Edgar Wallace

Edgar Wallace: 69 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band


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      »Ich dachte es mir doch. Er ist ein Landsmann von Ihnen, und ich muß ihn schon irgendwann getroffen haben!«

      »Helder ist ein ziemlich häufiger Name.«

      »Er hat meine Nichte gebeten, bei ihm als Sekretärin zu arbeiten.«

      Gold runzelte unwillkürlich die Stirn, was Maple nicht entging. »Ist mit Helder etwas nicht in Ordnung?« fragte er ängstlich. »Er hat ihr ein gutes Gehalt angeboten.«

      »Woher wußte er denn, daß Ihre Nichte ohne Stellung ist?«

      Maple schob seinem Besucher nochmals einen Stuhl hin.

      »Nehmen Sie doch noch einen Augenblick Platz, ich möchte Ihnen gern mehr darüber erzählen. Die Sache ist etwas merkwürdig. Meine Nichte war nämlich Sekretärin beim alten Lord Dellborough, der neulich starb. Sie hatte eigentlich nicht die Absicht, sich nach einer neuen Stellung umzusehen, da ihr Lebensunterhalt bei mir gesichert ist. Nun kam letzte Woche ein Brief von einer Agentur, in dem ihr dieses Angebot gemacht wurde, obgleich sie sich gar nicht beworben hatte.«

      »Das ist allerdings ein seltsames Zusammentreffen«, sagte Gold trocken. Er glaubte unter keinen Umständen an einen Zufall und konnte sich ziemlich genau vorstellen, wie die Sache zustande gekommen war.

      Er schaute Verity wieder an. Höchstwahrscheinlich wußten gewisse Kreise, wer die frühere Sekretärin von Lord Dellborough war, und man konnte ohne weiteres einer Agentur den Auftrag geben, ihr eine Stellung anzubieten. Es kam noch dazu, daß sie außergewöhnlich hübsch war, und Helder interessierte sich stets für gutaussehende junge Damen.

      »Ich möchte Ihnen raten, die Stelle anzunehmen«, sagte er plötzlich, nahm sein Notizbuch aus der Tasche und schrieb etwas auf einen Zettel.

      »Hier haben Sie meine Telefonnummer. Sie werden immer jemand erreichen, wenn Sie anrufen. Ich möchte Ihnen aber noch den Rat geben, Helder nicht zu sagen; daß Sie mich kennen – auch wäre es gut, wenn Sie mir mitteilten, ob Sie die Stelle angenommen haben.«

      Mit diesen geheimnisvollen Worten verabschiedete er sich.

       Inhaltsverzeichnis

      Für Verity Maple bedeutete die Christal Palace Road das traurige Erwachen aus einem schönen Traum. Es war ihr seither immer gut gegangen, obwohl ihre Mutter schon früh gestorben war; ihr Vater, George Maple, hatte zwölfhundert Pfund im Jahr verdient – leider aber stets fünfzehnhundert ausgegeben. Der Augenblick kam, an dem seine finanziellen Verhältnisse hoffnungslos zerrüttet waren; schließlich gab es nur noch zwei Wege für ihn: Bankrotterklärung oder Selbstmord. Ein Autobus, dem er nicht rechtzeitig auswich, enthob ihn der Entscheidung. Als Verity aus einem belgischen Pensionat heimgekehrt war, fand sie ihr Vaterhaus bereits im Besitz einer Anzahl von Gläubigern, die rücksichtslos versteigern ließen, was nicht niet– und nagelfest: war. Verity saß auf der Straße. Sie wußte nicht was tun, doch da tauchte Tom Maple auf.

      Sie hatte früher schon von Onkel Tom gehört und hatte auch Briefe von ihm aus den verschiedensten Städten erhalten, dabei war ihr seine merkwürdige Angewohnheit aufgefallen, gleichzeitig mit dem Aufenthalt auch den Namen zu wechseln.

      Er war wirklich ein sonderbarer Mensch, aber ihr gegenüber zeigte er sich von seiner liebenswürdigsten Seite. Verity hatte alle Ursache, ihm dankbar zu sein.

      Sie zogen zusammen in das Haus in der Christal Palace Road. Bald genug hatte sie entdeckt, daß er ein Trinker war. Auch daran gewöhnte sie sich und lebte bald glücklicher mit ihm, als sie jemals zu hoffen gewagt hatte.

      In finanziellen Dingen war Tom Maple sehr großzügig; er stellte ihr genügend Geld zur Verfügung, und sie war eigentlich durchaus nicht gezwungen, eine Stellung anzunehmen. Es trieb sie mehr der Wunsch nach Unabhängigkeit zu einem Beruf.

      Für die Tätigkeit ihres seltsamen Onkels interessierte sich Verity sehr. Stundenlang konnte sie neben ihm sitzen und beobachten, wie er mit sicherer Hand feine, schöngeschwungene Linien in Stahlplatten grub. Tom Maple wurde von einer Gravieranstalt, die Banknoten herstellte, sehr gut bezahlt. Seine Auftraggeber kannten ihn und wußten seine Arbeit zu schätzen. Sie schienen ihn so notwendig zu brauchen, daß sie selbst seine üblen Gewohnheiten übersahen.

      An dem Abend nach Golds Besuch hielt sich Verity noch im Wohnzimmer auf. Sie saß am offenen Kamin und las in einem Buch, als sie plötzlich den leichten Schritt ihres Onkels draussen auf dem Gang hörte. Er ging an der Tür vorbei, blieb dann zögernd stehen und kam zurück. Die Tür wurde geöffnet, und er kam herein. Sie sah ihn an.

      »Kann ich etwas für Dich tun, Onkel?«

      Sein Gesicht war noch bleicher als sonst. Die Wangen schienen ihr noch eingefallener, die Augen von noch dunkleren Rändern umschattet. Er schaute sie eine Weile wortlos an, dann nahm er einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber.

      »Verity«, sagte er schließlich ernst, »ich habe über dich nachgedacht und mir überlegt, ob es nicht besser wäre, wenn ich dir etwas über mich erzählte.«

      Er seufzte schwer und sah ihr dann fest in die Augen.

      »Mein Leben war sehr merkwürdig«, begann er langsam. »Du weißt nicht so richtig Bescheid über meine Vergangenheit, wie?«

      Sie sah ihn lächelnd an und schüttelte den Kopf.

      »Ich weiß nur, daß du mir ein guter Onkel bist.«

      Er machte eine abwehrende Handbewegung.

      »Du darfst nicht so gut von mir denken. Ich bin nicht ganz der, für den du mich hältst.« – Er sah sie ernst, fast traurig an. – »Wenn mir etwas zustoßen sollte«, fuhr er dann fort, »so möchte ich, daß du einen bestimmten Herrn in London aufsuchst.« Mit diesen Worten zog er seine Brieftasche hervor.

      »Ich will dir etwas geben. Ich habe dich neulich um deine Unterschrift gebeten, weil ich dir ein Konto in der Londoner Nordwestbank eröffnet habe. Es ist kein großes Vermögen«, sagte er schnell, als er ihre Freude bemerkte, »aber es wird dich vor Not schützen, wenn mir etwas passieren sollte.«

      »Was sollte dir denn passieren?« fragte sie ihn ängstlich und bestürzt.

      Er zuckte nur die Schultern.

      »Das kann man nie wissen«, meinte er melancholisch.

      Er nahm ein Scheckbuch aus der Brieftasche, auf dem der Name der Bank stand.

      »Hebe es gut auf«, sagte er, als er es ihr überreichte. »Übrigens mußt du doch langsam auch ans Heiraten denken.«

      Sie schüttelte nur lachend den Kopf.

      »Die meisten Mädchen schütteln den Kopf, wenn sie ein solches Ansinnen hören«, meinte er, plötzlich wieder vergnügt, »und dann heiraten sie doch alle!«

      Er nickte ihr zu und wollte eben aus dem Zimmer gehen, als sie sich an seine Worte von vorhin erinnerte.

      »Onkel, du hast mir noch nicht den Namen des Mannes gesagt, an den ich mich wenden soll.«

      Er gab nur zögernd die Antwort.

      »Ich meine Comstock Bell – später werde ich dir einmal mehr von ihm erzählen.«

      Im nächsten Augenblick war er gegangen. Sie folgte ihm nachdenklich mit den Blicken.

      Was mochte er mit den Andeutungen über sein früheres Leben gemeint haben? Sie war nun alt genug, um zu wissen, daß seine häufigen Namensänderungen eine ernstere Bedeutung gehabt haben könnten. Fast wünschte sie jetzt, daß sie ihm zugeredet hätte, offen zu sprechen.

      Sie schaute auf die Uhr. Um sechs sollte sie sich bei Mr. Cornelius Helder vorstellen. Es kam ihr ein wenig seltsam vor, daß er sie in seine Privatwohnung in der Curzon Street gebeten hatte.

      Helder bewohnte