Оноре де Бальзак

Das Chagrinleder


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das egoistische Ziel der großen Männer ist, wie Glück das der Dummen?«

      »Monsieur, Sie sind sehr glücklich.«

      »Der erste, der Trennungsgräben zog, war gewisslich ein schwacher Mensch, denn die Gesellschaft profitiert nur von den Elenden. Die beiden äußersten Pole der moralischen Welt, der Denker und der Wilde, verachten gleicherweise den Besitz.«

      »Nett das!« rief Cardot; »wenn es kein Eigentum gäbe, wie könnten wir Protokolle machen?«

      »Das sind unglaublich köstliche Erbsen!«

      »Und der Pfarrer wurde am Tag darauf tot in seinem Bett gefunden ...«

      »Wer spricht vom Tod? Machen Sie keine Scherze! Ich habe einen Onkel.«

      »Sie würden es sicher ertragen, ihn zu verlieren.«

      »Keine Frage.«

      »Hören Sie, Messieurs! ›Die rechte Art, seinen Onkel umzubringen.‹ Ruhe! (Hört, hört!) Man habe einen dicken fetten Onkel, mindestens siebzigjährig, das sind die besten Onkel. (Bewegung.) Man gebe ihm unter irgendeinem Vorwand eine fette Gänseleberpastete zu essen . .«

      »Ach, mein Onkel ist leider zäh, dürr, geizig und sehr mäßig.«

      »Ja, solche Onkel sind Ungeheuer, die das Leben missbrauchen.«

      »Und während er verdaut«, fuhr der Mann mit den Onkeln fort, »melden Sie ihm den Konkurs seines Bankiers.«

      »Und wenn er das übersteht?«

      »So hetzen Sie ein hübsches Mädchen auf ihn!«

      »Wenn er aber ...?« meinte der andere mit einer verneinenden Gebärde.

      »Dann ist es kein Onkel. Die Onkel sind in der Regel lebenslustig.«

      »Die Stimme der Malibran [*Malibran, Maria-Felicia Garcia (1808-1836): seit 1828 gefeierte Opernsängerin in Paris] hat zwei Töne eingebüßt.«

      »Ach, bewahre.«

      »Aber gewiss doch, Monsieur.«

      »Oh, oh! Ja und nein, ist das nicht die Geschichte aller religiösen, politischen und literarischen Abhandlungen? Der Mensch ist ein Schalksnarr, der über Abgründen tanzt!«

      »Nach Ihrer Meinung wäre ich also ein Dummkopf?«

      »Im Gegenteil, Sie verstehen mich bloß nicht.«

      »Bildung, schöner Unsinn! Monsieur Heineffettermach gibt die Zahl der gedruckten Bücher mit mehr als einer Milliarde an, und das Leben eines Menschen erlaubt ihm nicht, 150000 davon zu lesen. Erklären Sie mir also, was das Wort ›Bildung‹ bedeutet? Für die einen besteht die Bildung darin, die Namen des Pferdes von Alexander, der Dogge Berecillo, des Seigneur des Accords zu kennen, und von dem Manne nichts zu wissen, dem wir das Flößen des Holzes oder das Porzellan verdanken. Für die anderen ist ›gebildet sein‹ ein Testament verbrennen und als geachtete, angesehene Leute zu leben, anstatt rückfällig zu werden, eine Uhr zu stehlen und mit den fünf erschwerenden Umständen entehrt und gehasst auf der Place de Grève zu enden.«

      »Wird Nathan überdauern?«

      »Nun, seine Mitarbeiter haben sehr viel Geist.«

      »Und Canalis?«

      »Das ist ein großer Mann, reden wir nicht mehr von ihm.«

      »Ihr seid betrunken!«

      »Die unmittelbare Folge einer Konstitution ist die Verflachung der Geister. Künste, Wissenschaften, Bauwerke, alles wird von einem entsetzlichen Egoismus, der Lepra unserer Zeit, zerfressen. Eure 300 Bürger, die auf Bänken hocken, werden nur daran denken, Pappeln zu pflanzen. Der Despotismus verrichtet illegal große Dinge, die Freiheit macht sich nicht einmal die Mühe, sehr kleine auf legale Weise zu tun.«

      »Eure allgemeine Bildung fabriziert 100-Sous-Stücke aus Menschenfleisch«, unterbrach sie ein Anhänger des Absolutismus. »Die Individualitäten verschwinden bei einem Volk, das durch Bildung nivelliert ist.«

      »Ist es denn aber nicht der Zweck der Gesellschaft, einem jeden den Wohlstand zu verschaffen?« fragte der Saint-Simonist.

      »Wenn Sie 50000 Livres Rente hätten, würden Sie nicht ans Volk denken. Wenn Sie von einer so edlen Leidenschaft für die Menschheit ergriffen sind, gehen Sie nach Madagaskar: dort finden Sie ein ganz neues nettes kleines Volk, was Sie noch saint-simonisieren, klassifizieren, in Glasgefäße sperren können; aber hier hat jeder seine Hülle, in die er ganz natürlich hineinpasst wie ein Pfropf ins Spundloch. Die Portiers sind Portiers, und die Tröpfe sind Tröpfe, ohne erst von einem Bischofskollegium dazu ernannt zu werden. Haha!«

      »Sie Sind Karlist!«

      »Warum nicht? Ich liebe den Despotismus. Er zeugt von einer gewissen Verachtung der menschlichen Rasse. Ich hasse die Könige nicht. Sie sind so spaßig. In einer Kammer auf dem Thron zu sitzen, dreißig Millionen Meilen von der Sonne entfernt, ist das gar nichts?«

      »Fassen wir nun diese große Übersicht über die Zivilisation zusammen«, sagte der Gelehrte, der zur Belehrung des unaufmerksamen Bildhauers ein Gespräch über den Anfang der Gesellschaften und die autochthonen Völker geführt hatte. »Als die Völker sich herausbildeten, war die Macht gewissermaßen materiell, unteilbar und roh; mit der ständig wachsenden Zahl der Menschen haben die Regierungen dann allmählich eine mehr oder weniger geschickte Teilung der ursprünglichen Macht vorgenommen. Im frühen Altertum herrschte die Theokratie; der Priester führte das Schwert und das Weihrauchfass. Später gab es zwei heilige Ämter: den Pontifex und den König. Heute, am Endpunkt der Zivilisation, hat unsere Gesellschaft die Macht den Einflussbereichen gemäß aufgeteilt, und wir haben nun Machtgruppen, die da heißen: Industrie, Gedanke, Geld, Wort. Die Macht, die keine Einheit mehr hat, schreitet unaufhörlich einer sozialen Auflösung entgegen, der nur noch vom Eigennutz eine Schranke gesetzt wird. Demnach stützen wir uns weder mehr auf die Religion noch auf die materielle Gewalt, sondern auf den Verstand. Wiegt das Buch das Schwert auf, das Wort die Tat? Das ist das Problem.«

      »Der Verstand hat alles getötet!« rief der Karlist. »Hören Sie auf, die unbeschränkte Freiheit führt die Völker zum Selbstmord, sie langweilen sich in ihrem Triumph wie ein englischer Millionär.«

      »Was sagen Sie uns Neues? Heutzutage findet man jegliche Macht lächerlich, und das ist ebenso üblich geworden, wie Gott zu leugnen. Man hat keinen Glauben mehr. Darum ist auch das Jahrhundert wie ein alter Sultan der Ausschweifung erlegen. Schließlich hat euer Lord Byron in letzter poetischer Verzweiflung die Leidenschaft des Verbrechens besungen.«

      »Wissen Sie«, antwortete ihm der volltrunkene Bianchon, »dass uns ein Gran Phosphor mehr oder weniger zum Genie oder Bösewicht, zum Mann von Geist oder zum Idioten, zum tugendhaften Menschen oder zum Verbrecher macht?«

      »Kann man so von Tugend reden?« rief Cursy; »der Tugend, dem Gegenstand aller Theaterstücke, der Lösung aller Dramen, dem Fundament aller Gerichtshöfe.«

      »Ach! schweig doch, du Esel! Deine Tugend ist Achilles ohne Ferse!« sagte Bixiou.

      »Wein her!«

      »Willst du wetten, dass ich eine Flasche Champagner in einem Zug austrinke?«

      »Welch ein Zug von Geist!« rief Bixiou.

      »Sie sind blau wie Fuhrknechte«, sagte ein junger Mann, der mit ernster Miene seiner Weste zu trinken gab.

      »Ja, Verehrter, die gegenwärtige Regierung repräsentiert die Kunst, die öffentliche Meinung herrschen zu lassen.«

      »Die öffentliche Meinung? Das ist doch eine ganz lasterhafte käufliche Dirne. Wenn man euch Männern der Moral und Politik zuhört, so müsste man stets eure Gesetze der Natur, die öffentliche Meinung dem Gewissen vorziehen. Geht mir, alles ist wahr, alles ist falsch! Wenn uns die Gesellschaft die Daunen zu Kopfkissen gab, so hat sie diese Wohltat sicherlich durch die Gicht quitt gemacht, so wie sie uns die Prozessordnung zur Einschränkung der Gerechtigkeit und den Schnupfen als Folgeerscheinung des Kaschmirschals gebracht hat.«