Edgar Wallace

Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band


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erhielt erst nach einer kleinen Pause Antwort.

      »Gut. In einer Viertelstunde?«

      »Das wäre mir sehr angenehm. Auf Wiedersehen.«

      Essley hängte den Hörer an, gab seine Tasche bei der Gepäckaufbewahrung im Bahnhof ab und ging dann zu Fuß zur Great Russell Street. Absichtlich nahm er keinen Wagen, denn er wollte alles vermeiden, wodurch man ihn hätte wiedererkennen können. Vor allen Dingen wäre Black nicht damit einverstanden gewesen. Bei diesem Gedanken lächelte er. Die Great Russell Street lag vereinsamt da, nur ein Strom von Autos passierte die Straße in beiden Richtungen. Fußgänger waren kaum zu sehen.

      Mr. Weld wartete schon vor dem Britischen Museum. Er war jung, groß und schlank und hatte intelligente, feine Gesichtszüge.

      »Doktor Essley?« fragte er und ging auf den Arzt zu, als dieser stehenblieb.

      »Das ist mein –«, erwiderte der Arzt, unterbrach sich aber sofort. »Mein Name ist Cole«, sagte er rauh. »Wie kommen Sie denn darauf, mich für Essley zu halten?«

      »Ich erkannte Sie an der Stimme«, entgegnete Mr. Weld ruhig. »Es ist auch ganz gleich, welchen Namen Sie sich beilegen. Ich wollte Sie sprechen.«

      »Das war auch mein Wunsch.«

      Sie gingen nebeneinander her, bis sie zu einer Seitenstraße kamen.

      »Was wünschen Sie denn?« fragte der Arzt.

      Der andere lachte.

      »Ich sagte Ihnen, daß ich Sie sprechen wollte. Aber Sie gleichen dem Essley, den ich kannte, kein bißchen. Er war größer und schlanker. Ich war auch immer der Meinung, daß der Essley, der in Australien ins Landesinnere ging, dort starb.«

      »Das ist wohl möglich«, entgegnete der Doktor nachdenklich. Er wollte vor allem Zeit gewinnen. Die Straße war leer. Ein kleines Stückchen weiter wußte er eine Einfahrt, wo ein Mann eine ganze Weile liegen konnte, bis ihn eine Polizeistreife fand.

      In einer seiner Taschen befand sich eine angefeuchtete Feder, sorgfältig in Pergamentpapier gewickelt. Er zog sie heimlich heraus, verbarg sie hinter seinem Rücken und nahm die Umhüllung ab.

      »… wirklich, Doktor Essley«, sagte Mr. Weld gerade, »ich habe den Eindruck, daß Sie unter falschem Namen auftreten.«

      Essley betrachtete ihn.

      »Sie denken zuviel«, sagte er leise. »Und außerdem – ich kann nicht einmal erkennen, wer Sie sind. Schauen Sie mir doch einmal ins Gesicht.«

      Der junge Mann wandte sich ihm zu. Blitzschnell hob der Doktor die Feder.

      Aber im gleichen Augenblick wurde sein Handgelenk mit stahlhartem Griff gepackt. Zwei Männer erschienen plötzlich, als ob sie aus dem Boden aufgetaucht wären. Es wurde ihm etwas ins Gesicht geworfen, und ein muffiger Geruch betäubte ihn. Er wehrte sich verzweifelt, aber die Übermacht war zu groß. Er hörte noch die Trillerpfeife eines Polizisten, dann fiel er zu Boden.

      *

      Als er wieder zu sich kam, sah er in das Gesicht eines Polizisten, der sich über ihn neigte. Instinktiv fühlte er mit der Hand an den Kopf.

      »Sind Sie verletzt?« fragte der Beamte.

      »Nein.«

      Essley erhob sich mühsam, aber er stand noch sehr unsicher auf den Füßen.

      »Haben Sie die Leute gefaßt?«

      »Nein, sie sind entwischt. Wir haben sie erst in dem Augenblick entdeckt, als Sie zu Boden geschlagen wurden. Aber dann waren sie so plötzlich wieder verschwunden, als ob die Erde sie verschlungen hätte.«

      Der Doktor sah sich nach der Feder um, aber sie war verschwunden.

      Widerwillig nannte er seinen Namen und seine Adresse, und der Polizist rief ein Taxi heran.

      »Sind Sie auch sicher, daß Sie nichts verloren haben?« fragte er.

      »Nichts«, entgegnete Essley kurz.: »Sie täten mir einen großen Gefallen, wenn Sie diesen Vorfall nicht melden würden.« Bei diesen Worten steckte er eine Pfundnote in die Hand des Mannes. »Ich möchte nicht, daß die Sache in die Zeitung kommt.«

      Der Polizist gab ihm das Geld zurück.

      »Es tut mir leid, Sir, das kann ich nicht annehmen; selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht.« Er sah sich schnell um und sprach dann leise weiter. »Ein Beamter von Scotland Yard begleitet mich – ein hoher Beamter …«

      Essley folgte der Richtung seines Blickes und sah, daß ein Mann im Schatten der Mauer stand.

      »Er hat Sie zuerst gesehen«, sagte der Polizist, der noch sehr jung und redselig war.

      Essley gehorchte einer Regung, die er sich selbst nicht erklären konnte, und ging auf den Fremden zu.

      »Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet und hoffe, daß Sie auch noch die Freundlichkeit haben, diese Sache unerwähnt zu lassen. Es wäre mir äußerst peinlich, wenn in der Presse darüber berichtet würde.«

      »Das kann ich mir denken«, erwiderte der Unbekannte. Er war in Gesellschaftskleidung; der Doktor konnte sein Gesicht nicht erkennen. »In dieser Angelegenheit müssen Sie schon alles uns überlassen, Doktor Essley.«

      »Woher wissen Sie meinen Namen?« fragte der Arzt.

      Der andere lächelte im Dunkeln und wollte fortgehen.

      »Einen Augenblick!« Essley trat einen Schritt vor und schaute ihm ins Gesicht. »Ihre Stimme kommt mir bekannt vor!«

      »Das ist möglich«, entgegnete der Fremde und schob ihn höflich, aber bestimmt beiseite.

      Essley staunte. Er war selbst kein Schwächling, aber die Arme dieses Mannes waren hart wie Stahl.

      »Ich glaube, Sie fahren jetzt am besten nach Hause«, sagte der Polizist ängstlich. Er wollte es sich weder mit dem offenbar einflußreichen Herrn noch mit seinem Vorgesetzten verderben diesem geheimnisvollen Mann von Scotland Yard, der plötzlich bei den verschiedensten Abteilungen auftauchte und ebenso schnell wieder verschwand. Manchmal entdeckte er Unregelmäßigkeiten, und es gab nachher Schwierigkeiten und Bestrafungen. »Ja, ich werde fahren«, erwiderte der Doktor, »aber ich würde gern den Namen dieses Herrn wissen.«

      »Der kann Sie doch nicht interessieren«, meinte der Polizist.

      Essley zuckte die Schultern. Er mußte sich damit zufriedengeben.

      *

      Während er nach Forest Hill zurückfuhr, dachte er über seine seltsamen Erlebnisse nach, ohne aus ihnen klug zu werden. Wer mochten diese drei gewesen sein? Welche Absicht hatten sie verfolgt? Wer war der Mann, der im Schatten der Mauer gestanden hatte? War es möglich, daß die Leute, die ihn überfallen hatten, im Einverständnis mit der Polizei handelten?

      Als er seine Wohnung erreicht hatte, war er der Lösung noch nicht näher gekommen. Er schloß die Haustür auf und trat ein. Außer ihm und der alten Frau im ersten Stock war niemand im Hause.

      Sein Kommen und Gehen war unregelmäßig, und er hatte seinen Haushalt so eingerichtet, daß er die größte Bewegungsfreiheit besaß.

      Er kam zu dem Entschluß, daß es mit Dr. Essley ein Ende haben mußte. Essley mußte aus London verschwinden. Oberst Black brauchte er nicht zu benachrichtigen – der würde Bescheid wissen. Nur die Sache mit Mr. Sandford und dessen Tochter mußte er noch regeln, dann wollte er Schluß machen.

      Er ging in sein Arbeitszimmer und drehte das Licht an.

      Auf dem Schreibtisch lag ein dünnes graues Kuvert. Er nahm es auf und betrachtete es. Der Brief mußte persönlich abgegeben worden sein. Sein Name und seine Adresse waren mit fester Handschrift geschrieben.

      Zufällig streifte sein Blick die Schreibunterlage, und er schrak zurück.

      Der