Ansprüchen genügten. Am letzten Morgen überwachte Chey persönlich, wie der Karren entladen und die Truhen in den Höhlen verstaut wurden. Der letzte Gegenstand, der seinen Weg in diesen neu angelegten Tempel fand, war der Smaragd-Buddha, der im Schein der Fackeln fast von selbst zu leuchten schien, während