Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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wieder unterlegen ist. Delia bleibt abseits, lächelnd und der verstatteten Abirrung ihres Geliebten neugierig froh. Unmerklich ebnet sie ihm die Wege und fördert durch Rat die leichte Mühe. Später, viel später erst begreift Marceline diese frivolen Zettelungen, später, zu spät, wie sie aufschreit:

       »Ce perfide amant, dont j’évitais l’empire, Que vous aviez instruit dans l’art de me séduire, Qui trompa ma raison par des accents si doux, Je le hais encore plus que vous!«

      Aber anfangs ist sie nur selig und verwirrt. Sie fühlt zwar gleichzeitig Gefahr; unbewußt, mit dem Instinkte schauert sie vor der Versuchung, sie sucht zu flüchten. Eine düstere Ahnung wetterleuchtet in den Himmel voll Glück: »Je l’ai prévu, j’ai voulu fuir.« Aber ihr klarer Wille will schon nicht mehr zurück. Zwar rettet sie sich zu ihren Schwestern und vertraut ihre Angst dem Gesang und der Dichtung, die zum erstenmal an dieser erhöhten Wärme des Gefühls in ihr aufkeimt, aber das Verhängnis ist schon im Zuge, sie ist ihm verfallen.

       »J’étais à toi peut-être avant de t’avoir vu, Ma vie, en se formant fut promise à la tienne, Ton nom m’en avertit par un trouble imprévu, Ton âme s’y cachait pour éveiller la mienne. – Je l’entendis un jour et je perdis la voix, Je l’écoutais longtemps, j’oubliais de répondre, Mon être avec le tien venait de se confondre, Je crus, qu’on m’appelait pour la première fois.«

      Er merkt ihre Verwirrung und seine Macht. Immer dringlicher werden seine Bewerbungen. Er spricht zu ihr in Délias Gegenwart, sie wagt ihm nicht zu antworten. Sie flüchtet aus dem Haus (Zug um Zug kann man die Szene aus ihrem Gedicht verfolgen), um ihm, nein, um sich selbst, ihrem eigenen Verlangen zu entgehen.

       »Je fuyais tes regards, je cherchais ma raison, Je voulais, mais en vain, par un effort suprême, En me sauvant de toi me sauver de moi-même.«

      Aber er folgt ihr auf die Straße. Sie sind zum erstenmal allein, sie erschreckt, schüchtern, mit klopfendem Herzen, er klug und berechnend. Mit unnachahmlichem Geschick weiß er an die einzige Saite ihres Herzens zu rühren, die bisher geklungen, an das Unglück. Er weiß, daß ihre Güte stärker ist als ihre Lust, und vertraut lieber dem Mitleid als Mittlerin, als stürmisch leidenschaftlicher Werbung. Er stellt sich traurig, melancholisch, heuchelt Weltschmerz und Überdruß, und sie, die Leiderfahrene, vergißt ihn zu fürchten, weil sie ihn leiden sieht und selbst das Leiden kennt. Die Tröstung scheint ihr eine Pflicht. Nun weigert sie ihm nicht mehr das Beisammensein, und rascher folgen nun die Kapitel im Roman ihrer Liebe. Ein Rendezvous wird vereinbart. Ihr ganzes Wesen fiebert ihm entgegen, vergebens sucht sie mit einem Buche ihre Ungeduld zu täuschen, aber ihr Herz spricht lauter und überschlägt alle Worte:

       »Ah, je ne sais plus lire! Tous les mots confondus disent ensemble: il vient!«

      Sie kann nicht mehr lesen, sie kann nicht mehr leben, sie kann nicht mehr atmen, sie kann nicht mehr schlafen. Aber alle diese Qualen liebt sie um seinetwillen, sie liebt diese Schlaflosigkeit, weil sie von Denken durchwirkt ist, von Denken an ihn:

       »Je ne veux pas dormir; oh! ma chère insomnie, Quel sommeil aurait ta douceur?«

      Und wenn er nun naht, so weiß sie nicht mehr zu fliehen, magnetisch hält seine Nähe sie fest:

       »Hélas! Je ne sais plus m’enfuir comme autrefois!«

      Schon ahnt sie, daß sie ganz an ihn verloren ist und jener große Sturm über ihre Sinne gekommen, den sie manchmal auf der Bühne durch fremdes Schicksal brausen sah. Ihre Angst ist längst nicht mehr Widerstreben, sie ist bloß Furcht vor dem Neuen, Furcht vor dem Glück. Sie erkennt sich erschreckt seinem Willen leibeigen und daß gar nicht mehr sie es ist, die dem Letzten noch widerstrebt. Er kann sie nehmen, wann er will, sie fühlt es, sie weiß es. Und der Aufschrei:

       »Ma sœur, je n’avais plus d’appui que sa vertu«

      sagt ihr ganzes Schicksal.

      Er zögert nicht länger. Der Augenblick – auch einem minder Wissenden unverkennbar – ist gekommen. Er naht drängend und glühend. Ihre Tränen scheuchen ihn zurück, eine letzte kurze Sekunde lang, aber seine sanfte Stimme, diese Stimme, deren Bezauberung sie immer und immer wieder erlag, löst ihre Arme, und sie fühlt ihre Seele entfliehen in einem ersten Kuß:

       »J’ai senti fuir mon âme effrayée et tremblante: Ma sœur, elle est encore sur sa bouche brûlante!«

      Mit einem Male wird sie der ganzen tragischen Wirklichkeit bewußt, und mit dem grauenhaften Irrtum erkennt sie schauernd die abgekartete Komödie, der sie zum Opfer gefallen. Sie erkennt, daß sie, auch diesmal wie so oft im Theater, ihr eigenes unendliches Gefühl an ein Spiel gewandt hat. Ihre Brust birst von Verzweiflung. Aber wem soll sie klagen, wem? Von Delia, der Freundin, ist sie verraten, alle andern Menschen hat sie vergessen, verloren über diesen einen. In dieser Herzensnot wirft sie sich an die Brust ihrer Schwester, und an sie gerichtet ist das unsterbliche Gedicht des Entsetzens, in dem die gellen Schreie der ersten Verzweiflung noch nicht in das strömende Metall der Worte eingeschmolzen sind. Spitz und heiß von ihrem Blute, durchstoßen die Schreie wie Dolche die zitternden Zeilen:

       »Ma sœur, il est parti! Ma sœur, il m’abandonne! Je sais qu’il m’abandonne, et j’attends, et je meurs! Je meurs! Embrasse-moi! Pleure pour moi… Pardonne! Je n’ai pas une larme, et j’ai besoin de pleurs. Tu gémis! Que je t’aime! Oh! jamais le sourire Ne te rendait plus belle aux plus beaux de nos jours.«

      Sie weiß, daß er ihr verloren ist, aber sie will es nicht glauben. Sie betet, sie fleht um einen Betrug, um eine Hoffnung, weil sie die Wahrheit nicht ertragen kann. Gleichsam auf die Kniee wirft sie sich vor ihrer Schwester und bettelt, bettelt um eine fromme Lüge:

       »Sans retour! Le crois-tu? Dis moi, que je m’égare, Dis, qu’il veut m’éprouver, mais qu’il n’est point barbare, Dis, qu’il va revenir, qu’il revient… trompe-moi, Mais obtiens qu’il me trompe à son tour comme toi. Va le lui demander, va l’implorer…«

      Und dabei weiß sie ihn bei einer andern, sie weiß es, sie sieht es. In weißen, schlaflosen Nächten taucht das Bild greifbar nah auf:

       »Oh comme il la regarde, oh comme il est près d’elle, Comme il lui peint l’ardeur qu’il feignit avec moi.«

      Und sie flüchtet vor ihm, vor jeder Bewegung, vor seinem Blick, sie rettet sich zu ihren Schwestern auf das Land, in die Einsamkeit. Sie verläßt das Theater, sie gräbt sich ein in ihre Trauer, irgendwo in einem verlassenen Winkel Frankreichs. Das Kaiserreich stürzt um sie zusammen, die Völkerschlacht bei Leipzig wird geschlagen, die Kosaken ziehen ein in Paris, aber man spürt es nicht in ihren Versen, ihren Briefen. Ihre ganze Nation, Zeit und Raum, alles ist ihr, der echten Frau, gering gegen das Gefühl. Sie weiß nur, daß sie ihn liebt, noch immer liebt, trotzdem sie längst das verwegene Spiel durchschaut. Nur um den eigenen Stolz zu retten, das Gefühl zu entschuldigen, das dem Ungetreuen doppelt getreue, forscht sie im eigenen Verhalten nach einer Schuld. Sie sucht in sich einen Anlaß zu finden. Vergebens. Sie sucht und sucht in sklavischer Demut und muß es doch gegen den eigenen Willen verneinen:

       »L’ai-je trahi? Jamais! Il eût mon âme entière; Hélas! j’étais étreint à lui comme le lierre.«

      Aber trotz alledem gelingt es ihr nicht, ihn zu hassen, ihm zu zürnen. Resigniert gesteht sie’s ein:

       »Ah! je ne le hais pas, je ne sais point haïr«,

      und bald weiß sie, daß es mehr ist als Nicht-Hassen; beschämt, vernichtet, erniedrigt wird sie gewahr, daß sie trotz alledem noch immer Liebe für ihn fühlt. Erschreckt vertraut sie es den Versen an, erschreckt über sich selbst:

       »Ma sœur, je l’aime donc toujours, Quel aveu, quel effroi, quelle triste lumière.«

      Und wie glücklich ist sie, da sie hört, daß er krank ist, wie glücklich, einen Vorwand zu finden vor sich selbst, ihn wieder lieben zu dürfen: