die er zu einem endlos sehnsuchtsvollen und doch flüchtigen Refrain loopt. Nach und nach schlittern und schleichen sich einige alarmierende und bedrohliche Klänge in dieses Idyll, kombiniert mit dem ruhelosen Klackern der Tastatur. Die zähen Klänge entlarven sich als ein bis ins Groteske verlangsamter Dialog aus den Familienszenen der Dauerwerbesendung: »Mit diesem Computer haben wir die beste Zeit unseres Lebens«, »Da draußen gibt es noch eine ganze Welt zu entdecken«, »Witzigerweise passt der Computer prima in unsere Familie, als gehöre er schon immer dazu.«
Lopatin beschreibt diesen Abschnitt des Stückes als »eine explodierende Unordnung kulturellen Lärms, bei dem sich all diese Stimmen und Sehnsüchte überlappen, wenn die Familienmitglieder ihr Verlangen, diesen Computer zu besitzen, artikulieren. Der Witz dieser Dauerwerbesendung besteht darin, dass er eine Art Maschine aus der Renaissance ist und die ganze Familie zu einer ganzheitlichen Einheit macht. Jedes Mitglied bekommt damit genau das, was es verlangt. Er bringt sie zusammen und er fördert zugleich ihre Individualität zutage.« Was der Computer jedoch schlussendlich repräsentiert, ist eine neue Stufe der Entfremdung in der Familie: Die vernetzte Familie ist verzahnt mit außerhalb liegenden Systemen und an ferne Datenströme angeschlossen. »Nil Admirari«, ein kakophonischer Track auf dem 2010er-Album Returnal von Oneohtrix Point Never, enthält den gleichen Gedanken: Er ist ein klangliches Abbild des modernen Haushalts, in den die Außenwelt durch Kabel eindringt, der heimische Rückzugsort wird mit giftigen Daten verschmutzt. »Die Mutter ist ganz von CNN vereinnahmt, schimpft über irgendeinen Code-Orange-Terroristen-Mist«, sagt Lopatin. »Währenddessen spielt das Kind im anderen Zimmer Halo 3, bewegt sich auf einer abgedrehten Mars-Oberfläche und tötet einen Feind aus einem James-Cameron-artigen Universum.«
»The Martinettis Bring Home a Computer« handelt von der unheilvollen Seite der Informationstechnologie, es geht um ihre Verführungskraft: Der neue Computer oder ein digitales Gerät erscheint dort als Vorbote einer verheißungsvollen Zukunft. Allerdings führt die hohe Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts dazu, dass jede geliebte Maschine mit an Rücksichtslosigkeit grenzender Schnelligkeit obsolet wird. Da Individuen und Firmen alle zwei oder drei Jahre neue Informations-Technik auf den Markt werfen, stellen überflüssige Computer ein großes Umweltproblem dar. »Ich interessiere mich stark für Formate, für Abfall, für überholte Technologie«, erklärt Lopatin. »Ich interessiere mich für die Vorstellung, dass die Schnelllebigkeit des Kapitalismus unsere Beziehung zu Objekten zerstört. All das führt mich zurück, aber es ist ein Verlangen nach Verbindung, nicht danach, die Dinge wieder zu beleben. Es ist keine Nostalgie.« Lopatin behauptet, die Idee des »Fortschritts« werde genauso von den ökonomischen Bedürfnissen des Kapitalismus bestimmt wie von der Wissenschaft oder der menschlichen Kreativität. In einem manifestartigen Artikel von 2009 beklagt er die Fixierung auf eine lineare Entwicklung und schlägt stattdessen vor, »Räume der ekstatischen Regression« zu öffnen, »der Vergangenheit zu huldigen«, um sie »zu betrauern, zu feiern und in ihr zu reisen«.
Das Verschwinden in »Internet-Wurmlöchern« – Nico Muhlys flapsige Beschreibung seines Mäanderns durchs Netz – enthält auch die Vorstellung der Zeitreise. Das »durchquerbare Wurmloch«, ein Thema endloser Spekulation unter Physikern und ein beliebtes Element der Science Fiction, schneidet ein Loch ins Gewebe des Raum-Zeit-Kontinuums und erschafft eine Abkürzung; theoretisch könnte es als Zeittunnel fungieren. Muhlys Wurmloch-Metapher betont die quasi-astrophysische Dimension des Netzes: Es ist der Cyberspace, ein Kosmos an Information und Erinnerung. Genauso funktionieren auch Archive – sie schaffen einen Raum für die Zeit. Sie sind Systeme zur ordentlichen Aufbewahrung, die Objekte in einen untergliederten Raum verteilen. Computer und das Internet haben diesen Bergungsprozess drastisch beschleunigt und machen die Vergangenheit für alle zugänglich, unabhängig davon, wo man sich befindet, und ob man institutionelle Privilegien hat.
Für junge Künstler wie Lopatin und Muhly bietet YouTube erstaunliche Möglichkeiten für »ekstatische Regression« und für Zeitreisen zu exotischen Flecken kultureller Seltsamkeit. Lopatin benutzt den Vergleich mit Archäologen, die über eine verlorene Zivilisation stolpern: »Wir nähern uns den Ruinen und suchen nach Symbolen an den Wänden. Wir versuchen zusammenzusetzen, wie ihre Kultur, was ihre Bedeutung war. Diese Hieroglyphen sind unser Fenster in diese Kultur. Kleine Abbildungen des alltäglichen Lebens, des Sports, was auch immer.« Er mutmaßt, dass YouTube die Bilddatenbank unserer Zivilisation ist, »ein Realitäts-Tresor«. Er malt sich Menschen aus, die es in ein- oder zweitausend Jahren wie ägyptische Hieroglyphen behandeln. »Das ist im Wesentlichen ein Überblick darüber, wer wir sind. Alle unsere nüchternen und kranken Träume sind hier versammelt. Die Dinge, für die wir uns interessieren, und die wir witzig finden. Vor allem weil vieles auf YouTube wie aus einem Tagebuch oder wie eine Beichte daherkommt. Ich finde das traurig, aber zugleich auch schön. Das ist anscheinend das, was die Menschen am Ende des Tages brauchen. Das ist es, was sie hinterlassen wollen.«
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