Erich Wimmer

Die Eimannfrau


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die Matten verströmen. Überhaupt ist Alain ein idealer Yogalehrername. Jemandem, der Alain heißt, traue ich von Haus aus mehr indisch-auratische Dehnungskompetenz zu als einem Uwe oder einem Jupp, auch wenn das vollkommen ungerecht ist und sich dem tausendarmigen Klischeemonster verdankt, das mich sicher in seinem Würgegriff hält.

      Dank meines eigenen, beinahe täglichen Morgentrainings halte ich ganz gut mit bei den meisten Figuren. Einzig als es ans Grätschen der Beine geht, sieht man, dass mir die Gebärerfahrung fehlt. Die Frauen spreizen locker viel weiter als ich, wirken aber vereinzelt so angespannt, als versuchten sie noch einmal, hier und jetzt eine weitere Leibesfrucht in die Welt zu pressen.

      «Von wo aus Österreich bist du denn?», fragt mich plötzlich meine Liegenachbarin. Die kleine Neugier in ihrem Blick hat nichts Aufdringliches. Eine milde Mutter, die aus altbewährter Höflichkeit handelt. Sie hat ihr Leben am Wohl anderer ausgerichtet und immer versucht, alles richtig zu machen. Jetzt, zum ersten Mal seit dreißig Jahren, gönnt sie sich wieder einen Vormittag nur für sich selbst. So verständnisvoll, wie sie meine leicht ausgeleierten Hängebacken fokussiert, wird mir klar, dass sie mindestens ein Kind hat, das auch an der Welt zu kauen hat und deshalb im Sozialbereich tätig ist. Außerdem sehe ich in ihrer Aura einen kleinen Hund mit Darmpolypen und eine beste Freundin, die, im Gegensatz zu ihr, den Kampf um die Bikinifigur schon aufgegeben hat.

      «Linz», antworte ich, «das ist so eine mittelgroße Stadt zwischen Salzburg und Wien.»

      «Ich kenne Linz», sagt sie, «ich bin in Wien aufgewachsen und hab dort noch einen Bruder. Und meine Tochter fliegt morgen hin.»

      «Mit dem Flugzeug oder mit dem Besen?»

      «Was bitte?»

      «Ich meine, wie fliegt sie denn? Klassisch oder hexisch?»

      «Hahaha», kichert sie, «du bist ja ein Scherzbold. Ich glaube, sie fliegt mit dem Teppich.»

      «Teppich toppt Besen», gebe ich unumwunden zu, «es geht zwar langsamer, dafür kann man besser sitzen und muss sich nicht so heftig anklammern.»

      «Aber es zieht auch mehr als im Flugzeug», gibt meine Nachbarin zu bedenken. In den nächsten Minuten tuscheln wir leise aber intensiv über die Vor- und Nachteile diverser märchenhafter Flugreisearten. Als wären wir von der Swissair beauftragt worden ihren BOEING-Fuhrpark um billigere, magische Alternativen zu erweitern.

      «Helft mir, bitte!», fleht plötzlich die Frau neben meiner Nachbarin. Sie klammert sich an ihre Yogamatte, die ein paar Zentimeter über dem Saalboden schwebt. Noch während wir verdutzt auf dieses Ereignis blicken und uns fragen, wie und wo wir es einordnen sollen, sinken Matte und Frau wieder sanft zu Boden.

      «Habt ihr das gesehen?», flüstert sie fassungslos in unsere Richtung.

      «Bei euch alles in Ordnung?», hören wir Alains besorgte Stimme.

      «Alles klar», rufe ich zurück.

      «Ihr habt das doch auch gesehen, oder?», wiederholt die Frau unsicher.

      «Das war nur die Lüftung», sagt meine Nachbarin zu ihr. «Die ist hier so stark, dass sie manchmal die Matten wölbt.»

      Dann lässt sie ihre Kollegin im wahren Sinn des Wortes links liegen, wendet sich an mich und lüftet ihr Namensgeheimnis. «Ich heiße Chantal.»

      Sie spricht es wie Schau Tal aus, mit einer erstaunlich langen Pause zwischen den Silben. Eine Aufforderung ins Tal zu schauen habe ich so noch nie bekommen, aber es passt schön in dieses Land, das ja nicht gerade an Talarmut leidet. Auch ich nenne meinen Namen und weise auf die Verwandtschaft mit Kehricht hin, was Schau Tal so zum Lachen bringt, dass sie sich den Mund zuhalten muss. Sie will Alains seespiegelschöne Yoga-Atmosphäre auf keinen Fall noch mehr aufwühlen. Sie will aber auch die Gunst dieser einen Minute melken und aus ganzem Herzen lachen. Wir liegen beide vor der Quadratur des Kreises. Dezenz und Ekstase, Apoll und Dionysos. Schau Tal findet noch etwas Entzückendes, das sie unbedingt gleich loswerden muss.

      «In Linz habe ich auch Verwandte und bin immer froh, wenn ich den österreichischen Slang höre. Das hat sowas … Vertrautes.»

      «Du hast ja in ganz Österreich Verwandte», stelle ich fest. «Vielleicht sagst du mir einfach, wo du keine Verwandten hast. Ich glaube, das würde alles vereinfachen.»

      Sofort muss sich Schau Tal wieder die Hand vor den Mund halten und prusten. Und weil sie zu platzen droht, versuche ich, ihr mit einer Versachlichung entgegenzukommen.

      «Ich habe noch keinen Schweizer kennengelernt, der Linz nicht kennt», wispere ich, weil Alains Geduldsfäden erste Haarrisse bekommen und er schon Blicke in unsere Richtung wirft, die einen Anflug von regulativer Strenge transportieren, «aber ich kenne nur Österreicher, die Langenthal nicht kennen. Wieso ist das so?»

      «Das … das darfst du nicht vergleichen», empfiehlt mir Schau Tal, während sie gleichzeitig mit der Beruhigung ihres Atems ringt, «Linz ist eine der größten österreichischen Städte. Aber Langenthal gehört nicht zu den Schweizer Metropolen.»

      «Welche sind das?»

      «Bern, Basel, Zürich, Genf, Luzern.»

      Schau Tal hat sich jetzt endlich wieder halbwegs im Griff. Mit gutem Gewissen frage ich nach. «Und dort steppt der Bär?»

      «Aber ganz sicher.»

      «Und was geht ab in Langenthal», frage ich flüsternd, «zirpt da wenigstens der Zeisig?»

      Schau Tal muss sich erneut den Mund zuhalten. Mit der anderen Hand gibt sie mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich den meinen endlich halten soll. Sie ist so weichgelacht, dass sie alles lustig findet. Würde ich eine Socke ausziehen und ihr damit winken, müsste Alain wahrscheinlich die Rettung rufen.

       Die Fänger im Gebüsch

      «Achtung, in maximal zwei Minuten kommt eine Frau mit Hund!»

      Pergynti registriert meine Warnung mit einem beiläufigen Nicken und duckt sich ein wenig. Was genau gar nichts bringt. Sollte die Frau wirklich an dieser Stelle des Uferwegs stehenbleiben und ihrem herumschnüffelnden Hund nachgehen, falls er durch den schmalen Streifen aus Haselnussstauden und Fichten trottet, dann sind wir ihrem Blick ausgeliefert. Und ihrem Handy. Und den Fotos, die dieses Handy machen könnte. Und den Betrachtern, denen diese Fotos in den sogenannten sozialen Medien vor Augen kommen. Im letzten Winkel meiner Vorstellungsbühne nimmt sogar schon der Stiftungsrat Platz, um – aus gegebenem Anlass – eine außerordentliche Sitzung abzuhalten. Jemand hat ein Bild vom Stipendiaten gesehen, das, gelinde gesagt, irritierend war. Deshalb die Sitzung und ihre Dringlichkeit.

      «Zieh die verdammte Schnur raus», zische ich ihm leise und eindringlich zu. «Wenigstens vorübergehend. Die beiden kommen immer näher und der Hund ist von der virulenten Sorte. Der verschwindet alle paar Meter im Wald.»

      «Einmal lasse ich ihn noch runter», antwortet Pergynti ignorant, ohne sich nach mir umzublicken. Er hockt auf dem schmalen Sandstreifen des Ufers, so nahe an der Langete, dass seine schwarzen Lederschuhe immer wieder von den Ausläufern der Wellen umspült werden. Aber selbst wenn das kein kaltes Wasser wäre, sondern ein Strom glühend heiße Lava, Pergynti wiche keinen Schritt zurück. Das war schon immer so. Sobald ihn das Fischfieber ergreift, ist er nur noch äußerlich ein wohlbeleibter Hundertkilomann mit Topffrisur. Innerlich hat er längst die Transformation in einen Werwolf vollzogen, von dessen Reißzähnen der Will-haben-Speichel tropft.

      «Blpps», machen der Haken, der Wurm und das Blei, als sie von Pergynti geworfen etwas stromaufwärts in den Wellen landen. Er fischt mit dem Handzeug, einer auf das Wesentliche reduzierten Schwarzfischermethode, die ohne Stange und Rolle auskommt und nur mit Schnur, Haken und Köder operiert. Theoretisch lässt sich dieses Zeugs schnell und rückstandslos verstecken. Aber in der Praxis haben wir uns bei allzu hektischen Abgängen und Fluchten mehr als einmal den offenen Haken durch die Hosentasche in den Oberschenkel gerammt. Und da wir immer mit Widerhaken fischen, kann man das Entfernen eines gut im eigenen Muskelfleisch