Dinge lagen unordentlich auf dem gestrichenen Steine des Gesimses vor einem alten, an einem Bindfadenende aufgehängten Spiegel herum. Der sauber gefegte Fliesenboden war an mehreren Stellen abgenutzt, zerbrochen und ausgehöhlt. Vorhänge aus grauem Kaliko mit grünen Fransen am Rande schmückten die beiden Fenster. Alles, bis auf den runden Tisch, auf dem einige Papiere, ein Schreibzeug und Federn herumlagen, alles in diesem einfachen Gemälde, dem die äußerste, von Jacquotte durchgeführte Sauberkeit eine Art Verbesserung aufdrückte, machte den Eindruck eines fast mönchischen Lebens, das den Dingen gegenüber gleichgültig und voll Innerlichkeit war. Eine offene Tür ließ den Major in ein Kabinett sehen, worin der Arzt sich zweifelsohne sehr selten aufhielt. Dieser Raum befand sich in einem fast ähnlichen Zustande wie das Schlafzimmer. Einige staubige Bücher lagen dort auf staubigen Brettern zerstreut, und mit etikettierten Flaschen bestandene Regale ließen erraten, dass die Pharmazie dort mehr Platz einnahm als die Wissenschaft.
»Sie wollen mich fragen, warum ein solcher Unterschied zwischen Ihrem Zimmer und dem meinen besteht?« fuhr Benassis fort. »Sehen Sie, ich habe mich stets für die geschämt, die ihre Gäste unter den Dächern unterbringen, und ihnen Spiegel geben, die einen derartig entstellen, dass man, wenn man hineinschaut, sich entweder für größer oder kleiner, als man ist, oder für krank oder apoplektisch halten kann. Muss man sich nicht bemühen, dass seine Freunde ihre zeitweilige Behausung so angenehm wie möglich finden? Gastfreundschaft scheint mir eine Tugend, ein Glück und ein Luxus zugleich zu sein; doch muss man nicht, von welchem Gesichtspunkt aus man sie auch betrachtet, ohne den Fall auszuschließen, wo sie eine Spekulation ist, für seinen Gast und für seinen Freund alle kleinen Annehmlichkeiten des Lebens aufmarschieren lassen? Bei Ihnen also die schönen Möbel, der warme Teppich, die Draperien, die Standuhr, die Handleuchter und das Nachtlicht; für Sie die Kerze, für Sie Jacquottes Sorgfalt, die Ihnen zweifelsohne neue Pantoffeln, Milch und ihre Wärmflasche gebracht hat. Ich hoffe, Sie werden niemals besser gesessen haben als in dem weichen Sessel, der von dem seligen Pfarrer, ich weiß nicht wo, ausgegraben worden ist. Wahrlich in allen Dingen muss man, um den Vorbildern des Guten, Schönen und Bequemen zu begegnen, seine Zuflucht zur Kirche nehmen. Kurz, ich hoffe, dass Ihnen in Ihrem Zimmer alles gefallen wird. Sie werden dort gute Rasiermesser, ausgezeichnete Seife, und all die kleinen Requisiten finden, die einem sein Zuhause zu etwas so Süßem machen. Doch, mein lieber Monsieur Bluteau, selbst wenn meine Meinung über die Gastfreundschaft nicht bereits den Unterschied erklären würde, der zwischen unsern Zimmern besteht, so werden Sie zweifelsohne die Kahlheit meines Zimmers und die Unordnung in meinem Kabinett sehr gut begreifen, wenn Sie morgen Zeuge des Kommens und Gehens sein werden, das bei mir stattfindet. Vor allem führe ich kein Stubenhockerleben, ich bin immer draußen. Wenn ich im Hause bleibe, kommen die Bauern alle Augenblicke, um mich zu sprechen, ich gehöre ihnen mit Leib, Seele und Zimmer. Kann ich mich um Etikette und um die unvermeidlichen Schäden kümmern, welche die guten Leute unwillkürlich bei mir anrichten könnten? Luxus gehört in Hotels, Schlösser, Damenzimmer und Räume für Freunde. Kurz, ich halte mich hier höchstens zum Schlafen auf, was bedeutet mir also der Tand des Reichtums? Überdies wissen Sie nicht, wie gleichgültig mir alles hienieden ist.«
Sie sagten sich einen freundschaftlichen guten Abend, schüttelten sich herzlich die Hände und legten sich schlafen. Der Major schlummerte nicht ein, ohne sich mehr als einen Gedanken über diesen Mann zu machen, der von Stunde zu Stunde in seinem Geiste größer wurde.
Quer durch Felder
Die Freundschaft, die jeder Reiter zu seinem Tiere hegt, führte Genestas schon frühmorgens in den Stall, und er war zufrieden damit, wie Nicolle sein Pferd gestriegelt hatte.
»Schon aufgestanden, Major Bluteau?« rief Benassis, der seinem Gaste entgegenkam. »Sie sind wirklich ein Soldat, überall hören Sie die Reveille, selbst auf dem Dorfe.«
»Geht's gut?« antwortete ihm Genestas und streckte ihm in einer Regung von Freundschaft die Hand entgegen.
»Mir geht's niemals wirklich gut,« antwortete Benassis in einem halb traurigen und halb frohen Tone.
»Hat der Herr gut geschlafen?« fragte Jacquotte Genestas.
»Donnerwetter! meine Schöne, Sie hatten mir das Bett wie für eine Neuvermählte zurechtgemacht!«
Jacquotte folgte lächelnd ihrem Herrn und dem Offizier. Nachdem sie die beiden sich zu Tisch hatte setzen sehen, sagte sie zu Nicolle:
»Trotzdem ist er ein guter Bursche, der Herr Offizier.
»Will's meinen, er hat mir bereits vierzig Sous geschenkt!«
»Wir wollen damit anfangen, zwei Tote zu besuchen,« sagte Benassis zu seinem Gast, als sie das Esszimmer verließen. »Wiewohl die Ärzte sich selten ihrem angeblichen Opfer gegenübersehen wollen, werd' ich Sie in zwei Häuser führen, wo Sie eine recht seltsame Beobachtung über die menschliche Natur machen können. Dort sollen Sie zwei Bilder sehen, die Ihnen beweisen werden, wie verschieden im Ausdruck ihrer Gefühle Bergbewohner von den Leuten in der Ebene sind. Der unterhalb der Bergspitzen gelegene Teil unseres Bezirks bewahrt Sitten von antiker Färbung, die von fern an die Szenen der Bibel erinnern. Auf der Kette unserer Berge gibt's eine von der Natur gezogene Linie, von der an gerechnet alles sein Aussehen ändert: oben Kraft, unten Gewandtheit; oben starke Gefühle, unten fortwährender Ausgleich mit den Interessen des materiellen Lebens. Bis auf das Tal von Ajou, dessen Nordseite von Schwachsinnigen und dessen Südseite von intelligenten Leuten bewohnt ist, zwei Bevölkerungen, die, nur durch einen Bach getrennt, in jeder Beziehung, in Statur, Gang, Physiognomie, Sitten und Beschäftigungen einander unähnlich sind, habe ich an keiner Stelle diesen Unterschied mehr zutage treten sehen als hier. Diese Tatsache würde die Verwalter eines Landes zu eingehenden lokalen Studien hinsichtlich der Anwendung der Gesetze auf die Massen verpflichten ... Doch die Pferde sind bereit, reiten wir!«
In kurzer Zeit langten die Reiter bei einer Behausung an, die sich in dem Teile des Fleckens befand, der nach den Bergen der Grande-Chartreuse hin lag. Vor der Türe dieses Hauses, das in gutem Zustände war, bemerkten sie einen mit einem schwarzen Tuche bedeckten Sarg, der auf zwei Stühle inmitten von vier Kerzen gesetzt worden war, dann auf einem Schemel ein Kupferbecken, in welchem ein Buchsbaumbüschel in Weihwasser lag. Jeder Vorübergehende trat in den Hof, kniete vor der Leiche nieder, betete ein Vaterunser und sprengte einige Weihwassertropfen auf die Bahre. Oberhalb des schwarzen Tuchs erhoben sich die grünen Büschel eines neben die Türe gepflanzten Jasmins, und in der Höhe des Oberlichts zogen sich die gewundenen Ranken eines schon belaubten Weinstocks hin. Ein junges Mädchen kehrte gerade den Platz vor dem Hause fertig, um dem unbestimmten Bedürfnis nach Schmuck zu gehorchen, den die Zeremonien, selbst die traurigste von allen, einflößen. Der älteste Sohn des Toten, ein junger zweiundzwanzigjähriger Bauer, stand unbeweglich an den Türpfosten gelehnt. In den Augen hatte er Tränen, die rollten, ohne zu fallen, oder die er vielleicht dann und wann heimlich abwischte. Im Moment, da Benassis und Genestas in den Hof traten, nachdem sie ihre Pferde an eine der Pappeln angebunden hatten, die längs einer kleinen Mauer von Brusthöhe standen, von wo aus sie die Szene betrachtet hatten, kam die Witwe in Begleitung einer Frau, die einen vollen Milchtopf trug, aus ihrem Stall.
»Habt Mut, meine arme Pelletier,« sagte diese.
»Ach, meine liebe Frau; wenn man fünfundzwanzig Jahre mit einem Manne zusammengewesen ist, dann ist's sehr hart, voneinander zu gehen!«
Und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Bezahlt Ihr die zwei Sous?« fügte sie nach einer Pause, ihrer Nachbarin die Hand hinhaltend, hinzu.
»Ach, halt, ich vergaß!« sagte die andere Frau und gab ihr Geldstück hin. »Nun, tröstet Euch, liebe Nachbarin. – Ah, da ist Monsieur Benassis.«
»Nun, arme Mutter, geht's besser?« fragte der Arzt.
»Gewiss, mein lieber Herr,« sagte sie weinend, »es muss wohl trotzdem gehen. Ich sage mir, dass mein Mann nicht mehr leidet. Er hat soviel gelitten! – Aber treten Sie doch ein, meine Herrn! – Jacques! Gib den Herren doch Stühle, auf, rühre dich. Bei Gott, geh, du wirst deinen armen Vater nicht wieder aufwecken und wenn du dort auch hundert Jahre stehenbleibst! Und jetzt musst du für