Doch dazu reicht es nicht mehr. Schrill wiehernd gehen die Pferde an.
Allmächtiger, denkt Kendall noch verstört. Wenn der Wagen umkippt, schlagen uns die Kisten tot.
Eine Sekunde später sieht er den Busch am Hang und den Feuerblitz. Er macht den dunklen Schatten des Banditen dort aus. So gut er kann, lehnt er sich gegen die Kastenseite und nimmt die Waffe hoch. Gleichzeitig kommt der schwere dröhnende Schlag, mit dem das Mittelstück des Wagens einen winzigen Augenblick die Hangkante streift. Aus dem Gewehr des Burschen hinter dem Busch bricht die nächste Feuerlanze. Kendall spürt, wie sich der Wagen neigt. Er sieht verschwommen, wie tief es hier ins Tal hinabgeht. Dann sind sie auf dem Hang. Moore, der wie ein Teufel fahren kann, lässt die Leinen locker.
Du großer Gott, schießt es Kendall durch den Kopf, das wird eine Fahrt in die Hölle. Verdammt, der Kerl da hinter dem Busch …
Der Bandit sieht nun den Wagen kommen. Er steht auf, reißt das Gewehr hoch und legt auf die Pferde an. Im selben Moment aber hat auch Kendall die Waffe an der Schulter.
Es reicht bei den fürchterlichen schaukelnden und schwankenden Bewegungen des Wagens nur zu einem Schnappschuss Kendalls. Der Schuss fährt heraus. Kendall blickt auf den Feuerblitz des Banditengewehres. Er spürt einen heftigen Schlag an die Rippen. Seine linke Seite wird von irgendetwas getroffen, und er kann nicht sagen, ob das Geschoß von hinten oder unten gekommen ist. Dafür sieht er, wie seine Kugel den Banditen trifft. Der Mann verliert sein Gewehr im Hinstürzen. Er kracht auf die kleinen Steine des Hangs. Der Busch bietet ihm nun keine Deckung mehr.
Augenscheinlich hat Kendalls Kugel den Banditen in der Hüfte oder dem rechten Oberschenkel erwischt. Der Bursche fasst im Wegkollern nach einer Seite. Dann rollt er bis an den nächsten Busch, bleibt liegen und stiert dem herabrasenden Wagen entgegen.
Noch ist der schwere Wagen nicht allzu schnell. Aber seine Geschwindigkeit vergrößert sich von Sekunde zu Sekunde. Die Hölle wird kommen, sobald sie weiter unten sind. Dort liegen bereits größere Steine.
Kendall hört, wie Blyton am Endbrett flucht und feuert. Seine ganze Aufmerksamkeit aber konzentriert sich nun auf den Banditen. Er sieht von diesem Gesicht nur ein Drittel, weil der Bandit Hut und Halstuch trägt. Es kommt Kendall vor, als schrie der Mann unter seinem Tuch. Der Bandit beginnt jetzt zu kriechen. Der Wagen aber rast auf ihn zu. Moore kann nicht lenken, er muss die Pferde laufen Lassen.
Mit unwillkürlichem Frösteln sieht Kendall, wie der Bandit verzweifelt versucht, aus der Bahn des Wagens zu kommen. Wie ein Irrer stemmt sich der Rustler ab, aber das Geröll gibt nun nach. Der Mann beginnt zu rutschen, und der Wagen rast heran. Kendall hört durch die wilde Schießerei, wie der Bandit gellend schreit, je näher ihm der Wagen kommt. Das schwere Gefährt ist nun so schnell geworden, dass nichts und niemand es noch aufhalten könnte. Es ist auch nicht aus der Bahn zu bringen. Die fürchterlichen und durchdringenden Schreie des Banditen gehen im Knattern und Tosen der Wagenräder unter. Die Pferde wiehern, dann sind sie über dem Mann. Und danach kommt es Kendall vor, als ging ein leichtes Rucken durch den Wagen.
Der Bandit schreit nicht mehr.
»Joe, schräg lenken. Schräg!«, brüllt Kendall. »Joe, die Leinen rechts anziehen, wir rasen mitten in die Steine.«
Erst in diesem Augenblick erkennt Kendall, dass Joe Moore sich tiefer hingekauert hat. Moore sieht gar nicht mehr über den Kastenrand hinweg.
Als sich Kendall nach links wirft und Moores Kopf sieht, weiß er genug. Moores Kopf ist an der linken Seite voller Blut.
Mein Gott, er ist tot, denkt Kendall entsetzt.
Er wirft sich vor Moore gegen das Kastenbrett und reißt die Leinen an sich. Dann zieht er sie sofort rechts an. Hinter ihm feuert Blyton noch zweimal, das nimmt Kendall im Unterbewusstsein wahr. Er muss nun versuchen, den Wagen mehr nach rechts zu bekommen. Es gelingt ihm auch kurz vor den ersten Felsblöcken in der Taltiefe. Wie ein Spuk ziehen die Felsen hart am linken Vorderrad vorbei. Einen schrecklichen Augenblick stellt sich der Wagen in irgendeiner Rinne auf zwei Räder. Er droht nach links umzustürzen. Kendall wirft sich gegen die rechte Wagenkastenwand. Vielleicht ist es sein Gewicht, das den Wagen auf alle vier Räder zurückkrachen lässt.
Im nächsten Moment tauchen vor Kendall größere Brocken auf. Hier liegen Hunderte von Felsstücken. Stechend und kaum auf den Schmerz an den Rippen achtend, bringt Kendall den Wagen schleudernd um die ersten Brocken. Er muss nach der Peitsche greifen. Die Pferde gehen durch. Soll der Wagen nicht an einem der Felsbrocken zerschellen, muss Kendall die Tiere mit Hilfe der Peitsche lenken.
Die Höllenfahrt des Transporters über schroffes Gestein beginnt. Der Wagen wird durchgerüttelt, während von der Hanghöhe der Sand im dichten Schwall herabgeblasen wird.
Plötzlich hört Kendall ein Stöhnen links neben sich. Er wagt es, blitzschnell nach Moore zu sehen. Joe rührt sich zu seinem Erstaunen. Der untersetzte stämmige Joe Moore sagt irgendetwas. Dann zieht er sich hoch und kniet.
»Mein Kopf – kann nicht sehen blind – blind …«
»Joe! Joe, ich bin hier!«, schreit Kendall ihm zu. »Joe, wir sind ihnen entwischt, hörst du? Nicht aufstehen. Bleib unten, Alter.«
Moore fährt sich jetzt mit dem Rockärmel über das von Blut übergossene Gesicht. Augenblicke später rast der Wagen über den Hang und mitten in das weite, sanft gewellte Tal hinein. Hier tobt der Sturm so hart, dass die Pferde kaum den Wagen ziehen können. Schwer stemmen sie sich in den Sielen und fallen in Schritt.
Kendall begreift kaum, dass sie aus dem klippenreichen Grund der Schlucht herausgekommen sind. Er hört Moore fluchen und sieht ihn hochkommen.
»Ich sehe etwas«, keucht Joe Moore. Er hat sein Halstuch um den Kopf gewunden und den Hut fest darüber gepresst. »Jim – wo – wo sind wir?«
»Im offenen Tal«, erwidert Kendall. Er muss brüllen, um sich verständigen zu können. »Joe, sieh nach Blyton, wenn du kannst. Es muss ihn erwischt haben. Er meldet sich nicht mehr. Was macht dein Kopf?«
»Schmerzen – verrückte Schmerzen«, lallt Moore. Seine Zähigkeit ist so groß, dass er nach hinten kriechen kann. Dort beugt er sich über Blyton. Als er zurückkehrt, klingt seine Stimme wie geborsten: »Er ist tot, Jim.«
»Großer Gott«, stößt Kendall durch die Zähne. »Geh wieder nach hinten, sieh dich um. Ich muss versuchen, auf das Humboldt Plateau zu kommen. Wenn ich es schaffe, könnten wir den Burschen entwischen, Joe.«
Joe Moore ist eisenhart, aber er kann die rasenden Schmerzen kaum ertragen. Sie gehen von seinem Kopf aus und pflanzen sich über den Nacken fort. In seinem Rückgrat enden sie schließlich. Dem alten Joe ist so schlecht wie nie zuvor in seinem Leben. Er sieht ab und zu auf nächste Entfernung das Endbrett verschwimmen. Manchmal scheint sich alles um ihn zu drehen. Keuchend sucht er nach seiner Brandyflasche. Nach einigen Schlucken wird ihm etwas besser. Er hört Jim schreien und kriecht zum Bock zurück. Über ihm knattert und peitscht die Plane gegen die Rundbögen, als wolle sie der Sturm zerfetzen.
»Was ist, Jim?«
»Joe, kannst du gut sehen?«
»Ja, besser jetzt. Wenn nur die verfluchten Schmerzen nicht wären. Mir platzt der Schädel, Jim. Hinter uns ist nichts.«
»Noch nicht«, antwortet Kendall düster, »es wird aber nicht lange dauern, dann kommen sie uns nach. Auf den Steinen im Tal haben sie unsere Wagenspur nicht sehen können. Sie werden eine Weile suchen müssen, vielleicht zehn Minuten, bis sie wissen, wohin wir gefahren sind. Die Wagenfährte weht auch bei diesem Sturm erst nach drei Stunden vollständig zu. Joe, unsere einzige Chance ist das Plateau, dort ist nichts als nackter Fels. Schaffst du es, ein paar Kisten über Bord zu werfen? Der Wagen muss leichter werden. Die Pferde haben zu schwer zu ziehen. Außerdem scheint der linke Gaul etwas abbekommen zu haben.«
»Kisten, runterwerfen? Kann ich sicher.«
»Gut, aber nur die mit den geraden Nummern, Joe, nur die. Keine mit einer ungeraden Nummer, verstanden?«
»Warum, Jim?«
»Weil