Peter Altenberg

Was der Tag mir zuträgt


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ist noch still und grau, Birken und Weiden duften eindringlich, und der Vogel Pirol bläst in kurzen Zwischenräumen Reveille. Unablässig.

      Die Dame sagte einmal: "Oh, ich möchte das Leben kennenlernen. Ich kann ihm nicht nahekommen, es nicht ergründen – – –"

      Da sagte der Herr: "Haben Sie schon den Vogel Pirol in den Praterauen Reveille blasen gehört im Morgendämmern?!?"

      "Muss man das tun, um das Leben ergründen zu können?!?"

      "Ja, das, das muss man. Von solchen versteckten Winkeln aus, gleichsam aus dem Hinterhalte, kann man dem Leben beikommen! Da, da beginnt die mysteriöse Schönheit und der Wert der Welt!"

      "Wie sieht er denn aus, der Vogel Pirol?!"

      "Niemand sieht ihn. Irgendwo in alten, alten Birken hockt er und bläst Reveille und weckt zum Tage. Immer lichter und lichter wird es, und die weiten Auen werden ganz sichtbar. Am Ufer sind schwarze riesige Schleppschiffe, Tagestätigkeit erwartend mit ihren geräumigen Kräften."

      "Gehen wir zum Vogel Pirol – – –", sagte die Dame.

      Ein ziemlich unwahrscheinliches Tier. Wie eine Ratte aus Gullivers "Reich der Riesen". Immerhin ein tüchtiger Schwimmer, und auf dem Lande putzt sie sich ziemlich anmutig, aufrecht sitzend, mit den Vorderpfoten. Wenn man ihr Brot und Semmel vorwirft, hat sie die Empfindung: "Hast du vier Volksschulklassen absolviert, mein Lieber?! Da solltest du es doch wissen, dass wir uns ausschließlich von Fischen nähren – –."

      Die Biberratte trägt im Ganzen nicht viel zur Unterhaltung bei.

      Aber man erwartet sich unablässig etwas Besonderes von diesem Tiere.

      Das ist das Besondere an ihm.

      Man steht stundenlange vor dem kleinen Bassin. Man möchte ihm etwas durch Warten abtrotzen!

      Der Hofmeister natürlich beeilt sich, dem Tiere sofort seinen ganzen Reiz zu nehmen und erzeugt mit Hilfe von Detail-Schilderungen bei seinen Zöglingen eine fürs ganze Leben dauernde Gleichgültigkeit gegen Biberratten!

      Die Gouvernante hingegen fasst sich kürzer und sagt: "De gros rats, fidonc!"

      Ich liebe die Landungsstege an den Salzkammergut-­Seen, die alten grauschwarzen und die neueren gelben. Sie riechen so gut wie von jahrelang eingesogenem Sonnenbrande. In dem Wasser um ihre dicken Pfosten herum sind immer viele ganz kleine grausilberne Fische, die so rasch hin und her huschen, sich plötzlich an einer Stelle zusammenhäufen, plötzlich sich zer­streuen und entschwinden. Das Wasser riecht so an­genehm unter den Landungsstegen wie die frische Haut von Fischen. Wenn das Dampfschiff anlegt, er­beben alle Pfosten, und der Landungssteg nimmt seine ganze Kraft zusammen, den Stoß auszuhalten. Die Maschine des Dampfschiffes mit den roten Schaufel­rädern kämpft einen hartnäckigen Kampf mit dem in renitenter Kraft verharrenden Landungsstege. Er gibt nicht nach, wehrt sich nur, soweit es unbedingt nötig ist, nach außen hin und erzittert vor innerem Widerstande.

      Endlich siegt seine ruhige, in sich verharrende Kraft, und das Schiff lässt locker, gibt nach, entfernt sich wieder.

      Stunden und Stunden liegt der Landungssteg für Dampfschiffe, meistens im Sonnenbrande dörrend, einsam, gemieden da.

      Plötzlich kommen angeregte Menschen in lichten Kleidern, sammeln sich auf dem Landungsstege. "Geht nicht zu weit vor", sagen die Eltern und betrachten den Landungssteg als eine imminente Gefahr. Ich könnte nun mit einiger Berechtigung sagen: "Irgendwo, abseits, lehnen zwei hart nebeneinander stumm am Geländer." Aber das ist alte Schule und infolgedessen unterdrückt man es. Ich kann jedoch nicht leugnen, dass das beharrliche Hinabstarren am Geländer des Landungssteges in das Wasser, in der Nähe einer jungen Dame, durch längere Zeit durchgeführt, oft seine laute verständliche innere Sprache spricht.

      Auf den Landungsstegen werden meistens kleine unbrauchbare Fische gemartert. Man fängt sie, schleudert sie zu Boden, weidet sich an ihrem Totentanz. Freilich, zwischen den Zähnen eines Hechtleins ist es auch nicht angenehmer. Und wer stirbt ruhig in seinem Bette?! Auf den Landungsstegen befinden sich ebenfalls zuzeiten die Komitees und das Präsidium der Jachtwettfahrer. Segelregatta. Stundenlange starren sie mit Operngläsern irgendwohin, auf einen mysteriösen Punkt im See, und niemand aus dem Publikum hat eine Ahnung, was vorgeht. Trotzdem ist alles sehr aufgeregt. Hie und da fällt ein technischer Ausdruck. Plötzlich wird Hurra geschrien und einiges emsig notiert. Der Landungssteg ist da wie der Hügel eines Feldherrn. Man starrt mit Operngläsern auf den Aus­gang der Schlacht. Da ist der Landungssteg mitten im Leben drin. Dann liegt er wieder in Mondnächten da wie ein dunkles Ungetüm, zieht sich, streckt sich schwarz hinaus in den silbernen See.

      Ich liebe die Landungsstege der Dampfschiffe an den Salzkammergut-Seen, die alten grauschwarzen und die neueren gelben. Sie sind mir so ein Wahrzeichen von Sommerfreiheit, Sommerfrieden, und sie duften wie von jahrelang eingesogenem Sonnenbrande – –.

      Anfangs Juli, an einem Feiertage.

      Es war ein Gekribbel von Menschen, wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen. Auch so lange, gedrängte Kolonnen von Kommenden und Gehenden. In dem wunderbaren weiten Alleen-beschnittenen herzoglichen Parke.

      Alles war so wohlgepflegt und wohlbehütet, so sicher bewahrt vor der dummen Leidenschaft der Kinder und der Kindlichen!

      Da brach die Herrliche einen Zweig von Schleh­dorn ab.

      Der Dichter sagte ihr sogleich: "Wenn jeder hier einen solchen Zweig sich bräche, wäre der wunder­bare Garten in einer Stunde devastiert!"

      Sie schwieg. Sie begehrte auf mit der Weltordnung, setzte ihren Willen auf den Thron!

      Dann sagte er: "Wir müssen beim Haupttore an den herzoglichen Gendarmen vorüber. Werfen Sie doch, bitte, den Zweig weg!"

      "Ich mag es nicht. Er ist schön und ich behalte ihn. Ich mag ihn gern – – –."

      "Es steht nicht dafür, mit der Welt und ihren immerhin soliden Einrichtungen aufzubegehren wegen eines Schlehdornzweiges!?! Werfen Sie ihn doch weg!"

      "Pfui, P. A., Sie haben keinen Sinn für Freiheit, Sie sind feig! Ich mag Sie nicht!"

      Er schwieg. Sie ging mit ihrem Schlehdornzweige.

      Beim Haupttore stand ein langer junger Gendarm. Er sah den Zweig in der Hand der Herrlichen, wandte sich momentan, fast verlegen, nach einer anderen Seite um.

      Wir kamen über den weiten edlen Vorplatz. "Nun, sehen Sie?!?", sagte sie.

      Er schwieg. Sie stiegen in den Wagen, fuhren zur Stadt.

      Er sagte: "Wenn jeder von den Besuchern des wunderbaren Parkes sich einen solchen Zweig bräche, wäre dieser in einer Stunde devastiert!"

      Sie saß triumphierend da und spielte mit ihrem Schlehdornzweige.

      Sie war wunderbar schön, so kindisch-siegreichtrotzig.

      Er dachte: "Weshalb, Süßeste, hat man dir deinen Hintern nicht durchgehaut, seinerzeit?!? Heute freilich wäre es bereits schade – – –."

      nun will ich über dich sprechen, so wie ich dich ver­stehe und auffasse mit meinem Herzen:

      Wie ein edles Phantom bist du bisher gewesen, wie ein wundersames Gespenst, das am helllichten Alltage der Straße vor den geschäftigen, allzu geschäftigen Leuten auftaucht! So entfernt von ihrem Alltagdasein, so ohne Beziehung zu ihrem Selbsterhaltungstriebe, der doch immer ist und wirkt! Ein mattes über­flüssiges, geschaffen von überflüssigen Künstlers Gnaden! Eine luxuriöse Tändelei! Wir wollen dich aber nun lebendig machen, dich dem Leben des All­tages näherrücken, du blut-, du fleischloses