Man ahnt wohl, wo das hinführt und wer daran schuld ist.
UNSER LEBENSSTIL ALS JÄGER UND SAMMLER entwickelte sich 500 000 Jahre lang im Gleichgewicht mit der Natur. Ja, Tiere starben wegen Überjagung aus, aber unsere Vorfahren verursachten nie eine globale Katastrophe. Die Erfindung der Landwirtschaft vor 12 000 bis 10 000 Jahren veränderte uns. In gewissem Sinn leben wir seitdem in einem post-agrarischen Stresssyndrom. Wir hatten noch nicht genügend Zeit, eine Strategie zu entwickeln, um mit der Natur und miteinander in Harmonie zu leben. Die neolithische Revolution mit ihrer Möglichkeit, unsere Lebensmittelproduktion zu steigern, war Segen und Fluch zugleich. Sie führte zu einem Bevölkerungsanstieg und zur kritischen Situation von heute.
Ich stelle mir vor, dass irgendwo ein Denkmal für alle abgebrochenen Zweige des Lebensbaums steht: der Saal des Aussterbens. Man muss eine leblose Einöde durchqueren, um dieses imposante, nüchterne und tragische Gebäude ohne Fenster zu finden, ohne Garten, der seine Endgültigkeit erträglicher machen könnte. Ein schauriger Lichtstrahl fällt durch die Kuppel der zentralen Rotunde auf den mit Sand bestreuten Granitboden. Sechs große Tore führen zu Sälen mit Dioramen der Lebensformen, die in den sechs Massenaussterben verschwanden, die das gesamte Leben der Welt in Gefahr brachten.
Noch vor ein paar Jahren kannte man nur fünf Massenaussterben. Daher tragen nur fünf der sechs Säle Namen. Sie sind über den Torbögen eingraviert: Ordovizium, Devon, Perm, Trias, Kreidezeit. Sie erinnern an die gewaltigen chemischen, geologischen und astronomischen Ereignisse, die so viel Tod verursachten. Nun erhält der sechste Saal einen Namen, er wird nach uns getauft: Anthropozän. »Anthropos« ist das griechische Wort für »Mensch«, »zän« das Suffix für »neu«. Wir leben nun offiziell im Zeitalter des durch Menschen verursachten Massenaussterbens.
DIESEN SAAL HEBEN WIR UNS JEDOCH FÜR SPÄTER AUF. Wir stehen erst am Anfang dieser Entdeckungsreise und wir Menschen haben schon oft Hürden überwunden. Erst vor Kurzem vollbrachten wir etwas, was Einstein noch für unmöglich hielt. Er irrte sich, da er unsere Fähigkeiten unterschätzte. Wir sollten nicht dasselbe tun. Einstein verstand den Kosmos als Erster als Ozean aus Raum und Zeit. Er erkannte, dass Materie kleine Wellen durch die Raumzeit schicken kann. 1916 vermutete Einstein, dass weit entfernte, gewaltige Explosionen von Materie im Universum noch viel größere Wellen auslösen könnten – Gravitationswellen.
Hier ist einer der seltenen Fälle, an denen selbst Einsteins Vorstellungskraft scheiterte. Er verneinte rundweg, dass es möglich sei, in einem Versuch die Existenz von Gravitationswellen zu beweisen. Warum nicht? Stellen Sie sich vor, Sie sollten die Breite eines Haares in einer entfernten Galaxie messen. Einstein hielt die Gravitationswellen für zu schwach, als dass sie in den enormen Weiten des Kosmos erfasst werden könnten. Bis sie diese Weiten durchquert hätten, wären sie für uns nicht mehr wahrnehmbar.
Ein Jahrhundert lang bemühten sich theoretische und experimentelle Physiker um einen direkten Beweis für ihre Existenz. Waren sie kleiner als ein Atom, kleiner als ein einziges Teilchen, ein Zehntausendstel des Durchmessers eines einzigen Protons? Wir konnten die Spur zur Quelle zurückverfolgen – der Kollision von zwei Schwarzen Löchern, eine Milliarde Lichtjahre entfernt.
Wissenschaftler begannen 1967 mit einem Projekt, das sie Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium (LIGO) nannten. Sie brauchten ein massives Ereignis, das die Raumzeit störte – wie zwei kollidierende Schwarze Löcher –, und zwei empfindliche Detektoren, die den Zusammenprall eine Milliarde Lichtjahre entfernt registrieren konnten. Die Kollision löste einen Raumzeit-Tsunami aus, der den Raum in alle Richtungen ausdehnte. Die Zeit verlangsamte sich, ehe sie beschleunigte und wieder langsamer wurde.
Für etwas so Schwaches benötigt man wirklich große Ohren, deshalb muss jeder der Detektoren vier Kilometer lang sein. Man braucht zwei davon, um die Gravitationswelle von lokalen Störungen zu unterscheiden. Der zweite Detektor liefert die Bestätigung. Da die beiden Detektoren in Livingston (Louisiana) und Hanford (Washington) auf verschiedenen Seiten des Kontinents liegen, können die Forscher den winzigen Unterschied in der Ankunftszeit der Signale berechnen und so ihre Quelle anvisieren – die eine Milliarde Lichtjahre entfernte Kollision der Schwarzen Löcher.
Wie die Welle auf dem Meer wird auch die Gravitationswelle auf ihrer Reise gestreut. Als Einstein vor 100 Jahren seine revolutionäre Idee hatte, war diese Gravitationswelle noch 100 Lichtjahre von der Erde entfernt und umspülte sanft den Gelben Zwerg HD 37124 und seine Planeten und Monde in unserer eigenen Galaxie. Ob es in diesen Welten jemanden gab, der sie bemerkte?
In dieser künstlerischen Darstellung kollidieren zwei Schwarze Löcher. Vor 1,1 Milliarden Jahren löste eine solche Kollision eine Gravitationswelle aus, die die LIGO-Observatorien 2015 registrierten. Das neue Schwarze Loch hat die 20-fache Masse der Sonne.
Als die Gravitationswelle auf die LIGO-Detektoren traf, war der kosmische Tsunami zu einem Hauch abgeflaut. Nur ein leises Zirpen, aber genug, um ihre Existenz zu belegen und den ersten direkten Beweis für Schwarze Löcher zu erbringen. Die leitenden Wissenschaftler des Projekts erhielten 2017 den Physik-Nobelpreis.
Dieses fast 50 Jahre dauernde, äußerst ambitiöse wissenschaftliche Vorhaben und seine Generationen übergreifende Dauer erinnern mich an den Bau der gigantischen Kathedralen in der Vergangenheit. Sie symbolisieren eine Selbstlosigkeit im Dienste der Menschheit, die mich hoffen lässt.
Das Projekt Breakthrough Starshot plant, ultraleichte Kleinstsonden mit einer Geschwindigkeit von über 160 Millionen Stundenkilometern in nur 20 Jahren zu Proxima Centauri zu schicken, dem erdnächsten Stern außerhalb unseres Sonnensystems.
WÄHREND ICH HIER SCHREIBE, arbeiten Forscher und Ingenieure an Breakthrough Starshot, der ersten Erkundungsmission der Menschen zum nächsten Stern, deren Ende sie vermutlich nicht erleben werden.
In etwa 20 Jahren wird eine Armada von 1000 interstellaren Sonden von der Erde aufbrechen. Angetrieben von Laserlicht, das sie mit Segeln auffangen, werden sie nur ein Gramm wiegen und nur erbsengroß sein. Doch sie werden alles haben, was auch unsere ersten interstellaren Sonden, die Voyagers, an Bord hatten – und viel mehr. Jede Nanosonde wird in den Welten eines anderen Sterns erste Erkundungen ausführen und diese visuellen und wissenschaftlichen Informationen zur Erde senden können.
Voyager 1 ist seit über 40 Jahren mit der beeindruckenden Geschwindigkeit von 61 000 Stundenkilometern unterwegs. Dies erreichte sie durch ein Gravitationsmanöver am Jupiter, an dem sie im ersten Jahr ihrer Odyssee vorbeiflog. Aber im Maßstab einer Galaxie reicht das nicht. Schnell, doch viel zu langsam, um irgendwohin zu kommen.
Die Nanosonden von Starshot werden die Voyagers in nur vier Tagen überholen. Erstaunlich, ja, aber Starshot erreicht nur 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Die Sterne liegen sehr weit auseinander. Der nächste, Proxima Centauri, ist vier Lichtjahre entfernt. Das entspricht einer Reisedauer von 20 Jahren. Im System von Proxima Centauri gibt es eine Welt in der habitablen Zone, womöglich mit Wasser und Leben. Es könnte noch mehr bisher unentdeckte Welten in diesem System geben. Unsere Robotergesandten werden uns ihre Reiseberichte in Funkwellen mit Lichtgeschwindigkeit von diesen Welten schicken. Diese werden vier Jahre benötigen, um uns zu erreichen. Was werden sie uns in etwas über 40 Jahren offenbaren?
Einige von uns werden diese neuen Seiten im Buch der Natur noch lesen.
Von der Blombos-Höhle zum Ritt auf dem Sternenlicht in nur wenigen Minuten des Kosmischen Kalenders: Wir befinden uns tatsächlich an einem kritischen Scheideweg unserer Geschichte. Aber es ist nicht zu spät. Wir haben bewiesen, dass wir die Hoffnungen unserer größten Denker übertreffen können. Die vergangenen und zukünftigen anderen Welten, die wir besuchen, und die Geschichten