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Zäsur, einen Umbruch, der zugleich den Anbruch von etwas Neuem verspricht. Er kann politischer Natur sein (verschiedene Revolutionen, Mai 1968) oder ein wissenschaftlicher oder kultureller Durchbruch (Schönbergs Zwölftonmusik), aber das Ereignis unterscheidet in ein Davor und Danach, es eröffnet eine Zukunft, die vollkommen anders ist als die Vergangenheit.

      Reenactments sind sowohl eine Erweiterung als auch eine Umkehrung der Performance-Kunst, die per Definition an das Ereignis gebunden ist. Bei einer Performance geht es um die bedingungslose Anwesenheit im Hier und Jetzt. Dazu gehört die körperliche Anwesenheit des Künstlers, ein physischer Ort und die Dauer: Es handelt sich um eine Erfahrung, die man durchstehen muss. Die Performance-Kunst ist an ihre Flüchtigkeit gebunden: Sie kann nicht wiederholt, gesammelt oder auf den Kunstmarkt geworfen werden, und jede zufällige Dokumentation, die sie hinterlässt, ist kein Ersatz dafür, ihr persönlich beigewohnt zu haben. Das Reenactment ist wie eine gespenstische Form der Performance-Kunst: Was der Betrachter sieht, ist nie völlige Gegenwart oder Gegenwärtigkeit.

      Die bestimmende Qualität der Performance-Kunst ist, dass sie sich in Echtzeit abspielt, aber bei Reenactments bleibt die Zeit außen vor. Tom McCarthy spricht davon, dass »Reenactments eine Art Riss mit sich bringen. Einerseits geht es um etwas, was man tatsächlich tut, und andererseits ist es eben nicht etwas, das man ›macht‹: Es ist ein Zitat, eine Markierung für ein anderes Ereignis, das dieses nicht ist.« Egal wie viel Recherche und Vorbereitung man in ein Reenactment steckt, es ist dazu verdammt, ein absurdes Gespenst zu sein, eine Travestie des Originals. Trotzdem haben Reenactments die Macht, das Publikum daran zu erinnern, dass Ereignisse möglich sind, schließlich haben sie schon einmal stattgefunden.

       JOHAN KUGELBERG

      Der in Schweden geborene und in New York lebende Johan Kugelberg führt ein faszinierendes Leben, das er dem Sammeln und Schreiben über seine Entdeckungen für das Retro-Magazine Ugly Things und den aufwändigen Fotobänden, die er herausgibt, ebenso wie dem Organisieren von Ausstellungen und dem Kompilieren von Reissue-Anthologien widmet. Eine schlaue »kapitalistische Investmentpolitik« ermöglicht es ihm, die beneidenswerte Position getreu dem Motto seiner Frau »Warum weniger zahlen?« zu leben. Anders ausgedrückt: Statt wie der typische finanziell gebundene Sammler (sagen wir, ich) vorzugehen, also z. B. in Läden und Trödelkellern umherzustreifen, geht er direkt zu den Händlern und Sammlern, die bereits die harte Vorarbeit erledigt haben. Oder er bietet bei Auktionen sowohl online als auch offline permanent höher als andere.

      Nachdem er in den 90ern für verschiedene Plattenlabels gearbeitet hat, ist er um die Jahrtausendwende in einen bestimmten Modus Operandi verfallen: Er konzentriert sich auf einen speziellen Bereich der Vergangenheit und gräbt alles dazu aus – nicht nur Platten, sondern auch Fanzines, Flyer und alle Arten von Erinnerungsstücken, die aus dieser Zeit stammen. Obskurer Punk (wie er ihn auf den Killed by Death-Compilations versammelt hat) oder DIY-Post-Punk waren Abstecher in diese Richtung, aber erst als er sich für die Frühzeit des Hip Hop interessierte, ist er die Sache systematisch angegangen: »Der Anspruch beim Eintauchen in Hip Hop war immer, ein substanzielles Archiv zusammenzutragen, das man an einer akademischen Institution unterbringen kann, ein gutes Buch zusammenzustellen und eine paar wirklich gute Reissues herauszubringen«, erklärt Kugelberg. Das Material, das er für die Born in the Bronx-Ausstellung und das dazugehörige Buch gesammelt hat – 500 Flyer, unveröffentlichte »Battle Tapes« aus den späten 70ern, Fotografien von Joe Conzo Jr., Magazine und Poster –, wurde letztendlich der Abteilung für Raritäten- und Handschriften-Sammlung der Cornell Universität gestiftet, wo sie im Frühjahr 2009 als Quelle für ein Seminar über die Geschichte des Hip Hop dienten. »Ich habe die Hoffnung, dass sich das auf andere Unis auf der Welt ausweiten lässt. Man braucht eine kritische Masse und muss diesen Aspekt der Geschichte von Minoritäten mit mehr Respekt und Achtung angehen.«

      Wie viele andere Sammler und Kuratoren fürchtet Kugelberg den Verlust: »Ich habe Angst, dass etwas verloren geht. In der Vergangenheit habe ich mich mit frühem Jazz und Blues befasst, und ich habe Geschichten gehört von Sachen, die in den 50ern und 60ern in den Mülleimer gekippt wurden. Wichtige Foto-Archive, die in der Toilette der Zeit heruntergespült wurden.« Bei Projekten wie seiner Beteiligung an der Auktion von Punk-Erinnerungsstücken bei Christie‘s im November 2008 (es gab alles von Bondage-Hosen von Vivienne Westwood über Buttons von den Buzzcocks bis hin zu Flyern aus Max‘s Kansas City) hat er die Nachwelt im Auge. »Ich denke, dass es im Fall von Punk wichtig ist, für zukünftige akademische Bestrebungen in diesem Bereich eine kritische Masse zu erreichen, also braucht man Leute aus dem Establishment wie Christie‘s. Wenn die Sachen in einem gedruckten Katalog auftauchen, ist das eine Dokumentation davon, was sie waren. Ich schneide mir vermutlich ins eigene Fleisch, wenn ich das sage, aber das ganze Zeugs wird weit unter Preis verkauft, verglichen damit, wie wichtig es ist.«

       DERRIDA, FREUD UND DAS ARCHIV

      »Mal d’ archive« klingt beinahe wie ein richtiges Leiden: Wie die Berufskrankheit der Archivare, die zu viel Zeit in den Kellern verbracht haben, eine Störung, die Akademiker und Antiquare erfasst, die austesten, wo die Grenzen des menschlichen Gehirns bei der Aufnahme von Informationen liegen. Aber in Wahrheit – und wie wir es von Derrida ja auch erwarten – erweist sich diese Idee als viel komplexer, subtiler und paradoxer.

      In Dem Archiv verschrieben: Eine Freudsche Impression verfolgt Derrida die Spuren des »Archivs« bis zurück zu archeion, dem griechischen Wort für die Residenz höherer Würdenträger (die Archonten). Ursprünglich bedeutet das Wort »Archiv« zweierlei, »Anfang« und »Gebot«. Die Idee des Archivs ist also tief mit Vorstellungen von Ursprung und Ordnung, Authentizität und Autorität verbunden. Die Silbe »Arch« ist die Gleiche wie in den Wörtern »archaisch«, »Archetyp« und »Archäologie«, aber auch das »arch«, das wir in Wörtern wie »Monarchie« finden. Das Archiv ist auch mit dem Wort »Arche« verwandt, wie in Noahs Arche (das Schiff, in dem auf Gottes Befehl alle Tiere gerettet und klassifiziert wurden), aber auch mit der Bundeslade (»Ark of Covenant«), dem Behältnis, in dem die Tafeln der zehn Gebote aufbewahrt wurden.

      Im französischen Mal d‘archive ist sowohl die Vorstellung von der Krankheit als auch vom Bösen enthalten. Für Derrida liegt dem Archivierungstrieb etwas Morbides und Unheilvolles zugrunde: »Es heißt, sich ihm in einen zwingenden, repetitiven und sehnsüchtigen Begehren … zum Ursprung … zum archaisch Ort des absoluten Anfangs« zu nähern. Derrida zieht eine Verbindung zwischen diesem Zwang und dem freudianischen Todestrieb. Freud behauptete, dass »es die Aufgabe« des Todestriebs sei, »das organische Leben in den leblosen Zustand zurückzuführen.« Eine seiner Manifestationen im menschlichen Verhalten (und erweitert auch in der Kultur) ist der »Wiederholungszwang«. Für Freud war der regressive Trieb »viel primitiver, viel elementarer« als das Lustprinzip, was der Grund dafür ist, warum Thanatos den Eros so oft »überwindet«. En mal d‘archive bedeutet aber auch »Archive zu benötigen«, ein verzweifeltes Sehnen, das mit einer Sucht vergleichbar ist. Derrida schreibt, »es heißt, vor Leidenschaft zu brennen. Es heißt unaufhörlich, unendlich nach dem Archiv suchen zu müssen, da wo es sich entzieht. Es heißt, ihm nachzulaufen, da, wo selbst wenn es davon viel gibt …« Getrieben von einer Mischung aus Selbstüberschätzung und Manie gerät der Trieb, Wissen anzuhäufen und zu speichern, außer Kontrolle, und er droht, das ganze Gebäude des Archivs zum Einsturz zu bringen.

       image Die totale Erinnerung

      Musik und Gedächtnis im YouTube-Zeitalter

      Manchmal habe ich den Eindruck, die gesamte Kultur leide unter dem Chris-Farley-Syndrom. Dies war der Name sowohl einer Kunstfigur in Saturday Night Live als auch der des mittlerweile verstorbenen Komikers, der diese Rolle spielte. Die Sketche drehten sich um einen jungen Mann, der von seinem Wohnzimmer aus eine Fernsehshow fürs Kabelfernsehen macht. »Chris Farley« hat unglaubliches Glück, wenn es darum geht, echte Berühmtheiten zu interviewen –