Оноре де Бальзак

Das Chagrinleder


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Locken herabfallendes Haar, das ohne Zweifel schon die Stürme der Liebe erfahren hatte, umspielte ihre breiten Schultern, die anziehende Ausblicke boten. Lange, braune Locken umhüllten halb einen majestätischen Hals, über den das Licht zuweilen dahinglitt und die Feinheit grazilster Konturen enthüllte. Die mattweiße Haut ließ die warmen Töne ihres kräftigen Teints lebhaft hervortreten. Das von langen Wimpern beschattete Auge schleuderte kühne Blitze, Liebesfunken. Die roten, feuchten, halboffenen Lippen luden zum Kusse ein. Sie war kräftig gebaut, aber reizvoll geschmeidig; ihre Brust und ihre Arme waren üppig wie bei den schönen Gestalten von Carracci [* Carracci: italienische Malerfamilie] des 16. Jahrhunderts ; bei alledem schien sie leicht und gewandt und ihre Kraft mahnte an die Behendigkeit einer Pantherkatze, so wie die männliche Eleganz ihrer Formen verzehrende Wollust verhieß. Obwohl dieses Mädchen zweifellos lachen und schäkern konnte, schrak man vor ihren Augen und ihrem Lächeln zuinnerst zurück. Gleich jenen von einem Dämon besessenen Prophetinnen rief sie mehr Staunen als Wohlgefallen hervor. Auf ihrem beweglichen Gesicht wechselte der Ausdruck blitzartig, in rascher Folge. Blasierte Männer hätte sie vielleicht entzückt, aber einem jungen Mann musste sie Furcht einflößen. Sie war wie eine Kolossalstatue, die von einem griechischen Tempel herabgestürzt ist, wundervoll aus der Entfernung, aber von nahem betrachtet grob. Nichtsdestoweniger hätte ihre blendende Schönheit Ohnmächtige wecken, ihre Stimme Taube entzücken, ihre Blicke alte Gebeine neu beleben können. Darum verglich Émile das Mädchen mit einer Tragödie von Shakespeare, einer Art bewundernswürdiger Arabeske, wo die Freude brüllt, die Liebe etwas unbeschreiblich Wildes hat und wo auf das blutrünstige Toben des Zornes der Zauber der Anmut und das Feuer des Glückes folgen; einem Ungeheuer, das beißen und schmeicheln, wie ein Teufel lachen, wie Engel weinen kann, das in einer einzigen Umarmung alle Verführungskünste des Weibes spielen lässt, ausgenommen die Seufzer der Melancholie und die bezaubernde Sittsamkeit der Jungfrau; das dann plötzlich losbricht, sich die Flanken zerfleischt, seine Leidenschaft zerbricht, seinen Geliebten und schließlich sich selbst vernichtet wie ein aufrührerisches Volk. In einem rotsamtenen Gewand näherte sie sich, zertrat achtlos die Blumen, die schon aus den Haaren einiger Gefährtinnen gefallen waren, und hielt den beiden Freunden mit hochmütiger Gebärde eine silberne Platte hin. Stolz auf ihre Schönheit, stolz auf ihre Laster vielleicht, zeigte sie einen weißen Arm, der sich leuchtend vom Samt des Kleides abhob. Sie stand da wie die Königin der Lust, wie ein Bild menschlicher Sinnesfreude, jener Freude, welche die von drei Generationen angesammelten Schätze verschleudert, über Leichnamen lacht, Vorfahren höhnt, Perlen und Throne in nichts auflöst, Jünglinge in Greise und Greise häufig in Jünglinge verwandelt; jener Freude, die einzig solch Riesen gestattet ist, die der Macht überdrüssig sind, die im Denken erprobt sind oder für die der Krieg zum Kinderspiel geworden ist.

      »Wie heißt du?« fragte Raphael sie.

      »Aquilina.«

      »Oh, oh!« rief Emile, »du kommst aus dem ›Geretteten Venedig‹!« [* ... aus dem »Geretteten Venedig«: Aquilina ist eine Gestalt aus der 1682 erschienenen Tragödie »Das gerettete Venedig« des englischen Dramatikers Thomas Otway (1652-1685)]

      »Ja«, erwiderte sie. »Wie sich die Päpste neue Namen geben, wenn sie sich über die Menschen erheben, habe ich einen anderen angenommen, als ich mich über alle Frauen erhob.«

      »Hast du denn, wie deine Schutzpatronin, einen edlen und schrecklichen Verschwörer, der dich liebt und für dich zu sterben bereit ist?« fragte Emile lebhaft, den dieser Anschein von Poesie wieder aufrüttelte. »Ich hatte ihn«, antwortete sie; »aber die Guillotine ist meine Rivalin gewesen. Darum trage ich auch immer etwas Rotes in meinem Putz, damit meine Freude nie zu weit geht.«

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