darüber reden. Ich bin ja nicht hochmütig, wirklich nicht, aber …«
Frank warf den Kopf zurück und lachte.
»Aber May, begreifen Sie denn nicht, daß ich bestimmt kein Polizist wäre, wenn nicht ein zwingender Grund dazu vorläge? Ich tue diesen Dienst weiter, weil ich es meinem Vorgesetzten versprochen habe.«
»Aber … aber …« Sie war völlig verwirrt. »Wenn Sie Ihren Abschied von der Polizei nehmen, haben Sie doch gar keinen Vorgesetzten mehr?«
»Ich kann meine Stellung nicht aufgeben«, sagte er schlicht. Er dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Sie fordern von mir, daß ich mein Wort brechen soll, daß ich ein größeres Unrecht begehen soll als das, was ich sühnen will. Das können Sie doch nicht wollen!«
Sie trat enttäuscht von ihm zurück.
»Ich verstehe – Sie wollen es nicht tun.« Sie streckte die Hand aus. »Ich werde Sie auch nie wieder darum bitten.«
Er nahm ihre Hand, drückte sie einen Augenblick und ließ sie dann sinken. Ohne ein weiteres Wort ging sie aus dem Zimmer. Frank wartete noch ein paar Sekunden – hoffte wider alle Vernunft, daß sie ihr Verhalten bereuen werde. Aber die Tür blieb geschlossen.
Niedergeschlagen verließ er das Haus.
8
Dr. Essley machte in seinem Studierzimmer eine sorgfältige mikroskopische Untersuchung. Der Raum lag im Dunkeln, nur die sehr starke Lampe des Mikroskops verbreitete einiges Licht.
Offenbar war er mit dem Resultat zufrieden, denn er nahm das Präparat langsam aus dem Instrument und warf es ins Feuer. Dann drehte er das Licht im Zimmer wieder an.
Gleich darauf griff er nach einem Zeitungsausschnitt, der auf dem Tisch lag, und las ihn. Der Artikel interessierte ihn, denn es war der Bericht über den plötzlichen Tod von Mr. Augustus Fanks.
›Der Verstorbene‹ hieß es darin, ›besprach gerade mit dem bekannten Finanzmann Oberst Black die Einzelheiten einer geplanten Fusion, als er plötzlich zusammenbrach. Er starb, bevor noch ärztliche Hilfe geholt werden konnte. Man nimmt allgemein an, daß er einem Herzschlag erlegen ist.‹
Es wurde keine gerichtliche Leichenschau abgehalten, denn Fanks war in der Tat herzkrank gewesen und dauernd von einem Spezialisten behandelt worden.
Das war also das Ende von Augustus Fanks. Dr. Essley nickte langsam. Das war das Ende – und nun?
Er nahm einen Brief aus der Tasche, der seine Adresse trug, geschrieben in den großen Schriftzügen Theodore Sandfords.
Essley hatte den Millionär kennengelernt, als dieser noch mit Oberst Black auf gutem Fuß stand. Er war Sandford von Black empfohlen worden und hatte ihn schon mehrfach behandelt. Sandford nannte ihn stets den ›Doktor aus der Vorstadt‹.
›Ich stehe mit unserem Freund Black augenblicklich zwar auf etwas schlechtem Fuß, doch hoffe ich, daß unsere Beziehungen dadurch in keiner Weise beeinflußt werden, besonders, da ich Sie bitten möchte, einmal nach meiner Tochter zu schauen.‹
Essley erinnerte sich, daß er das schlanke junge Mädchen mit den lachenden blauen Augen schon gesehen hatte.
Er steckte den Brief wieder in die Tasche, ging in sein kleines Laboratorium und schloß die Tür. Als er wieder heraustrat, hatte er einen Mantel an und trug eine kleine Ledertasche.
Es gelang ihm gerade noch, einen Zug zur Stadt zu erreichen, und er kam um elf Uhr in dem Hause Mr. Sandfords an.
»Sie sind wirklich ein geheimnisvoller Arzt«, sagte der Eisenmagnat lächelnd, als er den Doktor begrüßte. »Besuchen Sie Ihre Patienten immer zu so nachtschlafender Zeit?«
»Die vornehmen Patienten, ja«, erwiderte Essley kühl.
»Es ist doch recht schade um den armen Fanks«, meinte Sandford. »Vor einigen Wochen habe ich noch mit ihm gespeist. – Hat er Ihnen übrigens erzählt, daß er einen Mann traf, der Sie in Australien kannte?«
Ein Schatten des Unmuts ging über das Gesicht des Arztes.
»Wir wollen lieber über Ihre Tochter sprechen«, erwiderte er wenig liebenswürdig. »Was fehlt ihr denn?«
Mr. Sandford lächelte verlegen.
»Es ist wahrscheinlich nichts von Bedeutung. Aber Sie wissen ja, daß sie mein einziges Kind ist. Manchmal bilde ich mir vielleicht nur ein, daß sie bleich aussieht. Mein Hausarzt in Newcastle sagt, daß sie völlig gesund ist.«
»So, so. Wo ist sie denn?«
»Sie ist im Theater«, gestand Mr. Sandford. »Sie müssen mich für einen Narren halten, daß ich Sie herrufe, um nach meiner Tochter zu sehen, wenn sie ins Theater gehen kann. Aber sie hatte gestern ein unangenehmes Erlebnis, das sie sehr mitgenommen hat, und ich bin froh, daß sie heute soviel Interesse am Leben zeigte, eine Operette zu besuchen.«
»Die meisten Väter sind töricht. Ich werde warten, bis sie zurückkommt.«
Er trat ans Fenster und schaute hinaus.
»Warum haben Sie sich eigentlich mit Black überworfen?« wandte er sich plötzlich wieder an Sandford.
Der Millionär runzelte die Stirn.
»Aus geschäftlichen Gründen!« antwortete er kurz. »Er will mich zu einer Sache zwingen, die gegen meine Interessen geht. Und ich habe ihm doch vor vier Jahren geholfen –«
»Er war Ihnen aber auch nützlich«, unterbrach ihn der Arzt.
»Das stand in gar keinem Verhältnis dazu«, entgegnete Mr. Sandford hartnäckig. »Ich gab ihm damals eine Chance. Ich habe dabei natürlich verdient, aber er hat mehr verdient. Das Geschäft hat sich inzwischen so entwickelt, daß es ein Unding wäre, eine Fusion mit anderen Firmen der Eisenindustrie einzugehen. Von diesem Standpunkt lasse ich mich durch nichts abbringen.«
»Ich verstehe.« Dr. Essley pfiff leise vor sich hin und ging wieder zum Fenster zurück.
Dieser Eigensinn muß gebrochen werden, dachte er. Und es gab nur einen sicheren Weg, das zu erreichen: die Tochter. Heute abend konnte er allerdings noch nichts tun, darüber war er sich klar.
»Vielleicht dauert es doch zu lange. Ich komme lieber morgen wieder.«
»Es tut mir sehr leid –«
Aber Essley unterbrach ihn sofort.
»Sie haben es nicht nötig, sich zu entschuldigen«, sagte er bissig. »Sie werden meinen Besuch schon auf der Rechnung finden.«
Mr. Sandford lachte, als er ihn zur Tür begleitete.
»Sie sind ein ebenso guter Geschäftsmann wie Ihr Freund.«
»Beinahe«, erwiderte Essley trocken.
*
Das Taxi, das er hatte warten lassen, brachte ihn zum Charing-Cross-Bahnhof. Er ging sofort in die nächste Telefonzelle und rief das ›Hotel Valet‹ in Bloomsbury an.
Er hatte allen Grund, mit einem gewissen Mr. Weld zusammenzukommen, der ihn von Australien her kannte.
Mr. Weld war im Hotel. Es dauerte nicht lange, bis der Portier ihn an den Apparat gerufen hatte.
»Hier ist Weld – Sie wollen mich sprechen?« meldete sich der Fremde.
»Ja. Mein Name ist Cole. Ich kenne Sie von Australien her und habe Ihnen von einem gemeinsamen Freund etwas auszurichten. Kann ich Sie heute abend noch sprechen?«
»Ja – wo wollen wir uns treffen?«
Dr. Essley hatte sich das schon sehr genau überlegt.