war, in der er aber anstandshalber verharrte, und die Erinnerung an seine Aufopferung im Vendémiaire verschafften ihm hohe Protektionen, und zwar gerade deshalb, weil er nichts für sich verlangte. So wurde er zum Bataillonschef bei der Nationalgarde ernannt, obwohl er nicht imstande war, das einfachste Kommando zu geben. Im Jahre 1815 setzte ihn Napoleon, immer noch Birotteaus Feind, ab. Während der Hundert Tage wurde Birotteau die Bête noire der Liberalen in seinem Viertel; denn gerade im Jahre 1815 begannen die politischen Spaltungen innerhalb der Kaufmannschaft, die bis dahin in ihrem Verlangen nach Ruhe, die sie für die Geschäfte brauchte, einhellig gewesen war. Bei der zweiten Restauration musste die königliche Regierung den Munizipalrat umgestalten. Der Präfekt wollte Birotteau zum Bürgermeister ernennen. Dank seiner Frau nahm der Parfümhändler aber nur die Stelle eines Beigeordneten an, wo er weniger der Öffentlichkeit ausgesetzt war. Diese Bescheidenheit erhöhte noch bedeutend die Achtung, die er schon allgemein genoss, und verschaffte ihm die Freundschaft des Bürgermeisters, des Herrn Flamet de la Billardière. Birotteau, der ihn zur Zeit, da die Rosenkönigin als Sammelplatz für die royalistischen Verschwörungen diente, dort hatte verkehren sehen, schlug ihn selbst dem Seinepräfekten vor, der ihn über die zu treffende Wahl konsultiert hatte. Herr und Frau Birotteau wurden auch niemals bei den Einladungen des Bürgermeisters übergangen. Schließlich sammelte Frau Cäsar häufig für die Armen Almosen in Saint-Roch. La Billardière trat warm für Birotteau ein, als es sich darum handelte, die für den Munizipalrat bewilligten Kreuze der Ehrenlegion zu verteilen, indem er seine Verwundung von Saint-Roch, seine Anhänglichkeit an die Bourbonen und die Achtung, die er genoss, hervorhob. Das Ministerium, das verschwenderisch das Kreuz der Ehrenlegion verteilte, um Napoleons Werk zu zerstören, sich gefügige Kreaturen zu schaffen und die verschiedenen Zweige des Handels, die Künstler und die Gelehrten den Bourbonen zu verbinden, setzte daher Birotteau auf die nächste Liste. Diese Auszeichnung, im Verein mit dem Glanz, den Birotteau seinem ganzen Arrondissement verlieh, brachte ihn in eine Lage, in der sich die Gedanken eines Mannes, dem bis dahin alles geglückt war, ins Große versteigen mussten. Die Nachricht von seiner Ernennung, die der Bürgermeister ihm mitgeteilt hatte, gab den letzten entscheidenden Anstoß für den Parfümhändler, sich auf das Spekulationsgeschäft, das er eben seiner Frau auseinandergesetzt hatte, einzulassen, um so schnell als möglich den Ladenhandel aufzugeben und Mitglied der höheren Bourgeoisie von Paris zu werden.
Cäsar war damals vierzig Jahre alt. Das Arbeiten in seiner Fabrik hatte ihm einige frühzeitige Runzeln aufgedrückt und sein langes dichtes Haar leicht übersilbert, in das sich durch den Druck des Hutes ein glänzender Kreis eingeprägt hatte. Seine Stirn, in die das Haar so hineingewachsen war, dass es in fünf Zacken auslief, gab Zeugnis von seiner einfachen Lebensweise. Seine starken Augenbrauen hatten nichts Erschreckendes, denn der klare, immer offene Blick seiner blauen Augen war in Einklang mit seiner ehrlichen Stirn. Seine an der Wurzel eingedrückte, an der Spitze dicke Nase gab ihm das erstaunte Aussehen eines Pariser Maulaffen. Die Lippen waren sehr wulstig, und das große Kinn fiel steil ab. Das kräftig gefärbte Gesicht von viereckigem Umriss wies durch die Verteilung der Runzeln und in seinem ganzen Ausdruck den dummschlauen Typus des Bauern auf. Die Körperstärke, die dicken Glieder, der breite Rücken, die großen Füße, alles verriet den nach Paris verpflanzten Dorfbewohner. Seine breiten, behaarten Hände, seine großen viereckigen Fingernägel hätten seinen Ursprung bezeugt, auch wenn seine ganze Person keinerlei sonstige Anzeichen dafür aufgewiesen hätte. Um seine Lippen spielte das liebenswürdige Lächeln, das die Kaufleute dem Kunden gegenüber immer aufsetzen; aber dieses Kaufmannslächeln war bei ihm der Reflex seiner innerlichen Zufriedenheit und seines weichen Gemüts. Sein Misstrauen machte sich nur bei Geschäften geltend, und wenn er die Börse verließ oder sein Hauptbuch schloss, war seine Verschlagenheit verschwunden. Verdacht war für ihn dasselbe wie das, was auf seinen Fakturen gedruckt stand: eine mit dem Geschäftemachen verbundene Notwendigkeit. Sein Gesicht drückte Sicherheit mit einem gewissen komischen Anflug aus, eine Mischung von Selbstgefälligkeit und Wohlwollen, die es originell erscheinen ließ und verhinderte, dass es allzusehr den platten Gesichtern der Pariser Bourgeois ähnlich sah. Ohne diesen Zug naiver Selbstbewunderung und Glauben an sich hätte er zuviel Respekt eingeflößt; so kam er den übrigen Menschen näher, indem er den ihm zukommenden Anteil am Lächerlichen beisteuerte. Wenn er sprach, kreuzte er gewöhnlich die Hände auf dem Rücken. Wenn er etwas Liebenswürdiges oder Bedeutendes gesagt zu haben glaubte, so erhob er sich unmerklich zweimal auf den Fußspitzen und ließ sich dann schwer auf die Hacken zurückfallen, als wollte er seinen Ausspruch bekräftigen. Auf der Höhe einer Diskussion sah man ihn zuweilen sich plötzlich um sich selbst drehen, einige Schritte machen, als wenn er nach einer Entgegnung suche, und dann mit einer brüsken Bewegung auf seinen Gegner losgehen. Niemals unterbrach er den andern und sah sich oft das Opfer dieser strikten Beobachtung des Schicklichen werden, denn die andern rissen sich die Worte vom Munde, und der arme Mann verließ schließlich den Kampfplatz, ohne dass er ein Wort hatte sagen können. Seine große Erfahrung in geschäftlichen Angelegenheiten hatte bei ihm Gewohnheiten ausgebildet, die von einigen für fixe Ideen gehalten wurden. Wenn ein Wechsel nicht eingelöst wurde, so sandte er ihn an den Gerichtsvollzieher und kümmerte sich nicht weiter darum, bis er Kapital, Zinsen und Kosten empfangen hatte; der Gerichtsvollzieher musste die Sache so lange verfolgen, bis der Kaufmann Konkurs anmeldete; dann unterließ Cäsar jedes weitere Vorgehen, erschien zu keiner Gläubigerversammlung und behielt sich seine Ansprüche vor. Dieses Prinzip und die unerbittliche Verachtung gegen alle Fallierten hatte er von Ragon übernommen, der im Verlaufe seines Geschäftslebens schließlich bei solchen streitigen Sachen so viel Geld verloren hatte, dass er die Aussicht auf eine magere und unsichere Dividende beim Akkorde für reichlich aufgewogen erachtete, wenn er seine Zeit nicht damit verlor, hin und her zu laufen, alle möglichen Schritte zu tun und die Ausreden unredlicher Schuldner nachzuprüfen.
»Wenn der Konkursschuldner ein anständiger Mensch ist und wieder in die Höhe kommt, so wird er Ihnen seine Schulden bezahlen. Wenn ihm das nicht gelingt und er wirklich im Elend ist, wozu ihn quälen? Und ist es ein Schuft, so werden Sie doch nichts erhalten. Ihre strenge Anschauung ist bekannt und man weiß, dass Sie nicht mit sich handeln lassen; da man Ihnen also nichts abdingen kann, solange man noch imstande ist, zu zahlen, so sind Sie derjenige, der sein Geld bekommt.«
Bei einer Verabredung erschien Cäsar zur festgesetzten Stunde, aber zehn Minuten später verschwand er, ohne sich darin jemals irremachen zu lassen; daher bewirkte seine Pünktlichkeit, dass die Leute, die mit ihm zu tun hatten, ebenso pünktlich waren.
Seine Kleidung passte zu seinen Gewohnheiten und seinem Äußeren. Keine Macht der Erde hätte ihn bestimmen können, auf die weißen Musselinkrawatten zu verzichten, deren von seiner Frau oder seiner Tochter gestickte Enden ihm unter dem Kinn herabhingen. Seine rechtwinklig zugeknöpfte Weste aus weißem Pikee ging ziemlich tief über seinen Bauch herunter, der hervortrat, da er etwas zur Fettleibigkeit neigte. Er trug eine blaue Hose, schwarzseidene Strümpfe und Schnürschuhe, deren Schleifen ihm oft aufgingen. Sein stets sehr weiter, olivengrüner Überrock und sein breitrandiger Hut gaben ihm das Aussehen eines Quäkers. Bei den Sonntagsgesellschaften legte er ein seidenes Beinkleid, Schuhe mit goldenen Schnallen und die unvermeidliche rechteckige Weste an, deren Öffnung dann ein plissiertes Jabot sehen ließ. Sein brauner Frack war in breiten Bahnen geschnitten und hatte lange Schöße. Er trug selbst noch im Jahre 1819 zwei parallel herabhängende Uhrketten, legte aber die zweite nur bei der Sonntagstracht an.
So war Cäsar Birotteau beschaffen, ein würdiger Mann, dem die geheimnisvollen Mächte, die über der Geburt der Menschen walten, es versagt hatten, das politische und das bürgerliche Leben in seinem Zusammenhang beurteilen zu können und sich über das soziale Niveau des Mittelstandes zu erheben, und der in allen Dingen den eingewurzelten Irrtümern huldigte; alle seine Ansichten hatte er von andern empfangen und handelte nach ihnen, ohne sie zu prüfen. Blind, aber gut, wenig geistvoll, aber tief religiös, war er ein Mensch mit reinem Herzen. Dieses Herz war ausgefüllt von einer einzigen Liebe, dem Licht und der Kraft seines Lebens; denn sein Wunsch, emporzustreben, das Erwerben seiner wenigen Kenntnisse, alles beruhte auf der hingebenden Liebe für seine Frau und seine Tochter.
Was Frau Konstanze anlangt, so war sie damals siebenunddreißig Jahre alt und glich vollkommen der Venus von Milo, so dass alle, die sie kannten, in ihr das Abbild jener schönen Statue sahen, als der Herzog von Rivière diese nach Paris gebracht hatte. Aber in wenigen Monaten