Йозеф Рот

Gesammelte Werke von Joseph Roth


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Schritt seiner Leute erfüllt sein Ohr. Jetzt wird er sterben. Noch fühlt er den lieblichen Druck eines weichen Frauenkörpers von gestern nacht.

      Um Rathaus und Polizei kämpft eine Arbeiterwehr. Ihr Anführer ist ein Mann mit wehendem Haar, mit einem Knotenstock in der Faust. Jetzt reißt er einem Arbeiter das Gewehr aus der Hand und legt an. Theodor wirft sich zu Boden. In eine Kotlache fällt er. Schmutziges Wasser spritzt auf. Er schießt liegend, aufs Geratewohl. Seine Leute rennen vor. Er sieht nichts mehr, vor sich nur die Schwelle des Trottoirs, darüber die Fläche eines quadratischen Steines. Eine Detonation erschreckt ihn. Menschenknochen wirbeln durch die Luft. Ein Beinstumpf fällt blutend aus der Höhe. Ein Stiefel mit einem Fuß darin.

      Es brennt. Man riecht den Brand. Sieht eine Rauchwolke, gegen den Regen kämpfend, aufsteigen. Theodor springt auf. Rennt. Es brennt im Judenviertel. Hausgeräte fliegen aus Fenstern schmutziger Häuser. Menschen fliegen mit. Eine Jüdin keucht unter der Last eines Soldaten. Sie liegt quer über dem Bürgersteig. Eine alte Dame hinkt über die Straße. Lächerlich ihre Hast. Allzu gering ihrer lahmen Füße Kraft. Sie hat das Gesicht einer Laufenden. Und ihre Bewegung ist schleppend. Kinder kriechen im Schlamm. Sie tragen gelbe Hemdchen, Blut sammelt sich an den Rändern. Fließt weiter mit dem Regenwasser. Mit Pferdekot, Flaumfedern, Strohhalmen. Fließt den gierig trinkenden Kanalgittern zu.

      Weißbärtige Männer eilen mit wehenden Rockschößen. Jemand umklammert Theodors Knie. Gnade winselt ein Mensch. Theodor schlenkert mit dem Fuß. Der Flehende fliegt in einen Blutbach. Rot spritzt auf. Flammen züngeln aus Fenstern. Rauch bricht aus berstenden Dächern. Männer mit Eisenstangen rufen:

      »Schlagt die Juden!«

      Alle schlagen, alle werden geschlagen. Theodor zwischen allen steht. Er sieht im Schlamm einen Kopf. Ein sterbendes Angesicht. Das Angesicht Günthers. Theodor starrte darauf. Erhielt plötzlich einen schweren Schlag auf den Kopf. Blut rann über seine Schläfe. Rote Räder kreisten. Er taumelte. Er sah den Anführer. Sein wehendes Haar. Den fliegenden Stock. Theodor riß die Pistole heraus. Der Mann sprang seitwärts. Er schwang seinen Stock. Theodor sah sein weißes Angesicht. Noch hat er den Hahn nicht abgedrückt. Schon fliegt ihm die Waffe aus der schmerzhaft getroffenen Hand. Nahe an ihn tritt der Mann. Er sieht das Weiße der feindlichen Augen. Der Mann schreit: »Du hast Günther getötet!«

      Theodor flieht. Hinter sich hört er den heißen Atem seines Verfolgers. Auf den Schultern lastet der Hauch des feindlichen Mundes. Hinter sich hört er des Feindes eiligen Schritt. Auf lautlosen Sohlen läuft Theodor. Er läuft durch stille, ausgebrannte, gestorbene Straßen. Er läuft durch eine fremde Welt. Er läuft durch einen langen Traum. Er hört Schüsse, Trommeln, Wehgeschrei. Alle Geräusche sind in die Schicht eines weichen, dämpfenden Stoffes gebettet. Da kommt eine Biegung! Ist drüben die Rettung? Verdoppelt die Hast! Verstärkt den Galopp, beflügelt den Fuß! Jetzt sieht er zurück. Kein Verfolger ist hinter ihm. Er fällt auf eine Schwelle. Vor ihm liegt ein verlorenes Gewehr. Er hebt es auf. Er rennt weiter. Die Toten leben! Er haßt die Toten. Er gerät zwischen Soldaten. Jetzt erkennt er seine Leute. Fröhlicher Zuruf begrüßt ihn. Den Gewehrkolben stößt er gegen Leichen. Er schmettert die Waffe gegen tote Schädel. Sie bersten. Verwundete tritt er mit den Absätzen. Er tritt die Gesichter, die Bäuche, die schlaff hängenden Hände. Er nimmt Rache an den Toten, sie wollen nicht sterben.

      Es wurde Abend. Feuchte Finsternis hockte in den Straßen. Es ist ein Sieg der Ordnung.

      XXIII

       Inhaltsverzeichnis

      Es war ein Sieg der Ordnung. Man stürzte zwei Minister. Sie wußten zuviel von den geheimen Organisationen. Man ernannte zwei neue. Sie wußten mehr. Aber es waren Freunde. Sie gehörten der Demokratischen Partei an. So schienen sie demokratisch. Aber sie waren Ehrenmitglieder des Bismarck-Bundes. Und sie standen in Verbindung mit München. Und sie hatten Angst vor den Arbeitern.

      »Vereiteln« war der technische Ausdruck für folgende Vorgänge: Spitzel drangen in Sekretariate und Parteibüros, die jeder kannte, und der Polizeibericht meldete eine »Aushebung geheimer Nester«. Spitzel stürzten sich auf einen Versammlungsredner, der harmlos war und ohne Bedeutung, und die Zeitungen schrieben, ein längst gesuchter bolschewikischer Spion sei endlich ergriffen worden. Seinen Namen kannte man, aber die Zeitungen teilten mit, den eigentlichen Namen des Verhafteten werde man schwerlich erfahren. Spitzel arrangierten Razzien in Arbeitervierteln, auf breite, schütternde Lastautos lud man zweiund dreihundert. Die fremde Staatsbürger waren, das heißt aus den abgetrennten Gebieten Deutschlands stammten, wurden auf den Flugzeugplatz einquartiert, in Baracken, von Gendarmen bewacht und in Transporte eingeteilt, die nach den Grenzen gingen. In den Baracken lebten Tausende aus dem ganzen Reiche mit Kindern, Frauen, Großmüttern. Schmutz brachte Krankheiten. Krankheiten verursachten ein großes Sterben. Täglich starben einige, ehe der Transport zusammengestellt war. Durch jüdische Viertel schlichen Konfidenten, betrunkene Menschen, die von jedem Emigranten Geld forderten. Sie bekamen es. Zahlte der Jude nicht, so wurde er als bolschewikischer Spitzel in das Gefängnis geschleift zur polizeilichen Voruntersuchung. Sie dauerte ein paar Monate. Dann wurde der Jude, dessen Schiffskarte, dessen amerikanisches Visum verfallen war, wieder an die Grenze gebracht. Die Nationale Bürgerliga durfte Waffen tragen. Ihre Mitglieder schossen. Deutsche Prinzen legten Uniform an und fuhren durch die Städte. Alte Generale schepperten mit Orden und Sporen. Streikende Arbeiter, die vor den Betrieben standen, wurden von der Nationalen Bürgerliga gestochen, erschossen, geknüppelt. Die Zeitungen meldeten, daß die Arbeiter Passanten bedroht hatten und nur mit Waffengewalt auseinandergetrieben werden konnten. Wanderprediger zogen durch die Straßen. Sie sprachen von der nationalen Erhebung. Alle Bürger in den Geschäften, in den Kaufhäusern, in Fabriken, in Ämtern sprachen von der nationalen Erhebung. Sozialistische Zeitungen erwarteten jeden Tag neue Überfälle. Die Polizei kam zu spät und nahm Tatbestände auf.

      Es war ein Sieg der Ordnung.

      Es erwies sich, wie nützlich Benjamin Lenz sein konnte. Der Journalist Pisk brachte einen Bericht über Theodor Lohse. Andere Journalisten baten um Interviews. Man zählte alle vergangenen Taten Theodor Lohses auf. Man erdichtete neue. Theodor Lohse lebte, überschüttet von Ruhm, von Journalisten bedrängt. Reiche jüdische Häuser luden ihn ein. Einmal kam er sogar zu Efrussi. Wie lang war das her! Wieviel hatte er erreicht! Jetzt stand er im Hause Efrussis, mit Politikern, Bankiers, Schriftstellern, ein Gast wie sie. Jetzt hätte er, ein Ebenbürtiger, mehr, ein Held in Uniform, ein Berühmter, der Frau Efrussi entgegentreten können. Aber jetzt klang ihre Stimme aus einer weiten Ferne herüber. Jetzt lächelte sie nicht mehr, verschwunden war ihre Güte, keine Wärme kam von ihr, sie nickte Theodor zu, er konnte kaum die Spitzen ihrer kühlen Finger berühren, und es war etwas wie ein Hohn in ihrem Gesicht, als wollte sie sagen: Ei, sieh den Theodor Lohse!

      Theodor konnte Frau Efrussi vergessen, wenn er mit Fräulein v. Schlieffen sprach, die mit ihrer Tante in Potsdam wohnte und sehr gut tanzen konnte. Theodor war kein Tänzer, auch im Sattel nahm er sich nicht besonders gut aus. Fräulein v. Schlieffen aber ritt jeden Morgen. Und obwohl ihr alle Offiziere der Garnison zur Verfügung standen, zog sie Theodor vor. Sie war sechsundzwanzig, eine Waise, aus berühmter Familie, aber ohne Geld. Der Vater hatte sein Leben als bescheidener Geheimrat, der Gesandtschaft in Sofia zugeteilt, beschließen müssen.

      Die Tochter war im Stift erzogen. Die Tante hatte immer für sie gesorgt. Jetzt war Zeit, sich um einen Mann umzusehen.

      Das wäre früher leicht gewesen. In der Republik wurde man eher alt, blieb man länger ledig. Wichtiger als Verbindungen war jetzt das Geld in dieser neuen Zeit. Was galt dieser Name? Nie hätte eine v. Schlieffen einen Bürgerlichen geheiratet. Jetzt konnte man es, jetzt durfte man es. Noch war man blond, noch waren ein paar allzufrühe Fältchen an den Schläfen nicht deutlich geworden, noch konnte man seine weißen, gesunden Zähne zeigen. Aber die Beine wurden schon merklich dicker, und in mancher Nacht fand man keinen Schlaf, Herz und Körper sehnten sich nach dem Mann. Es gab keinen so bescheidenen wie Theodor Lohse. Keinen, dem Ruhm, Erfolg und Ehrgeiz nicht Schüchternheit vor Damen genommen hätten. Er war mehr als dreißig. Im besten Alter für die Ehe. Er hatte eine Zukunft. Eine Frau,