Йозеф Рот

Gesammelte Werke von Joseph Roth


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der Renaissance, mit Lichtbildern im verdunkelten Saal, Nationalökonomie mit Seitenhieben gegen den Marxismus – nein, das ist nichts für mich. Und dann, die sogenannten strengen Professoren, die des Morgens lesen, um acht Uhr fünfzehn, knapp nach Sonnenaufgang, um den ganzen Tag frei zu sein – für die eigenen Arbeiten. Die bärtigen Dozenten, die nach einer guten Partie Ausschau halten, um durch eine Beziehung zum Unterrichtsminister endlich ordentliche Professoren mit Gehältern zu werden. Und das maliziöse Lächeln tückischer Prüfer, die glänzende Siege über durchgefallene Kandidaten davontragen. Die Universität ist eine Institution für die Kinder guter, bürgerlicher Häuser mit einer geregelten Vorbildung, acht Jahren Mittelschule, Nachhilfestunden von Hauslehrern, Aussicht auf ein Richteramt, auf eine gutgehende Advokaturskanzlei durch Heirat der Cousine zweiten Grades – nicht ersten – wegen der Blutsnähe. Schließlich auch für die Couleurochsen, die sich prügeln, für reine Arier, reine Zionisten, reine Tschechen, reine Serben. Nichts für mich! – Ich schreibe lieber Adressen mit Grünhut.«

      Einmal erblickte er in einem der Bibliothekskataloge den Namen Savelli. Das Buch hieß: »Das internationale Kapital und die Erdölindustrie«. Er suchte den Band und fand ihn nicht. Er war entlehnt worden. Und als wäre dieser Zufall ein höherer Wink gewesen, begab er sich von der Bibliothek sofort zu Savelli.

      In Savellis Zimmer, im fünften Stock eines grauen Zinshauses in einem proletarischen Viertel, befanden sich drei Männer. Sie hatten die Röcke abgelegt und über die Stühle gehängt, auf denen sie saßen. Eine elektrische Birne hing an einer langen Schnur vom Plafond und pendelte tief über dem viereckigen Tisch, ständig bewegt vom Atem der sprechenden Männer, aber auch von ihren stets wiederholten Versuchen, die Lampe aus ihrem Gesichtsfeld zu bringen, sobald sie den einen oder den andern verdeckte. Manchmal, anscheinend aufgeregt durch die lästige Birne, aber ohne zu wissen, daß sie die Ursache seiner Ungeduld war, stand einer von den dreien auf, ging zweimal um den Tisch, warf einen suchenden Blick auf das Sofa an der Wand und kehrte an seinen früheren Platz zurück. Auf das Sofa konnte man sich nicht ohne weiteres setzen. Schwere Bücher und leichte Zeitungen, bunte Broschüren, Prospekte, dunkelgrüne Bände aus einer Bibliothek, Manuskripte und unbenutzte, an den Rändern vergilbende Oktavbogen lagen unter-und nebeneinander, und alles hielt nach unbekannten Gesetzen, denen zufolge die schweren Bände eines Lexikons von einem dünnen, aus grünen Broschüren gebildeten Podest nicht herunterfielen. Savelli hatte seinen Gästen die Stühle überlassen und saß auf acht übereinandergelegten dicken Büchern, aber immer noch so tief, daß er mit dem Kinn gerade die Tischplatte überragte.

      Von den Anwesenden war der eine mächtig und breitschultrig. Er hielt seine großen, behaarten Fäuste auf dem Tisch. Sein Schädel war rund und kahl, seine Augenbrauen so dünn und schütter, daß man sie kaum sah, seine Augen hell und klein, sein Mund fleischig und rot, sein Kinn wie ein Quadrat aus Marmor. Er trug eine rote russische Bluse aus einem glänzenden Material, von der ein starker Widerschein ausging, und man konnte ihn nicht sehn, ohne daß man sofort an einen Henker gedacht hätte. Es war der Genosse P., ein Ukrainer, sanft, gutmütig und zuverlässig und von einer merkwürdigen Schlauheit, die unter seiner Körpermasse verborgen war wie Silber unter der Erde. Neben ihm saß der Genosse T., ein dunkelgelbes Angesicht mit schwarzem Schnurrbart und breiter, schwarzer Fliege am Kinn, einem Zwicker auf der starken Nase und mit dunklen Augen, die eine Art unstillbaren Hungers zu verraten schienen. Ihm gegenüber stand der augenblicklich leere Stuhl des dritten Genossen. Er war der Unruhigste von allen, und die Zartheit seiner Glieder, die Blässe seiner Haut rechtfertigten seine Unruhe.

      In dem Augenblick, in dem Friedrich eingetreten war, hatte er gerade gesprochen, nun trommelte er mit dürren Fingern auf der schwarzen Fensterscheibe, als telegraphierte er Morsezeichen an die Nacht. Ein dünner, verschämter Schifferbart lief um sein schmales Angesicht wie ein fahler Rahmen um ein Porträt. Seine Augen waren hell und hart, wenn er die Brille abnahm. Hinter den Gläsern sahen sie nachdenklich und weise aus. Es war R., mit dem Friedrich damals eine schnelle Freundschaft schloß und dessen Feind er inzwischen geworden war. Der Satz, den Friedrich noch hören konnte, hatte ihm den Sprecher sofort verraten. »Ich laß mich aufhängen«, hatte er gesagt – und sich sofort verbessert: »Das heißt, man wird mich aufhängen lassen, wenn wir in fünf Jahren den Krieg haben.«

      Dann blieb es eine Weile still. Savelli erhob sich, erkannte Friedrich sofort und machte ihm ein Zeichen, sich an einen beliebigen Platz zu setzen. Friedrich suchte vergeblich und ließ sich vorsichtig auf einem Stoß Bücher auf dem Sofa nieder.

      Man achtete nicht auf ihn. P. stand auf. Seine mächtige Gestalt verdunkelte sofort das Zimmer. Er stellte sich hinter die Lehne seines Stuhls und sagte: »Es gibt keine andere Möglichkeit. Einer von uns wird fahren müssen. Die Situation ist so zugespitzt, daß wir über Nacht die Bescherung erleben können. Dann ist die Verbindung unterbrochen und vor allem das Geld drüben und unrettbar. Berzejew ist Offizier, er wird mit sich selbst zu tun haben. Eine Desertion wird ihm schwerfallen. Ich habe eine direkte Nachricht. Er schreibt, daß er während der Manöver unaufhörlich gezittert hat. Als er zurückkam, war Lewicki in Kiew, Gelber in Odessa. In Charkow kein Mensch.«

      »Sie werden selbst fahren müssen«, unterbrach ihn Savelli.

      »Machen Sie Ihr Testament!« rief R.

      »Genosse R. ist ängstlich wie immer«, sagte Savelli sehr leise.

      »Ich leugne es nicht«, erwiderte R. lächelnd, und man sah dabei seine zwei Reihen überraschend weißer, gleichmäßiger Zähne, die man hinter seinen schmalen Lippen nicht vermutet hätte. Von den Zähnen ging ein gefährlicher Glanz aus, so daß der zarte und friedliche Charakter des Gesichts verschwand und selbst die Augen böse wurden.

      »Ich habe nie behauptet, daß ich ein Held bin, und werde nie mein Leben riskieren. Savelli läßt mir übrigens keine Gelegenheit.«

      Alle lachten, mit Ausnahme des Schwarzhaarigen. Er schüttelte den Kopf, sein Zwicker zitterte, und während er der baumelnden Lampe, die ihm jetzt die Aussicht nahm, einen Stoß gab, daß sie noch stärker zu pendeln begann und einem großen, aufgeregten Falter glich, klopfte er mit der andern Hand auf den Tisch und sagte unwillig: »Mach keine Witze.«

      Als sie aufbrachen, drückten sie Friedrich die Hand wie einem alten Bekannten.

      »Ich habe Sie einmal auf dem Ring gesehen«, sagte Savelli zu ihm. »Was wollen Sie jetzt machen? Arbeiten Sie? Ich meine nicht, ob Sie lernen.« Er meinte, ob Friedrich für die Sache arbeite. Friedrich gestand, daß er nichts tat. Savelli sprach von Krieg. Er könnte in einer Woche ausbrechen. In Serbien arbeitete der russische Generalstab. Im Café im neunten Bezirk, in dem sie verkehrten, erschienen seit einigen Wochen verdächtige Gäste. Ob Friedrich auch einmal hinkäme?

      »Ich werde wieder bei Ihnen sein, oder im Café«, sagte Friedrich.

      »Guten Tag!« sagte Savelli, als nähme er Abschied von einem Mann, der ihn um Feuer gebeten hatte.

      R. war ohne Zweifel der interessanteste Mann neben P., dem Dr. T. und Savelli. Eine Anzahl junger Männer versammelte sich um ihn und bildete seinen »Kreis«. Sie gingen durch die späten und stillen Nächte, R. sprach zu ihnen, sie hingen an seinen Lippen.

      »Sagt«, begann er, »ob diese Welt nicht still ist wie ein Friedhof. Die Menschen schlafen in den Betten wie in Gräbern, morgens erwachen sie, lesen einen Leitartikel, tauchen einen mürben Kipfel in Kaffee, die Schlagsahne fließt über die Ränder der Tassen. Dann schlagen sie behutsam mit dem Messer ans Ei, aus Respekt vor dem eigenen Frühstück. Die Kinder wandern mit Ranzen und baumelnden Schwämmen in die Schulen und lernen von Kaisern und Kriegen. Seit langem schon stehn die Arbeiter in den Fabriken, kleine Mädchen kleben Hülsen, große Männer schneiden Stahl. Längst schon exerzieren Soldaten auf den Wiesen. Trompeten schmettern. Indessen wird es zehn Uhr, vor den Ämtern fahren die Hofräte und die Minister vor, unterschreiben, unterschreiben, telegraphieren, diktieren, telephonieren; in den Redaktionen sitzen Stenographen, nehmen auf, geben’s den Redakteuren, die vertuschen und offenbaren, verhüllen und enthüllen. Und als ob den ganzen Tag nichts geschehen wäre, schrillen am Abend die Glockenzeichen, und die Theater füllen sich mit Frauen, Blumen und Parfüm. Und dann schläft die Welt wieder ein. Wir aber wachen. Wir hören die Minister kommen und gehn, die Kaiser und Könige im Schlaf