einen denkbar schlechten Ruf, und infolgedessen traut man Ihnen nicht. Wenn es zu der Frage käme, ob man Ihnen oder mir glauben sollte, so würden Sie in diesem Wettstreit bestimmt unterliegen. Ich habe immerhin noch eine gewisse Stellung in der Gesellschaft, ich gehöre dem Adel Großbritanniens an – was stellen Sie demgegenüber vor? Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen – Sie sind doch eigentlich nichts.«
Black sah ihn lange an.
»Welche Ansicht Sie auch über unsere Geschäfte haben mögen«, sagte er dann langsam, »Sie müssen jetzt durchhalten. Sie können sich Ihrer Verantwortung nicht entziehen. Wenn ich wegen irgendeiner Sache, die wir getätigt haben, verhaftet werden sollte, mache ich der Polizei auch über Sie Mitteilung. Wir sind beide in demselben Boot, wir sinken oder schwimmen zusammen.«
Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.
»Verstehen Sie mich doch recht«, erwiderte Sir Isaac bestürzt, »ich werde selbstverständlich zusehen, daß ich Ihnen das Geld zurückzahle, das Sie mir gegeben haben, ich werde Ihnen Wechsel ausstellen –«
»Ein hervorragender Einfall! Sie wollen mir Wechsel ausstellen? Das kann ich selbst auch tun! Eher würde ich Schuldverschreibungen von einem Straßenkehrer annehmen als von Ihnen. Es fliegen so viel Papiere von Ihnen in London herum, daß man die Kesselanlagen in Sandfords Fabriken eine Woche lang damit heizen könnte.« Er kam auf einen Gedanken. »Wir wollen über die ganze Angelegenheit kein Wort verlieren, bis die Fusion perfekt ist. Nächste Woche werde ich sicher Erfolg haben. Das würde doch einen großen Umschwung mit sich bringen, Ikey.« Black sprach jetzt liebenswürdiger. »Sie brauchen wirklich nicht auszukratzen wie eine Ratte.«
»Das tue ich auch nicht«, protestierte Ikey. »Ich will nur –«
»Ich weiß, Sie wollen nur vorsichtig sein – genau wie die Ratten. Aber Sie stecken bis zum Hals in diesen Dingen drin, täuschen Sie sich nur nicht. Sie können nicht aus der Firma austreten, bis ich Sie gehen lasse.«
»Es wäre aber schrecklich, wenn diese ganzen Schiebungen herauskämen. Es wird denkbar unangenehm für mich werden, wenn man erfährt, daß ich noch immer Ihr Partner bin.«
»Noch viel schlimmer wird es für Sie werden«, antwortete Black anzüglich, »wenn Sie bei dem Zusammenbruch nicht mehr zu mir halten wollen.«
Die letzten Worte klangen drohend.
*
Theodore Sandford, der immer viel beschäftigt war, kam auf kurze Zeit in das Zimmer seiner Tochter.
»May, vergiß nicht, daß ich dir zu Ehren heute abend ein Essen gebe. Denn wenn ich mich nicht sehr täusche, wirst du heute zweiundzwanzig Jahre alt. Den Scheck hast du doch heute morgen beim Frühstück gefunden?«
Sie gab ihm einen Kuß. »Wer wird kommen? Ich hätte eigentlich die Gäste selbst aussuchen und einladen sollen.«
»Ich habe nicht soviel Zeit, dir jetzt alle aufzuzählen«, meinte ihr Vater lächelnd. »Es tut mir nur leid, daß du dich mit dem jungen Fellowe überworfen hast. Ich hätte ihn sonst gerne hier gesehen.«
Sie lächelte vergnügt. »Du meinst, ich soll mir einen anderen Polizisten anschaffen?« scherzte sie.
Er sah sie ernst an.
»Fellowe ist kein gewöhnlicher Polizist«, erwiderte er ruhig. »Sagte ich dir schon, daß ich ihn neulich mit dem Innenminister speisen sah?«
Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Doch nicht in Uniform?«
Er lachte.
»Nein, du Gänschen, er hatte seinen Hausmantel an.«
Sie begleitete ihn bis zur Haustür.
»Du bist bei Lord Verlond in die Schule gegangen«, sagte sie vorwurfsvoll.
Sie wartete, bis das Auto ihres Vaters verschwunden war, dann ging sie in bester Laune in ihr Zimmer zurück.
Am vergangenen Abend hatte sie sich unerträglich bedrückt gefühlt, bis sie einem plötzlichen Impuls folgte und ihren Trotz und Hochmut aufgab. Es war ihr zum Bewußtsein gekommen, daß Frank Fellowe noch immer ihr Ideal und Abgott war und daß er allein all ihre Gedanken in Anspruch nahm, so daß sie an nichts anderem mehr Freude hatte.
Mit Schrecken dachte sie jetzt an ihre letzte Begegnung und an ihre Trennung, und die Erinnerung daran machte sie wieder ganz unglücklich. Sie sprang auf, ging zum Schreibtisch und schrieb ein paar eilige, reuevolle, befehlende Zeilen an Frank. Sie bat und beschwor ihn, sofort zu ihr zu kommen.
Frank erschien auch sofort. Kaum zehn Minuten nach Mr. Sandfords Abfahrt meldete das Mädchen seinen Besuch.
Schnell eilte May die Treppe hinunter. Aber als sie vor der Bibliothekstür stand, überkam sie eine plötzliche Schüchternheit. Sie hätte noch gezögert, aber das Dienstmädchen, das ihr folgte, sah sie so interessiert an, daß sie sich verpflichtet fühlte, Gleichgültigkeit zu zeigen.
Frank stand mit dem Rücken zum Eingang, aber er drehte sich rasch um, als er das leichte Rauschen ihres Kleides hörte.
May schloß die Tür, aber sie blieb dort stehen.
»Wie geht es Ihnen?« begann sie.
Ihr Herz schlug wild, und bei dem Versuch, ihre Erregung zu unterdrücken, klang ihre Stimme kalt und fremd.
»Danke, es geht mir gut«, erwiderte Frank ebenso kühl.
»Ich … ich wollte Sie sprechen.«
Sie gab sich die größte Mühe, natürlich und harmlos zu erscheinen.
»Das habe ich aus Ihrem Brief entnommen.«
»Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie gekommen sind«, fuhr sie in konventionellem Ton fort. »Hoffentlich hat es Ihnen keine Ungelegenheiten bereitet.«
»Nein, nicht im geringsten.« Wieder drückte sich in Franks Stimme das Echo ihres eigenen Tones aus. »Ich war gerade im Begriff auszugehen, als ich Ihr Schreiben erhielt. Daher bin ich so rasch gekommen.«
»Ach, das tut mir leid – wollen Sie nicht erst Ihre Verabredung erledigen? Mir paßt auch jede andere Zeit. Es … es ist nicht so wichtig.«
»Ich hatte eigentlich nichts anderes vor«, sagte Frank zögernd. »Um die Wahrheit zu sagen, ich wollte sowieso hierherkommen.«
»Ach, Frank, wollten Sie das wirklich?«
»Ja, wirklich und wahrhaftig, mein kleines Mädchen!« May antwortete nicht, aber Frank las in ihrem Gesicht mehr, als Worte sagen konnten.
Mr. Sandford kehrte am Nachmittag zurück und fand zwei glückliche Menschen im Halbdunkel der Bibliothek.
In Scotland Yard aber warteten zehn Beamte vergeblich auf das Erscheinen Frank Fellowes. Sie fluchten und schimpften abwechselnd.
19
Doktor Essleys Haus stand leer. Und obwohl die wenigen Möbel nicht fortgeschafft worden waren, machte das Haus mit den geschlossenen Fensterläden und den lange nicht gereinigten Treppenstufen einen verlassenen und trostlosen Eindruck.
Wilde Gerüchte hatten sich in der kleinen Vorstadt verbreitet. Wenn sie auf Wahrheit beruhten, mußten sie mit Recht die allgemeine Entrüstung hervorrufen.
›Doktor‹ Essley sollte seine Praxis ausgeübt haben, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Es sollte ein Betrug der schlimmsten Art vorliegen, denn man raunte sich zu, daß er sich Namen, Titel und Beruf eines Toten angeeignet habe.
»Ich weiß nur«, erklärte Oberst Black einem Reporter, der ihn in seinem Büro aufsuchte, »daß ich Doktor Essley in Australien traf und daß seine Tüchtigkeit großen Eindruck