Jim Kendall reißt Wesleys Arm nach unten. Wesleys Ellbogen knallt auf die Tischplatte. Augenblicklich öffnet er die Finger, und dann poltert der Colt zu Boden.
»Was bin ich, du hinterlistiger Halunke?«, fragt Kendall mit einem grimmigen Fauchen. »Du nennst mich einen Strolch, Mensch, du bedrohst mich mit deinem Revolver? Warte, dir bringe ich bei, mich wie einen Narren zu behandeln. Raus da hinten!«
Er packt Wesley am Kragen. Während er sich über die Tischplatte beugt und Wesley hochreißen will, schlägt der mit der linken Faust zu. Der Hieb des stämmigen Mannes trifft Kendalls rechtes Auge. Es ist ein Schmerz, der Kendall rasend vor Zorn werden lässt. Ohne noch ein Wort zu sagen, schleudert Kendall nun den Tisch zur Seite. Im nächsten Augenblick schon ist Wesley frei und nutzt die Gelegenheit, sich abzustoßen und auf Kendall zu werfen.
»Er bringt ihn um«, keucht Moore draußen entsetzt. »Der Narr Wesley, warum hat er nur geschossen?«
Im Office erschallt Wesleys schrilles, wütendes Geschrei. Wesley keilt wie wild aus. Seine Arme sausen wie Windmühlenflügel durch die Luft. Dann sieht er die Faust durch das Umherzucken seiner Arme heranschießen und schreit nicht mehr. Der Haken Kendalls erwischt Wesley am Kinn und hebt ihn hoch. Er saust rücklings auf das Fenster zu. Das Fensterbrett stoppt seinen Flug einen winzigen Augenblick, bis Wesley das Übergewicht verliert. Er stürzt rücklings über das Brett und landet draußen vor dem Haus.
Halb benommen will Wesley sich aufstemmen, als er über sich Kendalls Schatten auftauchen sieht. Augenblicklich zieht Wesley die Beine an. Er tritt aus, und es gelingt ihm, Kendalls rechtes Bein zu treffen. Kendall stürzt schwer hin. Ehe er auf die Beine kommen kann, hat Wesley neben sich gegriffen. An der Hauswand lehnen einige Kistenbretter. Wesley packt eins, holt aus und schlägt zu.
Im gleichen Moment wirft Kendall sich zur Seite. Das dicke Kistenbrett trifft den Sand neben Kendall und jagt eine Staubwolke hoch. Kendalls Zurückrollen kommt schnell genug, um das Brett gegen den Boden zu pressen. Wesley kann es nicht mehr hochschwingen und noch einmal zuschlagen. Stattdessen tritt Wesley noch einmal zu. Diesmal aber hat er kein Glück. Kendall weicht aus, packt Wesleys linkes Bein und dreht.
Über den Hof gellt Wesleys kreischender Schmerzschrei. Um nicht den Fuß ausgedreht zu bekommen, muss Wesley sich herumwerfen. Er fliegt auf den Bauch. Zwar reißt er noch seinen rechten Hacken hoch, doch Kendall landet trotzdem auf seinem Rücken und packt ihn nun richtig.
»Du hinterhältiger Bursche«, knirscht Kendall voller Zorn. »Treten kannst du. Das ist deine Art zu kämpfen, was? Jetzt pass auf, so kämpfe ich.«
Er reißt Wesley hoch und beginnt sich zu drehen. Vergeblich bemüht sich der kreischende Wesley, mit nach hinten greifenden Händen irgendwo an Kendalls Rockärmeln einen Halt zu finden. Es ist umsonst. Um Wesley dreht sich der Hof immer schneller, bis Kendall ihn jäh loslässt. Brüllend fliegt Wesley mehrere Schritte weit. Er landet im hochpuffenden Staub an der Rampe des Verladeschuppens neben dem Haus.
Keuchend und fluchend zieht Wesley sich an der Rampenkante hoch.
»Du wirst das büßen!«, schreit Wesley gehässig. »Deine Station kannst du dir in den Mond schreiben, Kendall, das verspreche ich dir. Achttausend Dollar hast du haben wollen, aber du bekommst sie nie, sage ich. Du willst selbstständiger Handelsagent mit einem Vertrag der Overland werden? Niemals, solange ich etwas zu sagen habe. Du fliegst so schnell hier heraus, dass dir …«
Kendall nimmt die Arme herunter und macht zwei Schritte auf den Trog zu. Augenblicklich stellte Wesley sein gehässiges Geheul ein und krümmt sich angstvoll.
»Dir reicht es noch nicht, was?«, erkundigt Kendall sich finster. »Nun, die achttausend Dollar bekomme ich schon, du kannst Gift darauf nehmen, Mister. Irgendwoher treibe ich das Geld auf. Einer von uns beiden ist auf die Dauer hier zu viel, denke ich. Je eher ich das Geld habe, umso schneller kann ich mich auf eigene Füße stellen. Warte, dir zeige ich …«
»Kendall!«
Der scharfe, grollende Ruf lässt Kendall stehen bleiben. Langsam wendet Jim sich um.
Er sieht Roy Spalding auf seinem großen knochigen Wallach am Tor halten.
Spalding hat die Hand am Revolver. Er ist bereit, jeden weiteren Streit zu verhüten.
Mit einem Hackenschlag treibt Spalding sein Pferd an.
»Kendall, Wesley, was ist los?«
»Er hat mich angegriffen«, geifert Wesley und krabbelt fluchend aus dem Trog. »Er hat …«
»Er lügt«, meldet Moore sich scharfzüngig. »Mr Spalding, ich habe alles gesehen. Er hat Jim mit dem Colt bedroht und geschossen.«
Spalding runzelt finster die Brauen. Dann steigt er ab, wirft einem der Männer die Zügel zu und deutet auf das Office.
»Beide hinein und absoluter Friede«, sagt er scharf. »Wir werden sehen, was hier passiert ist. Geht an die Arbeit, Leute. Die Sache ist vorbei.«
»Für mich nicht«, giftet Wesley. »Wenn Sie mir keine Genugtuung verschaffen, Mr Spalding, beschwere ich mich in Salt Lake City bei …«
»Wesley, seien Sie ruhig«, knurrt Spalding gereizt. »Gehen Sie beide ins Haus, vorwärts.«
Er wird keinem etwas tun, denkt Moore bitter. Spalding ist ein gutmütiger Mann, der immer den Ausgleich sucht. Er braucht Wesley, aber mehr noch hat er Jims unersetzbare Erfahrungen nötig. Es wird mit einer Menge Worten ausgehen. Recht bekommt Jim nicht.
Genauso kommt es!
*
Wesleys Gesicht sieht nun aus, als hätte er die Beulenpest. Schwellungen zeichnen sich rot an Kinnwinkel, Mund und Wangenbögen ab. Der stechende, scharfe Blick John Wesleys wandert zu Roy Spalding hinüber.
»Mr Spalding, ich – ich hatte es vergessen«, sagt er, und niemand ist sicherer als Kendall, dass Wesley glattzüngig lügt. »Zuerst nahm ich an, dass Sie, als Sie Van Buren besuchten, Geld dagelassen hätten. Und dann vergaß ich die Sache. Meine Arbeit, die neuen Listen und Kundenbücher.«
»Schon gut«, erwidert Spalding finster. »Haben Sie Kendall von diesem Vergessen berichtet, Mr Wesley?«
»Ich – ich sah keinen Grund. Er ist nicht mein Vorgesetzter«, murrt Wesley. »Zudem war es mir peinlich, mein Vergessen einzugestehen. Wo kommen wir hin, wenn jeder Mann ankommen und mir Vorschriften machen kann.«
Spaldings hageres, von Falten durchzogenes Gesicht zuckt einmal. Kendall weiß genau, dass Spalding einige Dinge an Wesley nicht gefallen. Jedoch ist Wesley mit einem der Bosse der Overland aus Saint Louis verwandt. Der Mann lässt nie eine Gelegenheit aus, um mit seiner Verwandtschaft zu protzen. Wesleys Verbindungen reichen auch nach Salt Lake City zum Hauptquartier der Overland. Er ist von dort aus hergeschickt worden, um alle Geldangelegenheiten der Overland zu regeln. Diese Vormachtstellung nutzt Wesley bei jeder Gelegenheit aus. Er macht in Gelddingen auch Spalding etwas vor. Spalding hat sich vom einfachen Kolonnenboss zum Leiter der Overland in Nevada hochgearbeitet. Aber er kennt sich mit den Geldangelegenheiten nicht gut genug aus.
»Kendall ist nicht irgendwer, nicht irgendein Mann«, brummt Spalding, der selbst jedem Streit aus dem Weg geht. Spalding versucht immer erst zu vermitteln, ehe er sich zu einem harten Entschluss durchringt. »Wesley, Sie wissen verdammt genau, dass Kendall unser bester Mann von Salt Lake City bis nach San Franzisko ist. Niemand kennt dieses Land wie er. Sie hätten Ihren Colt nicht auf ihn richten sollen.«
»Ich hätte nicht geschossen, aber seine Unverschämtheiten …«
»Hören wir davon auf«, schneidet Spalding ihm das Wort ab. »Die zwei wichtigsten Leute der Nevada Overland prügeln sich vor allen Leuten, der Teufel soll das holen. Kendall, ich hätte Sie für klüger und besonnener gehalten, verstanden? Ich liebe solche Sachen nicht, ist das klar, in Zukunft kommen Sie zu mir, ehe Sie jemand angreifen. Schon gut, ich will nichts mehr hören. Zuerst kommt hier die Arbeit, und damit Sie sich beide beruhigen können, werde ich Sie einige Zeit trennen. Kendall, Sie leiten den morgigen Transport nach Salt Lake City. Die Listen werden