Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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dieselbe ist, die gleichzeitig den Bogen spannt mit dem für ihn tödlichen Pfeil.

      Denn diese letzte Gesundheit Nietzsches, die sich selbst im Überschwang zum Dithyrambus hinaufstimuliert, ist eine Autosuggestion, eine »erfundene« Gesundheit. Gerade wie er die Hände jubilierend zum Himmel hebt im Rausche seiner Kraft, wie er im Ecce homo die Worte hinschreibt von seiner großen Gesundheit und beeidet, nie krank, nie dekadent gewesen zu sein, zuckt schon der Blitz in seinem Blut. Was in ihm lobsingt, was in ihm triumphiert, ist nicht das Leben, sondern schon sein Tod. Was er für Licht hält, für die Hochglut seiner Kraft, birgt gerade den tödlichen Ansprung seiner Krankheit, und jenes wunderbare Wohlgefühl, das ihn in den letzten Stunden überströmt, diagnostiziert der klinische Blick jedes Arztes heute klar für die Euphorie, das typische Wohlbefinden vor dem Zusammenbruch. Schon von anderer, von dämonischer, von jenseits-weltlicher Sphäre zittert ihm die silberne Helligkeit entgegen, die seine letzten Stunden überflutet: er aber, der Trunkene, er weiß es nicht mehr. Er fühlt sich nur überschüttet von allem Glanz, aller Gnade der Erde: die Gedanken glühen ihm feurig zu, die Sprache quillt mit Urgewalt aus allen Poren seiner Rede, Musik überflutet ihm die Seele. Wohin er blickt, strahlt ihn Friede an – die Menschen auf der Straße lächeln ihm zu, jeder Brief ist eine Botschaft mit göttlichem Inhalt, und taumelnd vor Glück ruft er dem Freunde Peter Gast in seinem letzten Schreiben zu: »Singe mir ein neues Lied: die Welt ist verklärt und alle Himmel freuen sich.« Eben aus diesem verklärten Himmel trifft ihn der feurige Strahl, Leiden und Seligkeit in eine einzige unlösbare Sekunde verschmelzend. Beide Enden des Gefühls bohren sich ihm gleichzeitig in die aufgebäumte Brust, und in seinen zerspringenden Schläfen rauscht das Blut Tod und Leben zusammen in eine einzige apokalyptische Musik.

      Der Don Juan der Erkenntnis

       Inhaltsverzeichnis

       Auf die ewige Lebendigkeit kommt es an, nicht auf das ewige Leben.

      Immanuel Kant lebt mit der Erkenntnis wie mit einem ehelich angetrauten Weibe, beschläft sie vierzig Jahre lang im gleichen geistigen Bette und zeugt mit ihr ein ganzes deutsches Geschlecht philosophischer Systeme, von denen Nachkommen noch heute in unserer bürgerlichen Welt wohnen. Seine Beziehung zur Wahrheit ist absolut monogam und ebenso jene all seiner intellektuellen Söhne: Schelling, Fichte, Hegel und Schopenhauer. Was sie zur Philosophie treibt, ist ein durchaus undämonischer höherer Ordnungswille, ein guter deutscher, fachlicher und sachlicher Wille zur Disziplinierung des Geistes, zu einer ordnungshaften Architektonik des Daseins. Sie haben Liebe zur Wahrheit, eine ehrliche, dauerhafte, durchaus beständige Liebe: aber in dieser Liebe fehlt vollkommen die Erotik, die flackernde Gier des Zehrens und Sich-selber-Verzehrens; sie fühlen die Wahrheit, ihre Wahrheit als Gattin und gesicherten Besitz, von der sie sich bis zur Stunde des Absterbens nie loslösen und gegen die sie niemals untreu sind. Darum bleibt ewig etwas Hausbackenes, etwas Haushälterisches in ihrer Beziehung zur Wahrheit, und tatsächlich hat jeder von ihnen über Braut und Bett sich ein eigenes Haus erbaut: sein gesichertes System. Und diesen ihren eigenen Bezirk, ihren eroberten Acker des Geistes, den sie aus dem urweltlichen Dickicht des Chaos für die Menschheit ausgerodet haben, bestellen sie meisterlich mit Egge und Pflug. Vorsichtig schieben sie die Gemarken ihrer Erkenntnis weiter hinaus in die Kultur der Zeit und mehren mit Fleiß und Schweiß die geistige Frucht.

      Nietzsches Leidenschaft zur Erkenntnis dagegen kommt aus ganz anderem Temperament, aus einer geradezu antipodischen Welt des Gefühls. Seine Einstellung zur Wahrheit ist eine durchaus dämonische, eine zitternde atemheiße, nervengejagte, neugierige Lust, die sich nie befriedigt und nie erschöpft, die nirgends stehenbleibt bei einem Resultat und über alle Antworten hin sich immer wieder ungeduldig und unbändig weiterfragt. Niemals zieht er eine Erkenntnis dauernd an sich und macht sie mit Eid und Treuschwur zu seinem Weibe, zu seinem »System«, zu seiner »Lehre«. Alle reizen ihn an, und keine kann ihn halten. Sobald ein Problem die Jungfräulichkeit, den Reiz und das Geheimnis der erbrochenen Scham verloren hat, läßt er es mitleidslos, eifersuchtslos den andern nach ihm, so wie Don Juan, sein Bruder im Triebe, seine mille e tre, ohne sich weiter um sie zu bekümmern. Denn wie jeder große Verführer durch alle Frauen hindurch die Frau, so sucht Nietzsche durch alle Erkenntnis hindurch die Erkenntnis, die ewig irreale und nie ganz erreichbare; ihn reizt bis zum Schmerz, bis zur Verzweiflung nicht das Erobern, nicht das Halten und Haben, sondern immer nur das Fragen, das Suchen und Jagen. Unsicherheit, nicht Gewißheit ist seine Liebe – Erkenntnis im Sinne der Bibel, wo der Mann das Weib »erkennt« und damit gleichsam geheimnislos macht. Er weiß, der ewige Relativist der Werte, daß keiner dieser Erkenntnisakte, dieser Besitzergreifungen mit heißem Geist schon ein wirkliches »Zu-Ende-Kennen« ist, daß sich Wahrheit im letzten Sinn nicht besitzen läßt: denn »wer da empfindet, ich bin im Besitz der Wahrheit, wie vieles läßt der nicht fahren«. Darum richtet sich Nietzsche niemals haushälterisch ein im Sinne des Sparens und Bewahrens und baut kein geistiges Haus: er will – oder er muß vielmehr aus dem nomadischen Zwang seiner Natur – der ewig Besitzlose bleiben, der nicht Dach hat und Weib und Kind und Gesind, aber dafür die Lust und die Freude der Jagd: er liebt gleich Don Juan nicht die Dauer des Gefühls, sondern die »großen und verzückten Augenblicke«, ihn locken einzig die Abenteuer des Geistes, jene »gefährlichen Vielleichts«, die heiß machen und anspornen, solange man sie jagt, und nicht satt machen, sobald man sie greift – er will keine Beute, sondern (wie er sich selbst im Don Juan der Erkenntnis schildert) nur den »Geist, Kitzel und Genuß an Jagd und Intriguen der Erkenntnis – bis an die höchsten und fernsten Sterne der Erkenntnis hinauf –, bis ihm zuletzt nichts mehr zu erjagen übrigbleibt als das absolut Wehetuende der Erkenntnis, gleich dem Trinker, der am Ende Absinth und – Scheidewasser trinkt«.

      Denn der Don Juan im Geiste Nietzsches ist kein Epikureer, kein üppiger Genießer: dazu fehlt diesem Aristokraten, diesem feinnervigen Edelmann das dumpfe Behagen des Verdauens, das träge Ausruhen in der Sattheit, das Prahlen mit seinen Triumphen, das jemals Zufriedensein. Der Jäger der Frauen ist – wie der Nimrod des Geistes – selbst der ewig Gejagte eines unstillbaren Triebes, der rücksichtslose Verführer selbst ein Verführter seiner brennenden Neugier, ein Versucher, der versucht ist, alle Frauen in ihrer unerkannten Unschuld immer wieder zu versuchen, so wie Nietzsche fragt um der Frage willen, um der unstillbaren psychologischen Lust. Für Don Juan ist das Geheimnis in allen und in keiner, in jeder für eine Nacht und in keiner für immer: genauso für den Psychologen die Wahrheit in allen Problemen für einen Augenblick und in keinem für immer.

      Darum ist Nietzsches geistiges Leben so ganz ohne Ruhepunkte, ohne stille spiegelnde Flächen: es ist durchaus stromhaft, wanderhaft, voll plötzlicher Umwendungen, Kehren und Stromschnellen. Bei den andern deutschen Philosophen geht ihr Dasein episch-gemächlich dahin, ihre Philosophie stellt das behaglich-handwerkliche Fortspinnen eines einmal entwirrten Fadens dar, sie philosophieren gleichsam seßhaft, mit entspannten Gliedern, und kaum spürt man während ihres Denkaktes einen gesteigerten Blutdruck im Körper, ein Fieber in ihrem Schicksal. Niemals hat man bei Kant jene erschütternde Empfindung eines von seinen Gedanken vampirisch gefaßten, eines an der Schöpfung und Gestaltung als einem entsetzlichen Muß leidenden Geistes: und Schopenhauers Leben vom dreißigsten Jahr an, sobald er »Die Welt als Wille und Vorstellung« einmal vollendet hat, trägt einen pensionistisch-behaglichen Zug mit allen kleinen Verbitterungen des Stehengebliebenen. Sie alle gehen mit gutem, festem, klarem Schritt vorwärts einen selbstgewählten Weg, indes Nietzsche immer gejagt erscheint und immer in ein ihm selbst Unbekanntes hinein. Darum gestaltet sich Nietzsches Erkenntnisgeschichte (wie die Abenteuer Don Juans) durchaus dramatisch, eine Kette gefährlicher, überraschender Episoden, eine Tragödie, die vollkommen pausenlos in unablässiger zuckender Erregung von einer Peripetie zur nächsten höheren überspringt, um dann schließlich bei dem unvermeidlichen Absturz ins Bodenlose zu zerschmettern. Und gerade dies Ruhelose im Suchen, dies unablässig Denken-Müssen, der dämonische Zwang zum Vorwärts gibt dieser einzigen Existenz eine unerhörte Tragik und macht sie (durch die totale Abwesenheit jedes handwerklichen, jedes bürgerlich gelassenen Zuges) uns so verlockend als Kunstwerk. Nietzsche ist verflucht, ist verurteilt zum unablässigen Denken, wie der Wilde Jäger im Märchen zur ewigen Jagd: was seine Lust war, ist seine Qual, seine Not geworden, und sein Atem,