Ortwin Ramadan

Moses und das Mädchen im Koffer


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richtig gemacht.

      Moses sah den Strand hinunter. »Hier gibt es für uns nicht mehr viel zu tun. Wenn die Kollegen mit dem Abtransport fertig sind, kommen Sie und Helwig bitte auf schnellstem Weg ins Präsidium.«

      »Geht klar.«

      »Sind Elvers und Viteri bereits informiert?«

      Leitner nickte. »Ich habe ihnen eine grobe Beschreibung der Toten durchgegeben. Sie filzen bereits die Vermisstenanzeigen.«

      Moses lächelte. Offenbar war Leitner doch noch für eine Überraschung gut. »Wenn Sie so weitermachen, wird aus Ihnen noch ein echter Kriminalist.«

      Er entließ das Rentnerpaar und den Hundehalter, dann ging er zu seinem Alfa, der auf dem Parkplatz unter den Bäumen stand. Zum Glück musste er dafür nur noch ein kurzes Stück über den Strand. Er würde auf dem Weg ins Präsidium notgedrungen einen Umweg machen müssen, um sich umzuziehen und zu duschen.

      Der Sand in den Schuhen war unerträglich.

      6

      Die ausgetretenen Holzstufen knarrten unter seinem Gewicht, während er in seine Dachwohnung hinaufeilte. Noch immer sah er das tote Mädchen in dem Koffer vor sich. Die makellose Haut, das perfekte Make-up, das weiße Rüschenkleidchen. Vermutlich würde ihn der Anblick bis in seine Träume hinein verfolgen.

      Oben angekommen streifte er sich vorsichtig die nassen Segelschuhe von den Füßen und schloss in Windeseile die Wohnungstür auf. Dann trug er die mit Sand gefüllten Schuhe ins Bad und leerte sie über der Toilette, bevor er sie in die Waschmaschine steckte. Er zog sich aus und stopfte die vom Regen durchnässten Segelklamotten dazu.

      Nach einer kurzen kalten Dusche wählte er Julianes Handynummer und ging ins Nebenzimmer. Während er darauf wartete, dass sie ranging, nahm er Boxershorts, Socken, ein weißes Hemd und einen dunkelblauen Anzug aus dem Kleiderschrank. Das Designerstück reichte fast bis an die frei liegenden Dachsparren, auf denen sich die Schlafempore befand. Es war mit Abstand das größte Möbelstück in der spartanisch eingerichteten Dachwohnung, zu der neben dem Hauptzimmer nur noch Küche und Bad gehörten. Er klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter und begann sich anzuziehen.

      Endlich meldete sich Juliane. »Hallo?«

      »Ich bins. Wo steckst du?«

      »Im Krankenhaus.«

      Moses hielt inne. »Du musst immer noch warten?«

      »Nein, ich bin sofort drangekommen. Aber sie wollen mich über Nacht hierbehalten, um noch mehr Röntgenaufnahmen zu machen. Offenbar ist mein Schlüsselbein gebrochen.«

      »Das ist nicht dein Ernst!«, entfuhr es Moses, während er in die Anzughose schlüpfte. »Nur vom Hinfallen? So schlimm sah es gar nicht aus.«

      »Dumm gelaufen.« Juliane klang erstaunlich gefasst. »So wie es aussieht, fällt Segeln für die nächste Zeit flach. Und einiges andere auch …«

      Moses knöpfte vor dem Schrankspiegel das Hemd zu. »Das ist natürlich bedauerlich.« Juliane schwieg. »Aber ja auch kein Weltuntergang. Das wird schon wieder!«, schob er hinterher.

      »Du hörst dich an wie meine Mutter! Erzähl mir lieber, wie es bei dir läuft!«

      »Nicht viel besser. Ich bin auf dem Sprung ins Präsidium. Es ist wohl einer dieser Fälle, die einen an der Menschheit zweifeln lassen.«

      »Da lieg ich doch lieber mit gebrochenen Knochen im Krankenhaus.«

      Moses seufzte und streifte sich die Socken über. »Ich kann nicht sagen, wie lange ich heute brauchen werde. Ich ruf dich später noch mal an.«

      »Aber nicht erst um Mitternacht, bitte. Bis nachher.«

      »Warte!«, sagte er und schlüpfte in seine Schuhe. »Gute Besserung.«

      »Du unverbesserlicher Esel«, stöhnte Juliane am anderen Ende der Leitung. »Du hättest auch einfach sagen können, dass du mich liebst.« Dann legte sie auf.

      Moses betrachtete das Telefon in seiner Hand. War es wirklich so schlimm mit ihm? Gefühle zu zeigen fiel ihm nun einmal schwer. Dabei musste Juliane doch wissen, wie viel sie ihm bedeutete. Vielleicht war ihre harsche Reaktion ja auch nur der besonderen Situation geschuldet. Aber eine besondere Situation gab es im Grunde immer.

      Er griff nach seinem Mantel, stieß die Wohnungstür zu und eilte festen Schrittes die Treppe hinunter.

      Im Erdgeschoss flog die Tür der ehemaligen Hausmeisterwohnung auf, und die Kruse versperrte ihm den Weg. Es schien fast so, als habe die alte Frau auf ihn gewartet. »Herr Moses!«, krächzte sie. »Gut, dass ich Sie antreffe! Ich möchte, dass Sie hier unterschreiben.« Die zwergenhafte Alte hielt ihm ein Klemmbrett samt Kugelschreiber unter die Nase.

      »Was soll das sein?«, fragte Moses ungeduldig. »Ich bin wirklich in Eile.«

      Die Witwe lebte seit über fünfzig Jahren in der kleinen Wohnung im Erdgeschoss. Er hatte sie quasi »miterworben«, als er das Jugendstilhaus von dem Erbe seiner Adoptiveltern gekauft hatte. Obwohl er sich immer wieder dafür selbst ohrfeigen könnte, brachte er es einfach nicht übers Herz, der alten Frau zu kündigen und einen richtigen Hausmeister zu suchen.

      »Das ist eine Beschwerde an die Hausverwaltung«, sagte die Kruse feierlich. »Jede Nacht dieser Lärm! Das muss endlich aufhören. Ich benötige meinen Schlaf!«

      Moses zwang sich wie immer, geduldig zu bleiben.

      »Um was geht es denn?«, fragte er ohne echtes Interesse.

      »Dieses Geschäft selbstverständlich! Bis spät in die Nacht geht es vor unserem Haus zu wie auf der Reeperbahn. Dieses ständige Gegröle – ich habe letzte Nacht wieder kein Auge zugetan. Damit muss endlich Schluss sein! Sie sind doch Polizist!« Die faltige, kleine Frau mit dem dünnen weißen Haarknoten am Hinterkopf funkelte ihn herausfordernd an. »Mein Mann hätte da schon längst etwas unternommen!«

      Moses war sich sicher, dass er letzte Nacht keinerlei Lärm vor dem Haus vernommen hatte. Dafür sorgten Hung und Teng in der Regel selbst, die einen ausgeprägten Geschäftssinn besaßen und ihre Nachbarschaft im gutbürgerlichen Winterhude kannten. Aber es stimmte, dass die vietnamesischen Zwillinge, die den Gemischtwarenladen im Souterrain führten, sich nicht wirklich an die in Deutschland herrschenden gesetzlich vorgeschriebenen Ladenöffnungszeiten gebunden fühlten. Als Polizist und gleichzeitig Vermieter brachte ihn das natürlich in ein moralisches Dilemma, denn die Nachbarschaft im Viertel wusste es zu schätzen, dass sie hier auch nach Ladenschluss noch einkaufen konnte. Obwohl das Geschäft nur wenige Quadratmeter groß war, führten die Zwillinge so ziemlich alles im Sortiment, was man zum täglichen Bedarf benötigte. Moses profitierte selbst sehr oft vom Angebot des Lädchens, wenn er spätabends nach Hause kam.

      Die Kruse tippte mit dem Finger auf das Klemmbrett. »Am besten schreiben Sie gleich dazu, dass Sie ein Kommissar sind.«

      Moses warf einen flüchtigen Blick auf den krakeligen, handgeschriebenen Brief und die einzige, ebenso krakelige Unterschrift darunter. Weder die Kethmanns aus dem ersten Stock noch die kurdische Familie oder die Studenten-WG aus der dritten Etage hatten unterzeichnet.

      »Wir müssen die Hausverwaltung zwingen, den Hausbesitzer zu informieren!«, rief die Kruse mit einem für so eine zierliche Person erstaunlich lautem Organ. »Ich weiß gar nicht, warum die so tun, als sei er der Papst, und seinen Namen geheim halten. Er muss diesen Asiaten endlich kündigen!«

      Der Umstand, dass niemand im Haus wusste, dass Moses ihr Vermieter war, führte nicht selten zu absurden Situationen wie diesen. Dennoch legte er Wert darauf, seine Vermögensverhältnisse nicht an die große Glocke zu hängen. Das galt auch für sein Boot. So wussten seine Kollegen im Präsidium bis heute nichts von der Existenz der Katharina.

      »Wie gesagt, ich bin in Eile«, sagte Moses nun etwas unwirsch. »Außerdem finde ich, dass Sie sich direkt an die beiden wenden sollten. Ich bin mir sicher, Sie finden zusammen eine Lösung. Reden Sie einfach mit ihnen.«

      »Mit