die Chance, dass hier nachts irgendjemand außer uns herumfliegt, so gut wie null.«
»Und was ist mit den Thailändern?«
»Oh, die haben uns garantiert auf dem Radar. Man muss nur auf dem Rollfeld den richtigen Leuten ein paar Baht in die Hand drücken, dann werden keinerlei Fragen gestellt. In Thailand gilt das Motto: Leben und leben lassen. Ich habe als Flugziel Chiang Kham angegeben, und werde dann einfach behaupten, ich hatte einen Motorschaden und musste deswegen in Chiang Rai landen. Das wird niemanden interessieren, sobald das Schmiergeld stimmt.«
»Und was ist mit dem Zoll?«
»Auch das ist nur eine Frage der Bezahlung. Kommt alles darauf an, wie wichtig es Ihnen ist, unter dem Radar zu bleiben.«
Liu starrte in die dunkle Nacht hinaus. »Am liebsten komplett unter dem Radar.«
»Dann halten Sie Ihre Brieftasche bereit. Alles ist möglich, aber das hat seinen Preis.« Der Pilot schwieg für einen Augenblick, dann fuhr er fort. »Wir überqueren gerade die Bergkette, an der die Grenze verläuft. In ein paar Minuten haben wir den chinesischen Luftraum verlassen und ich werde anfangen, langsam die Flughöhe zu reduzieren. Der höchste Gipfel liegt bei zweitausend Metern, also fliegen wir sogar jetzt schon verhältnismäßig tief.«
Das Flugzeug machte einen kleinen Satz, als es auf ein Luftloch stieß. Der Pilot schielte auf eine Unwetterfront, in der sich einzelne Blitze zeigten, und deutete in deren Richtung. »Darum sollten wir einen großen Bogen machen. Das kann ganz schnell ziemlich fies werden!«
»Und es ist kein Problem, wenn wir vom Kurs abweichen?«, fragte Liu.
»Dann kommen wir später an, aber haben Sie es eilig?«
»Die Hauptsache ist, dass wir sicher ankommen!«
Der Pilot ließ die Maschine sanft hinabgleiten, bis sie etwa dreihundert Meter von den Baumwipfeln entfernt war, die man in dem blassen Mondlicht gerade so ausmachen konnte. Unterbrochen wurde das Dunkelgrün nur von einigen Lichtungen sowie vereinzelten Felsspitzen.
Der Pilot drehte gerade an einem Regler, als eine laute Explosion das Flugzeug durchschüttelte. Die Windschutzscheibe splitterte, als sie von Metallteilen getroffen wurde und der Motoralarm heulte auf, als das Flugzeug in die Dunkelheit taumelte. Die Augen des Piloten weiteten sich vor Schreck, während er mit dem Steuerknüppel kämpfte, um die Maschine in eine ruhige Lage zu bringen.
Lius Hände schnellten an seine Stirn, wo Blut aus einer Schnittwunde lief. Seine Stimme ähnelte mehr einem schrillen Kreischen, als er sagte: »Oh mein Gott, was ist passiert?«
Der Pilot biss die Zähne zusammen und schrie: »Irgendwas im Motor ist explodiert, wir stürzen ab!«
»Nein …«, stammelte Liu, als er sah, wie Flammen aus dem Motorraum schlugen und schwarzer Rauch ihre Sicht vernebelte.
»Wir können noch ein Stück weit segeln, aber das wird eine harte Landung«, mahnte der Pilot, wobei er die Augen nicht von der Anzeige der Flughöhe ließ, die sich rasant verringerte. Christines Hände krallten sich in den Sitz, ihr Gesicht in grenzenloser Angst verkrampft.
»Siehst du irgendwas, wo wir sicher landen können?«, fragte Liu, als eine zweite Explosion das Flugzeug durchschüttelte und sie steil nach unten stürzten.
»Festhalten!«, schrie der Pilot und riss die Steuerung im letzten Moment herum, als er einen kleinen Flusslauf entdeckte.
Das letzte, was Christine hörte, war Lius entsetzter Aufschrei, als die Maschine in das felsige Flussbett stürzte, wobei der Aufprall das Cockpit innerhalb von Sekundenbruchteilen zerstörte.
Dann strömte Wasser in die Kabine.
Kapitel 3
Zwei Tage später in Malibu, Kalifornien
Drake saß auf seinem Longboard im sanft wogenden Wasser vor der Küste und wärmte sich in den Strahlen der Morgensonne, während er auf die nächste Gruppe von vielversprechenden Wellen wartete, die sich langsam dem Strand näherten. Er wischte sich eine Strähne widerspenstigen Haares aus dem Gesicht und schaute nach links, wo drei andere Surfer auf ihren Brettern lagen, deren Neoprenanzüge ihnen das Aussehen von wohlgenährten Seelöwen verliehen. In der Ferne gingen einige Fischkutter ihrem Tagesgeschäft nach und erwartungsfrohe Möwen umkreisten sie laut schreiend.
Drake lebte nun seit zweieinhalb Monaten direkt am Strand – also seit ihm vorgeschlagen wurde, sich die Ecke einmal anzuschauen. Direkt vom ersten Augenblick an hatte er sich in Malibu verliebt. Im Gegensatz zu Nordkalifornien, wo es einen guten Teil des Jahres regnete, hatte er hier bisher nur idyllische Tage aus endlosem Sonnenschein erlebt.
Er hatte ein Strandhäuschen mit zwei Zimmern gemietet, das ziemlich unauffällig wirkte, vor allem im Kontrast zu einigen der übertrieben protzigen Bauten in der Nachbarschaft. Die waren einfach nicht sein Stil, und trotz des massiven Reichtums, an den er quasi über Nacht gekommen war, fühlte er sich immer noch fremd zwischen all den Hollywood-Regisseuren und berühmten Schauspielern, die ebenfalls an diesem Stück Strand zuhause waren.
Seine Tage bestanden daraus, ab Sonnenaufgang zwei bis drei Stunden zu surfen, bis er erschöpft war. Dann gab es Frühstück, bestehend aus Rührei und einer Karaffe voller frisch ausgepresster Orangen, die er jeden Morgen bei einem Markt um die Ecke kaufte. Vor dem Mittagessen absolvierte er dann einen langsamen Fünfkilometerlauf am Wasser entlang. Die Nachmittage verbrachte er vor seinem Computer, wo er E-Mails beantwortete und nach verlorenen Zivilisationen oder Gerüchten verlorener Schätze forschte.
Durch sein Abenteuer im Amazonas hatte Drake nämlich Geschmack an diesen Themen gefunden. Da er jetzt sowieso ein gefeierter Schatzjäger war, dachte er sich, könnte er doch etwas Konstruktives mit seinem Ruf und dem ganzen Geld anfangen. Er hatte immer nur Verachtung für die Reality-TV-Stars gehabt, deren einziges Talent darin zu bestehen scheint, über abgebrochene Fingernägel oder den Stress mit Paparazzi zu jammern. Deswegen hatte er sich geschworen, sich von diesem menschlichen Bodensatz fernzuhalten. Stattdessen würde er das Erbe seines Vaters antreten und sich den Respekt verdienen, den er bisher eher durch Zufall erlangt hatte.
Sein aktuelles Forschungsobjekt war eine Inkastätte in Peru, auf die in einem Dokument hingewiesen wurde, das er in Paititi gefunden hatte. Er war dabei, eine Expedition zusammenzustellen, um danach zu suchen. Die Dringlichkeit bei dieser Aufgabe kam einerseits daher, dass ihm schlicht langweilig war – er wollte nicht zu viel seiner kostbaren Lebenszeit mit Nichtstun verbringen. Der wichtigere Grund war allerdings, dass er Allie endlich wiedersehen wollte. Ihr Treffen in Texas war nicht so verlaufen, wie er es sich erhofft hatte – die Trauer um ihren Vater sowie die vielen Aufgaben im Zusammenhang mit seiner Beerdigung und der Abwicklung seines Nachlasses hatten sie voll und ganz in Beschlag genommen. Nur wenige Tage, nachdem sie wieder die Zivilisation erreicht hatten, standen sofort diverse Fremde auf der Matte, die behaupteten, diverse per Handschlag besiegelte Geschäfte mit Jack am Laufen zu haben und deswegen offene Forderungen beglichen haben wollten. Dabei ging es um beachtliche Summen, zwar nicht nach Drakes neuen Maßstäben, doch es waren über zehn Millionen Dollar. Der in den Medien aufgeplusterte Reichtum von Allie tat sein übriges, dass die Parasiten aus allen Löchern gekrochen kamen und ein Stück vom Kuchen abhaben wollten.
Allie hatte Drake um Entschuldigung gebeten und gesagt, dass sie sich erst einmal allein um die Angelegenheiten ihres Vaters kümmern wollte. Doch dieses Unterfangen dauerte dann nicht Wochen, sondern Monate, und die paar wenigen Telefongespräche waren bei Weitem nicht ausreichend, um ihre besondere Verbindung aufrecht zu erhalten. Bei seinem letzten Besuch in Texas hatte sie ihn mit einer gewissen Unterkühlung begrüßt, aus der er nicht so richtig schlau geworden war. Sie war zwar der Meinung, es würde schon alles wieder werden, aber er war sich da nicht so sicher. Er hatte sich bereits überlegt, einen Flug zu nehmen und einfach bei ihr in der Nähe einzuziehen und dann vor Ort darauf zu warten, dass sie Zeit für ihn hätte. Doch diese Idee hatte er nach einer Konsultation mit Betty verworfen, die von der Sekretärin seines früheren Arbeitgebers