reisen also bestimmt?« sagte Stasia. »Wohin?«
»Ich weiß es nicht genau!«
»Es ist schade, daß Sie nicht bleiben wollen –«
»Nicht bleiben können –«
Nun sagte sie nichts mehr, und wir gingen schweigsam bis zum Varieté.
»Kommen Sie heute nach der Vorstellung zu einem Abschiedstee?« fragte sie.
Wenn Stasia mich nicht gefragt, sondern kurzweg eingeladen hätte – ich hätte ja gesagt.
»Nein!«
»Nun, dann gute Reise!«
Das war ein kühler Abschied – aber es war ja auch gar nichts zwischen uns gewesen! Nicht einmal Blumen hatte ich geschenkt.
Es gab Chrysanthemen bei der Blumenhändlerin im Hotel Savoy – ich kaufte sie und schickte die Blumen mit Ignatz in Stasias Zimmer.
»Der Herr verreist?« fragte Ignatz.
»Ja!«
»Weil nämlich für Herrn Alexander Böhlaug noch ein Zimmer frei wäre – wenn der Herr deswegen verreist.«
»Nein, ich verreise ohnehin! Bringen Sie morgen die Rechnung!«
»Die Blumen für Stasia?« fragte Ignatz, ehe ich aus dem Fahrstuhl stieg.
»Für Fräulein Stasia!«
Ich schlief die ganze Nacht traumlos –. Morgen oder übermorgen reiste ich – der Pfiff eines Zuges kam langgedehnt und schrill herüber – Menschen fuhren in die Welt – ade, Hotel Savoy!
XIII
Alexanderl war ein Weltmann. Er wußte, wie man eine Sache einfädelt. Er war ein Hohlkopf. Aber der Sohn Phöbus Böhlaugs.
Er kam pünktlich, in einem andern eleganten Anzug. Er sprach eine Stunde von allen Dingen und nichts von unserem Geschäft. Er ließ mich warten. Alexanderl hatte Zeit.
»In Paris wohne ich bei Madame Bierbaum, das ist eine Deutsche. Die deutschen sind in Paris die besten Hausfrauen. Madame Bierbaum hat zwei Töchter, die ältere ist über vierzehn, aber sogar wenn sie dreizehn wäre – man nimmt es nicht so genau. Nun – und eines Tages kam ein Cousin der Madame Bierbaum – und ich hatte einen Ausflug gemacht mit Jeanne – aber sie ließ mich warten. Kurz, ich komme nach zwei Tagen zurück – den Schlüssel habe ich bei mir –, ich komme in der Nacht, gehe leise, um niemanden zu wecken, auf den Zehenspitzen, wie man sagt, mache kein Licht, ziehe nur die Stiefel und den Rock aus und trete zum Bett und greife – nun, was glauben Sie – gerade nach den Brüsten der kleinen Helene.
Sie schlief bei mir, weil der Cousin da war, oder Madame Bierbaum hatte es absichtlich so eingerichtet – kurz, was dann war, können Sie sich denken.«
Ich kann es mir denken.
Alexanderl beginnt eine neue Geschichte.
Der Mann hatte unzählige Geschichten erlebt in seinen lausigen zweiundzwanzig Jahren. Eine Geschichte gebiert die andere, ich höre nicht mehr zu.
Plötzlich kam Stasia in den Fünf-Uhr-Saal – sie suchte jemanden – wir waren die einzigen im Saal. Alexander sprang auf, lief ihr entgegen, küßte ihre Hände, zog sie an unsern Tisch.
»Wir sind jetzt Nachbarn!« begann Alexander.
»Ach, das wußte ich nicht«, sagte Stasia.
»Ja, mein lieber Vetter ist so freundlich, mir seine Wohnung zu überlassen.«
»Das ist noch gar nicht ausgemacht!« sagte ich plötzlich – ich wußte selbst nicht, warum. »Wir haben ja noch gar nicht darüber gesprochen.«
»Handelt es sich um Geld?« fragte Alexander.
»Nein«, sagte ich sehr fest, »ich reise überhaupt nicht. Sie können trotzdem ein Zimmer haben, Alexander – Ignatz hat es gesagt.«
»So – na, dann ist ja alles gut – und wir sind alle drei sehr enge Nachbarn«, sagte Alexander.
Wir sprachen noch allerlei. – Ignatz kam herein, drei Zimmer ständen frei – zwei würden morgen besetzt werden, aber eines bliebe gewiß frei, Zimmer 606, im vierten Stock allerdings, aber geräumig. – Niemand wollte es wegen der anzüglichen Nummer – für Damen wäre es schon gar nichts – aber als Absteigquartier, weshalb nicht?
Ich ließ Stasia und Alexanderl sitzen und ging.
Am Abend erzählte mir Ignatz im Fahrstuhl, daß Alexander 606 gemietet habe.
Ich ging in mein Zimmer wie in eine wiedergefundene Heimat.
Zweites Buch
XIV
Nun stehe ich schon den dritten Tag am Bahnhof und warte auf Arbeit. Ich könnte in eine Fabrik gehen, wenn die Arbeiter nicht gerade streikten. Philipp Neuner würde sich wundern, einen Mann aus der Bargesellschaft unter den Arbeitern zu finden. Ich mache mir aus derlei Dingen nichts, viele Jahre harter Arbeit liegen hinter mir.
Man braucht keine Arbeiter, es sei denn gelernte, und gelernt habe ich nichts. Ich kann »Kaleguropulos« deklinieren und noch manches andere. Auch schießen kann ich – ich bin ein guter Schütze. Für Feldarbeit bekommt man Essen und Wohnung, aber kein Geld – und ich muß Geld haben.
Am Bahnhof kann man Geld verdienen. Manchmal kommt ein Ausländer. Er sucht einen zuverlässigen »Menschen mit Sprachkenntnissen«, um nicht übers Ohr gehauen zu werden von der schlauen Bevölkerung. Auch Gepäckträger sind sehr gesucht – hier gibt es nicht viele. Ich weiß auch nicht, was ich sonst machen könnte. Vom Bahnhof ist es nicht mehr so weit in die Welt. Hier darf man Schienenstränge hinauslaufen sehn. Menschen kommen an und fahren weiter. Vielleicht kam ein Freund oder ein Kriegskamerad?
Es kam wirklich einer, nämlich Zwonimir Pansin, ein Kroate, von meiner Kompanie. Auch er kommt aus Rußland, und nicht einmal zu Fuß, sondern mit der Bahn – also weiß ich, daß es Zwonimir gutgeht und daß er mir helfen wird.
Wir begrüßen uns sehr herzlich, Zwonimir und ich, zwei alte Kriegskameraden.
Zwonimir war ein Revolutionär von Geburt. In seinen Militärpapieren stand ein p. v., das heißt: politisch verdächtig – deshalb hat er es nicht einmal zum Korporal gebracht, obwohl er eine große Tapferkeitsmedaille trug. Er war einer der ersten in unserer Kompanie, die eine Dekoration bekamen – Zwonimir wollte sie ablehnen – er sagte dem Hauptmann ins Gesicht: Er wolle nicht ausgezeichnet werden – und es täte ihm leid, daß es dazu gekommen sei.
Nun, der Hauptmann war sehr stolz auf seine Kompanie – ein guter und hohler Kerl war der Hauptmann – und wollte es nicht zugeben, daß der Regimentskommandant etwas von Aufruhr erfahre. Deshalb ordnete sich alles, und Zwonimir nahm die Medaille an.
Ich entsinne mich der Tage – das Regiment war in Rast –, da lagen Zwonimir und ich auf der Wiese am Nachmittag und sahen zur Kantine hinüber, vor der Soldaten kamen und gingen und in Gruppen herumstanden.
»Sie haben sich schon daran gewöhnt«, sagte Zwonimir, »sie werden nie mehr in einem anständigen Laden Präservative kaufen, in so einem duftenden, wo die Ladenmädchen parfümiert sind wie Huren.«
»Ja«, sagte ich.
Und wir sprachen