Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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seinen Zeitgenossen die größten Bücher der Zeit, und an einer Freundschaft weiß er nichts Heroischeres zu rühmen, als daß sie nichts hätte zerstören können – »auch der Zarathustra nicht«. Auch der Zarathustra nicht! – eine solche Belastungsprobe, eine solche Peinlichkeit ist Nietzsches Schaffen für seine nächsten Menschen geworden, so unüberbrückbar die Distanz seines Genies zur Inferiorität der Zeit. Immer dünner wird die Luft um seinen Atem, immer stiller, immer leerer.

      Diese Stille macht die letzte, die siebente Einsamkeit Nietzsches zur Hölle: an ihrer metallenen Wand zerstößt er sich das Gehirn. »Nach einem solchen Anrufe, wie mein Zarathustra es war, aus der innersten Seele heraus, nicht einen Laut von Antwort zu hören, nichts, nichts, immer nur die lautlose, nunmehr vertausendfachte Einsamkeit – das hat etwas über alle Begriffe Furchtbares, daran kann der Stärkste zugrunde gehen«, stöhnt er einmal auf und fügt bei: »Und ich bin nicht der Stärkste. Mir ist seitdem zumute, als sei ich tödlich verwundet.« Aber es ist nicht Beifall, Zustimmung, Ruhm, den er verlangt – im Gegenteil, nichts wäre seinem kriegerischen Temperament willkommener als Zorn, Entrüstung, Verachtung, ja selbst Hohn – »in dem Zustand eines bis zum Zerspringen gespannten Bogens tut einem jeder Affekt wohl, vorausgesetzt, daß er gewaltsam ist« –, aber nur irgendeine Antwort, kalt oder heiß, oder sogar lau, nur etwas, irgend etwas, das ihm seine Existenz, sein geistiges Dasein bezeugt. Aber selbst seine Freunde weichen ängstlich aus, biegen in ihren Briefen an jedem Urteil wie an etwas Peinlichem vorbei. Und das ist die Wunde, die sich immer tiefer nach innen frißt, seinen Stolz vereitert, sein Selbstbewußtsein entzündet, seine Seele brandig macht, »die Wunde, keine Antwort zu haben«. Sie allein hat seine Einsamkeit vergiftet und fiebrig gemacht.

      Und dieses Fieber schwillt plötzlich kochend aus dem Verwundeten heraus. Legt man das Ohr näher an die Schriften und Briefe seiner letzten Jahre, so hört man, wie unter dem ungeheuren Druck dieser zu dünnen Luft ein gereiztes, krankes Pochen im Blute beginnt: das Herz von Bergsteigern, von Luftschiffern hat diesen heftigen hämmernden Ton aufgepumpter Lungen, die letzten Briefe Kleistens dieses heftige hämmernde Gespanntsein, dies gefährliche Dröhnen und Knistern einer Maschine knapp vor dem Zerspringen. Ein ungeduldiger nervöser Zug kommt in Nietzsches geduldiges, vornehmes Gehaben: »das lange Schweigen hat meinen Stolz exasperiert« – er will, er fordert jetzt Antwort um jeden Preis. Er hetzt den Druck mit Briefen und Telegrammen, nur rasch, nur rasch muß gedruckt werden, als gelte es etwas zu versäumen. Er wartet nicht mehr, seinem Plan gemäß, bis der »Wille zur Macht«, sein Hauptwerk, vollendet ist, sondern reißt ungeduldig Teile davon los und schleudert sie wie Brandfackeln in die Zeit hinein. Der »halkyonische Ton« ist verloschen, ein Stöhnen ist in diesen letzten Werken von verpreßtem Leiden, von maßlosem höhnischem Zorn: sie sind mit der Peitsche der Ungeduld aus ihm herausgehetzt. Der Gleichgültige beginnt, in seinem Stolz »exasperiert«, die Zeit zu provozieren, damit sie endlich mit einem Wutschrei gegen ihn reagiere. Und um sie noch mehr herauszufordern, erzählt er im »Ecce homo« sein Leben, »mit einem Zynismus, der welthistorisch werden wird«. Nie sind Bücher aus einer solchen Gier, aus einem so kranken zuckenden Fieber der Ungeduld nach Antwort geschrieben worden wie die letzten monumentalen Pamphlete Nietzsches. Eine entsetzliche Angst, nicht mehr den Erfolg zu überleben, eine dämonische Ungeduld ist in diesem Lechzen nach Antwort. Und man spürt, wie er nach jedem Geißelschlag eine Sekunde innehält, wie er sich aus sich selber in entsetzlicher Spannung herausbeugt, um den Schrei der Getroffenen zu hören. Aber nichts rührt sich. Keine Antwort kommt mehr herauf in die »azurne« Einsamkeit. Wie ein eiserner Ring liegt das Schweigen um seine Kehle, von keinem Schrei, nicht von dem furchtbarsten, den die Menschheit gekannt, mehr zu zerbrechen. Und er fühlt: kein Gott erlöst ihn mehr aus dem Kerker der letzten Einsamkeit.

      Da packt den Verschmachtenden in seinen letzten Stunden apokalyptischer Zorn. Wie der geblendete Polyphem schleudert er brüllend mit Felsblöcken um sich, ohne zu sehen, ob sie treffen; und weil er niemanden hat, mit ihm zu leiden, mit ihm zu fühlen, so faßt er sich selbst an sein eigenes zuckendes Herz. Alle Götter hat er ermordet, so macht er sich selber zum Gott – »müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um solcher Tat würdig zu erscheinen?« – Alle Altäre hat er zerschlagen, so baut er sich selber seinen Altar, den »Ecce homo«, um sich zu feiern, den niemand feiert; sich zu rühmen, den niemand rühmt. Die wuchtigsten Steine der Sprache türmt er auf, es hallen Hammerschläge, wie sie nie in diesem Jahrhundert mit gleicher Wucht gedröhnt; begeistert beginnt er sein Sterbelied der Trunkenheit und des Überschwangs, den Päan seiner Taten und Siege. Dunkel hebt er an, und großes Brausen wie von kommendem Gewitter ist darin, dann zuckt Gelächter nieder, ein grelles, böses, irres Gelächter, eine Desperado-Heiterkeit, die einem die Seele zersägt: Ecce-homo-Gesang. Aber immer sprunghafter wird das Lied, immer schneidender schrillt das Gelächter in die schweigenden Gletscher hinein, in Selbstverzückung hebt er die Hände, dithyrambisch zuckt ihm der Fuß: und plötzlich beginnt der Tanz, jener Tanz über dem Abgrund, dem Abgrund seines eigenen Unterganges.

      Der Tanz über dem Abgrund

       Inhaltsverzeichnis

       Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt auch der Abgrund in dich hinein.

      Die fünf Monate des Herbstes 1888, Nietzsches letzte bildnerische Zeit, stehen einzig da in den Annalen schöpferischer Produktivität. Vielleicht ist nie in einem so engen Zeitraum von einem einzigen Genius so viel, so intensiv, so ununterbrochen, so hyperbolisch und radikal gedacht worden; nie war ein irdisches Gehirn so überströmt von Ideen, so durchschossen von Bildern, so umwogt von Musik als dies schon vom Schicksal gezeichnete. Für diese Fülle, für diese rauschhaft niederstürzende Ekstase, für diesen fanatischen Furor des Schaffens hat die Geistesgeschichte aller Zeiten kein Gegenspiel in ihrer unendlichen Weise – nur im Nächsten vielleicht noch, im gleichen Jahr, unter gleichem Himmelsstrich erlebt ein Maler gleich aufgepeitschte, schon in den Wahnsinn hineingejagte Produktivität: im Garten von Arles und in der Irrenanstalt malt van Gogh mit gleicher Geschwindigkeit, mit der gleichen ekstatischen Lichtbesessenheit, mit der gleichen manischen Schaffensüberfülltheit. Kaum hat er eines seiner weißglühenden Bilder vollendet, so fährt sein fehlerloser Strich schon über neue Leinwand, es gibt da kein Zögern, kein Planen mehr, kein Überlegen. Schöpfung ist Diktat geworden, dämonische Hellsichtigkeit und Schnellsichtigkeit, eine ununterbrochene Kontinuität der Visionen. Freunde, die van Gogh vor einer Stunde verlassen haben, staunen bei ihrer Rückkehr, von ihm schon ein neues Bild vollendet zu sehen, und schon beginnt er mit nassem Pinsel, mit erhitzten Augen, ohne abzusetzen, das dritte: der Dämon, der ihn an der Kehle hat, duldet kein Atemholen, keine Intervalle, gleichgültig, ob er, der rasende Reiter, den keuchenden und glühenden Leib unter sich zuschanden hetzt. Genauso schafft Nietzsche Werk auf Werk, pausenlos, atemlos, in der gleichen, nicht mehr wieder dagewesenen Helligkeit und Schnelligkeit. Zehn Tage, vierzehn Tage, drei Wochen: das sind die Dauer seiner letzten Werke – Zeugung, Austragung, Gebärung, Entwurf und endgültige Gestaltung, das zuckt schußartig ineinander. Es gibt da keine Inkubationsfrist, keine Ruhepausen, kein Suchen, kein Tasten, kein Verändern und Korrigieren, alles ist gleich makellos, definitiv, unveränderlich, heiß und ausgekühlt zugleich. Nie hat ein Gehirn so dauernde Hochspannung so elektrisch weitergetragen bis ins letzte zuckende, Wort, nie haben mit so magischen Geschwindigkeiten Assoziationen sich gegliedert; Vision ist zugleich schon Wort, Idee vollendete Klarheit, und trotz dieser gigantischen Fülle spürt man nichts von Mühe, von Anstrengung – Schaffen hat längst aufgehört, ein Tun, eine Arbeit zu sein, es ist bloß ein laisser faire, ein Geschehenlassen höherer Gewalten. Der vom Geist Durchschütterte braucht nur den Blick zu heben, jenen weitsichtigen, »weitdenkenden« Blick, und er übersieht (wie Hölderlin im letzten Aufschwung zur mythischen Schau) ungeheure Zeiträume im Vergangenen und Zukünftigen: er aber, der Klardämonische, sieht sie dämonisch klar zum Greifen. Er muß nur die Hand ausstrecken, die heiße rasche Hand, um sie zu fassen; und kaum hat er sie ergriffen, sind sie schon durchblutet von Bildern, zuckend von Musik, lebend und beseelt. Und dieser Zustrom der Ideen, der Bilder setzt nicht eine Sekunde dieser wahrhaft napoleonischen Tage aus. Der Geist wird hier überflutet, es wird ihm Gewalt, Elementargewalt angetan. »Der Zarathustra überfiel mich« – immer ist es ein Überfallenwerden, ein Wehrloswerden vor einem