Johanna Spyri

Gesammelte Werke von Johanna Spyri


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mach, daß du einmal die drei Buchstaben kennst, dann mußt du ja nicht gehen«, bewies ihm das Heidi.

      Jetzt setzte der Peter noch einmal an und repetierte beharrlich die drei Buchstaben so lange fort, bis das Heidi sagte:

      »Jetzt kannst du die drei.«

      Da es aber nun bemerkt hatte, welch eine Wirkung der Spruch auf den Peter ausgeübt hatte, wollte es gleich noch ein wenig vorarbeiten für die folgenden Lehrstunden.

      »Wart, ich will dir jetzt noch die anderen Sprüche lesen«, fuhr es fort, »dann wirst du sehen, was alles noch kommen kann.«

      Und es begann sehr klar und verständlich zu lesen:

      »D E F G muß fließend sein,

       Sonst kommt ein Unglück hintendrein.

      Vergessen H I K,

       Das Unglück ist schon da.

      Wer am L M noch stottern kann,

       Zahlt eine Buß und schämt sich dann.

      Es gibt etwas, und wüßtest's du,

       Du lerntest schnell N O P Q.

      Stehst du noch an bei R S T,

       Kommt etwas nach, das tut dir weh.«

      Hier hielt das Heidi inne, denn der Peter war so mäuschenstill, daß es einmal sehen mußte, was er mache. Alle die Drohungen und geheimen Schrecknisse hatten ihm so zugesetzt, daß er kein Glied mehr bewegte und schreckensvoll das Heidi anstarrte.

      Das rührte sogleich sein mitleidiges Herz, und tröstend sagte es: »Du mußt dich nicht fürchten, Peter; komm du jetzt nur jeden Abend zu mir, und wenn du dann lernst wie heut, so kennst du allemal zuletzt die Buchstaben, und dann kommt ja das andere nicht. Aber nun mußt du alle Tage kommen, nicht so, wie du in die Schule gehst; wenn es schon schneit, es tut dir ja nichts.«

      Der Peter versprach, so zu tun, denn der erschreckende Eindruck hatte ihn ganz zahm und willig gemacht. Jetzt trat er seinen Heimweg an.

      Der Peter befolgte Heidis Vorschrift pünktlich, und jeden Abend wurden mit Eifer die folgenden Buchstaben einstudiert und der Spruch beherzigt.

      Oft saß auch der Großvater in der Stube und hörte dem Exerzitium zu, indem er vergnüglich sein Pfeifchen rauchte, während es öfter in seinen Mundwinkeln zuckte, so, als ob ihn von Zeit zu Zeit eine große Heiterkeit übernehmen wollte.

      Nach der großen Anstrengung wurde der Peter dann meistens aufgefordert, noch dazubleiben und beim Abendessen mitzuhalten, was ihn alsbald für die ausgestandene Angst, die der heutige Spruch mit sich gebracht hatte, reichlich entschädigte.

      So gingen die Wintertage dahin. Der Peter erschien regelmäßig und machte wirklich Fortschritte mit seinen Buchstaben.

      Mit den Sprüchen hatte er aber täglich zu fechten. Man war jetzt beim

       U angelangt. Als das Heidi den Spruch las:

      »Wer noch das U in V verdreht,

       Kommt dahin, wo er nicht gern geht«,

      da knurrte der Peter: »Ja, wenn ich ginge!« Aber er lernte doch tüchtig zu, so, als stehe er unter dem Eindruck, es könnte ihn doch heimlich einer beim Kragen nehmen und dorthin bringen, wohin er nicht gern ginge.

      Am folgenden Abend las das Heidi:

      »Ist dir das W noch nicht bekannt,

       Schau nach dem Rütlein an der Wand.«

      Da guckte der Peter hin und sagte höhnisch: »Hat keins.«

      »Ja, ja, aber weißt du, was der Großvater im Kasten hat?« fragte das

       Heidi. »Einen Stecken, fast so dick wie mein Arm, und wenn man ihn

       herausnimmt, so kann man nur sagen: >Schau nach dem Stecken an der

       Wand!<«

      Der Peter kannte den dicken Haselstock. Augenblicklich beugte er sich über sein W und suchte es zu erfassen.

      Am anderen Tage hieß es:

      »Willst du noch das X vergessen,

       Kriegst du heute nix zu essen.«

      Da schaute der Peter forschend zu dem Schrank hinüber, wo das Brot und der Käse darinlagen, und sagte ärgerlich: »Ich habe ja gar nicht gesagt, daß ich das X vergessen wolle.«

      »Es ist recht, wenn du das nicht vergessen willst, dann können wir auch gleich noch einen lernen«, schlug das Heidi vor, »dann hast du morgen nur noch einen einzigen Buchstaben.«

      Der Peter war nicht einverstanden. Aber schon las das Heidi:

      »Machst du noch Halt beim Y,

       Kommst du mit Hohn und Spott davon.«

      Da stiegen vor Peters Augen alle die Herren in Frankfurt auf mit den hohen schwarzen Hüten auf den Köpfen und Hohn und Spott in den Gesichtern. Augenblicklich warf er sich auf das Ypsilon und ließ es nicht wieder los, bis er es so gut kannte, daß er die Augen zutun konnte und doch noch wußte, wie es aussah.

      Am Tag darauf kam der Peter schon ein wenig hoch beim Heidi an, denn da war ja nur noch ein einziger Buchstabe zu verarbeiten, und als ihm das Heidi gleich den Spruch las:

      »Wer zögernd noch beim Z bleibt stehn,

       Muß zu den Hottentotten gehn!«,

      da höhnte der Peter: »Ja, wenn kein Mensch weiß, wo die sind!«

      »Freilich, Peter, das weiß der Großvater schon«, versicherte das Heidi. »Wart nur, ich will ihn geschwind fragen, wo sie sind, er ist nur beim Herrn Pfarrer drüben.« Und schon war das Heidi aufgesprungen und wollte zur Tür hinaus.

      »Wart«, schrie jetzt der Peter in voller Angst, denn schon sah er in seiner Einbildung den Almöhi mitsamt dem Herrn Pfarrer daherkommen und wie ihn die zwei nun gleich anpacken und den Hottentotten übersenden würden, denn er hatte ja wirklich nicht mehr gewußt, wie das Z hieß. Sein Angstgeschrei ließ das Heidi stillstehen.

      »Was hast du denn?« fragte es verwundert.

      »Nichts! Komm zurück! Ich will lernen«, stieß der Peter mit Unterbrechungen hervor. Aber das Heidi hätte jetzt selbst gern gewußt, wo die Hottentotten seien, und es wollte durchaus den Großvater fragen. Der Peter schrie ihm aber so verzweifelt nach, daß es nachgab und zurückkam. Nun mußte er aber auch etwas tun dafür. Nicht nur wurde das Z so manchmal wiederholt, daß der Buchstabe für alle Zeit in seinem Gedächtnis festsitzen mußte, sondern das Heidi ging gleich noch zum Syllabieren über, und an dem Abend lernte der Peter so viel, daß er um einen ganzen Ruck vorwärts kam. So ging es weiter Tag für Tag.

      Der Schnee war wieder weich geworden, und darüberhin schneite es neuerdings einen Tag um den andern, so daß das Heidi wohl drei Wochen lang gar nicht zur Großmutter hinauf konnte. Um so eifriger war es in seiner Arbeit an dem Peter, daß er es ersetzen könne beim Liederlesen. So kam eines Abends der Peter heim vom Heidi, trat in die Stube ein und sagte:

      »Ich kann's!«

       »Was kannst du, Peterli?« fragte erwartungsvoll die Mutter.

       »Das Lesen«, antwortete er.

       »Ist auch das möglich! Hast du's gehört, Großmutter?« rief die

       Brigitte aus.

       Die Großmutter hatte es gehört und mußte sich auch sehr verwundern, wie das zugegangen sei.

      »Ich muß jetzt ein Lied lesen, das Heidi hat's gesagt«, berichtete der Peter weiter. Die Mutter holte hurtig das Buch herunter, und die Großmutter freute sich, sie hatte so lange kein gutes Wort gehört. Der Peter setzte sich an den Tisch hin und begann zu lesen. Seine Mutter saß aufhorchend neben ihm; nach jedem Verse mußte sie mit Bewunderung sagen: »Wer hätte es auch denken können!«

      Auch die Großmutter folgte mit Spannung einem Verse nach dem andern, sie sagte aber nichts dazu.

      Am