Stefan Zweig

Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten


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Als meine Mutter starb, da sah sie fassungslos

       Auf mich, ihr Kind, das ihre Seele erbte, nieder.

       Ihr Blick sprach Zuversicht, doch die besorgte Hand

       Hielt innig lange Zeit die meine fest umspannt,

       Als suche sie vom Erbe, das sie mir gegeben,

       Mein junges Sein befreiend mit empor zu heben.

       Und lange, lange Zeit beweint ich ihren Tod,

       Trug ihr Geheimnis, das ich nicht zu deuten wußte,

       Versiegelt in der Brust und litt gleich ihr und mußte

       Gleich ihr, die Stirn gesenkt, bedrängt von bittrer Not,

       Die allzu viele Liebe tief in mir bewahren:

       Ich hatte noch kein Lied, mein Leid zu offenbaren!

      Sein schwaches Schlagen, das der Zeiten Maß

       Nur zögernd wiedergab, verriet, wie wenig Leben

       In diesem Herzen war; und wie ein Kind, das eben

       Halb eingeschlummert über seinen Büchern saß,

       Hielt meine Hand mein Schicksalsbuch verschlossen;

       Mein schwarzer Gürtel, meine dunkle Trauer band

       Mich an der Mutter Grab – was hatte noch Bestand?

       Die Welt war groß und leer; es fehlte ihr die Stimme,

       Die einzige, die das wüste Lärmen und Gebraus

       Zur Heimat machte; nein! die Welt war nicht mein Haus!

       Ich scheute ihr Gesetz, ihr Urteil, ihre schlimme

       Verlockung und Bedrohung – und von Angst gehetzt

       Fand ich das Wort, den Ruf, das laute Lied zuletzt!

      Doch als du sprachst: »Ich komme!« welch Geläute.

       Verscheuchte da den Schlaf aus meinem Blick?

       Mit gleichem Arm umschlang uns das Geschick

       Und trug uns hoch empor; mein Herz, das heute.

       Noch müd gewesen war und ohne Halt,

       Es blühte auf und hatte nicht mehr kalt.

       Gleich matter Blume, die im Licht von oben,

       Ganz ohne Stütze, ohne Halt und Pfahl,

       Nur an dem Sonnenkuß, dem rosigen Strahl,

       Sich aufwärts reckt, ward ich von Glut erhoben. –

       Und daß du aus den Höhen kamst – so tief!

       Das war, weil meine Hoffnung dich auf Knieen rief!

      Dann, seit dein Wille mich ergriffen hatte,

       Warst du mein Himmel, meine Religion,

       Und schweigend, nenn ich Bruder dich und Sohn

       Und meine Seele, mein Gebet, mein Gatte.

       Du wirst es niemals wissen, du, wie weit

       In dich hinabgreift meine Innigkeit!

       Und würdest du vom Tode mir entrissen –

       Ich fände dennoch Augen, dich zu sehn,

       Und Rufe, Tränen, die ins Dunkel flehn,

       Und Helligkeit und Sieg für Hindernisse!

       O selige Mutter, die als Kind dich kannte

       Und schützend ihren Arm um deine Jugend spannte!

      Sei nicht besorgt, siehst du mich schweigend und versonnen

       Dich meiden; meine Liebe sinnt – und sehnt sich oft,

       Und brächt es mir auch Tod: die Seele träumt und hofft

       Und hat schon manche Frage heimlich fortgenommen.

       So höre diese: als du damals mich erwählt –

       Hast du dich mir auf Tod und Leben anvermählt?

       Hast du so Ewiges gefühlt? – O sag mir’s, sage!

       Denn sieh, aus allen Tiefen fragt dich meine Frage.

       Ich möchte, dir zur Lust, ein ganzes Weltall sein –

       Und bin doch nur ein Weib und trage mehr an Jahren

       Als du. So bitt ich dich, laß es mich nie erfahren,

       Daß du’s empfindest, nein, sei gütig, wehr dem Schein:

       Ich weiß dir Dank dafür und will beim Schicksal werben,

       Daß es mir gönnt, vor dir – vor deinem Tod – zu sterben!

      Brief einer Frau

       Inhaltsverzeichnis

      Da du es bist, der unser Bündnis neu

       Verknüpfen will,

       Da du es bist, der fleht: »Sei lieb, sei treu! –«

       So höre still:

       Der Schwur, der das, was süßer Traum sich malt,

       Im Brief verspricht –

       Da man den Schwur mit tausend Tränen zahlt,

       So schreib ihn nicht!

      Gleichwie die Landschaft, ist der Sturm vorbei,

       In Sonne ruht.

       Sei unser Auge hell, die Stirne frei

       Und froh und gut.

       Noch scheucht von meinem Weg dein liebes Wort

       Die grauen Sorgen,

       Doch sage nicht »auf ewig!« fort und fort,

       Sag nur »auf morgen!«

      Die hehren Tage, rein und anmutvoll,

       Die blumigen Tage, –

       Die schweren Tage, wild und dornenvoll,

       Durchschrillt von Klage –

       Nicht dieses Bild, das schmerzt, lähmt und erstickt!

       Komm, sieh nicht hin;

       Nein, Zuversicht, die kindhaft vorwärts blickt,

       Trägt mehr Gewinn!

      Ach, könnt es sein, daß neues Leben sich

       Erschließen würde,

       Um anders zu verketten dich und mich –

       Und ohne Bürde –

       Hier, dieses Wort, das wahrste Wort von mir,

       Dir fliegt es zu,

       Heut abend wacht ein Weib und träumt von dir,

       Komm, nimm mich, du!

      An meine Schwester

       Inhaltsverzeichnis

      Das ist nun so! Ich liebte ihn, und er allein,

       Nur er gefiel mir; seine Züge, seine Stimme,

       Sanft wie die Liebe, fürchterlich im Grimme…

       (Erbarmen! Sieh, ich weihe dich in alles ein!)

       Was er begehrt, gelobt – Gelöbnis gab ich wieder,

       Ich liebte ihn, die Qual – anbetend kniet ich nieder.

       Sein eifersüchtiger Vorwurf rührte mich noch mehr.

       Ich starb an ihm und sagte nur: »Vergib!«

       Ich war so unterjocht, daß mir kein Selbst verblieb.

       Und hättest du ihn weinen sehn, du wärest sehr

       Mir bös geworden;