mitteilen wollte, was ihm Vergnügen gemacht hatte, und veranlaßte ihn durch Fragen zum Erzählen. Und mit eben jenem selbstzufriedenen Lächeln berichtete er von den Ehrungen, die ihm infolge der Durchsetzung jener Maßregel dargebracht worden waren.
»Ich habe mich sehr, sehr gefreut. Es ist dies ein Beweis dafür, daß endlich auch bei uns feste, vernünftige Ansichten auf diesem Gebiete zur Herrschaft gelangen.«
Nachdem Alexei Alexandrowitsch sein zweites Glas Tee mit Sahne getrunken und etwas Brot dazu gegessen hatte, stand er auf und schickte sich an, in sein Arbeitszimmer zu gehen.
»Und du bist heute abend gar nicht aus gewesen? Da hast du dich gewiß recht gelangweilt?« fragte er.
»O nein!« antwortete sie. Sie war nach ihm gleichfalls aufgestanden und begleitete ihn durch den Saal zu seinem Zimmer. »Was liest du denn jetzt?« fragte sie.
»Ich lese jetzt Duc de Lilie: Poésie des enfers«, erwiderte er. »Ein sehr merkwürdiges Buch.«
Anna lächelte, wie man eben zu den Schwächen geliebter Menschen lächelt, und begleitete ihn, indem sie ihren Arm unter den seinigen schob, bis an die Tür seines Arbeitszimmers. Sie kannte seine ihm zum Bedürfnis gewordene Gewohnheit, abends zu lesen. Sie wußte, daß er, obwohl seine amtlichen Obliegenheiten fast seine gesamte Zeit in Anspruch nahmen, es dennoch für seine Pflicht hielt, alle bemerkenswerten Erscheinungen auf geistigem Gebiete zu verfolgen. Sie wußte auch, daß nur politische, philosophische und theologische Bücher ihn wirklich interessierten, die Kunst dagegen ihm nach seinem ganzen Wesen völlig fern lag, daß aber Alexei Alexandrowitsch trotzdem oder vielmehr gerade deshalb auch auf diesem Gebiete nichts unbeachtet ließ, was Aufsehen erregte, und es für seine Pflicht hielt, alles zu lesen. Sie wußte, daß er auf dem Gebiete der Politik, Philosophie und Theologie seine Zweifel hatte oder die Wahrheit noch zu ergründen suchte, aber in Fragen der Kunst und der Poesie, ganz besonders aber der Musik, für die ihm jedes Verständnis abging, ganz bestimmte feste Ansichten besaß. Er sprach gern von Shakespeare, von Raffael, von Beethoven und von dem Werte der neueren Richtungen in der Poesie und Musik und hatte über all dies sehr klare, festgelegte Gedankengänge im Kopfe.
»Nun, Gott mit dir!« sagte sie an der Tür des Arbeitszimmers, in dem für ihn bei seinem Lehnstuhl bereits eine Kerze mit einem Lichtschirm und eine Karaffe mit Wasser bereit standen. »Ich will noch nach Moskau schreiben.«
Er drückte ihr die Hand und küßte sie ihr nochmals.
›Und trotz allem ist er ein braver, aufrichtiger, gutherziger und in seinem Wirkungskreise bedeutender Mann‹, sagte Anna zu sich selbst, nachdem sie in ihr Zimmer zurückgekehrt war, als ob sie ihn gegen jemand verteidigte, der ihn angeschuldigt und behauptet hätte, man könne ihn nicht lieben. ›Aber daß ihm die Ohren so sonderbar vom Kopfe abstehen! Oder hat er sich vielleicht das Haar schneiden lassen?‹
Punkt zwölf Uhr – Anna saß noch an ihrem Schreibtische und beendete ihren Brief an Dolly – ließen sich gleichmäßige Schritte in Pantoffeln vernehmen, und Alexei Alexandrowitsch trat zu ihr herein, gewaschen und gekämmt, das Buch unter dem Arm.
»Es ist Zeit, es ist Zeit«, sagte er mit einem besonderen Lächeln und begab sich in das Schlafzimmer.
›Und was für ein Recht hatte er denn, ihn so anzusehen?‹ dachte Anna bei der Erinnerung an den Blick, mit dem Wronski ihren Mann betrachtet hatte.
Sie kleidete sich aus und ging in das Schlafzimmer; aber von jener Lebhaftigkeit, die während ihres Aufenthaltes in Moskau nur so aus ihren Augen gesprüht, aus ihrem Lächeln hervorgeleuchtet hatte, war jetzt auf ihrem Gesichte nichts zu entdecken; vielmehr schien jetzt jenes Feuer in ihrem Inneren entweder erloschen zu sein oder sich irgendwo tief unten versteckt zu haben.
34
Bei seiner Abreise von Petersburg hatte Wronski seine Wohnung in der Morskaja-Straße seinem guten Freunde und lieben Kameraden Petrizki überlassen.
Petrizki war ein junger Leutnant aus nicht besonders vornehmer Familie; er war nicht nur ohne Vermögen, sondern steckte sogar bis über die Ohren in Schulden, abends war er stets betrunken und hatte schon oft wegen allerlei teils lächerlicher, teils unsauberer Geschichten Arrest gehabt. Aber trotzdem war er bei seinen Kameraden sowie bei seinen Vorgesetzten beliebt. Als Wronski um zwölf Uhr, vom Bahnhof kommend, an seiner Wohnung vorfuhr, sah er vor der Haustür eine ihm wohlbekannte Mietskutsche stehen. Als er noch vor der Vorsaaltür war, hörte er auf sein Klingeln ein helles Gelächter von Männern, das Schwatzen einer Frauenstimme und das laute Geschrei Petrizkis: »Wenn es einer von den Halunken ist, so laß ihn nicht herein!« Wronski verbot dem öffnenden Burschen, ihn zu melden, und trat leise in das erste Zimmer. Die Baronin Chilton, Petrizkis Freundin, ein Dämchen mit frischem Gesicht und blondem Haar, saß in einem schimmernden lila Atlaskleide an einem runden Tische, kochte Kaffee und erfüllte wie ein Kanarienvogel das ganze Zimmer mit ihrem Pariser Geplapper. Neben ihr saßen Petrizki im Mantel und der Rittmeister Kamerowski, der wahrscheinlich eben erst vom Dienst gekommen war, in voller Uniform.
»Hurra, Wronski!« schrie Petrizki und sprang auf, indem er den Stuhl mit Gepolter zurückstieß. »Der Hausherr in eigener Person! Baronin, geben Sie ihm eine Tasse Kaffee aus der neuen Maschine! Das ist einmal unvermutet! Ich hoffe, du bist mit der Verschönerung deines Zimmers zufrieden«, fuhr er, auf die Baronin deutend, fort. »Die Herrschaften kennen sich doch?«
»Aber gewiß doch!« erwiderte Wronski, vergnügt lächelnd, und drückte der Baronin das kleine Händchen. »Natürlich! Wir sind alte Freunde.«
»Sie kommen von der Reise nach Hause?« sagte die Baronin. »Da will ich mich davonmachen. Ich gehe augenblicklich, wenn ich störe.«
»Wo Sie sich befinden, Baronin, da sind Sie auch zu Hause«, versetzte Wronski. »Guten Tag, Kamerowski«, fügte er hinzu und gab ihm kühl die Hand.
»Sehen Sie wohl, so hübsche Sachen zu sagen, das verstehen Sie niemals«, wandte sich die Baronin an Petrizki.
»Nanu! Wieso denn nicht? Nach einem guten Diner rede ich ebenso gut.«
»Ja, nach einem Diner ist das kein Verdienst! Nun, dann will ich Ihnen Kaffee eingießen; Sie können ja inzwischen gehen und sich waschen und Toilette machen«, sagte die Baronin, setzte sich wieder hin und drehte achtsam den Hahn an der neuen Kaffeemaschine. »Pierre, reichen Sie einmal den Kaffee her!« wandte sie sich an Petrizki, den sie wegen seines Familiennamens Petrizki zu ihrer Bequemlichkeit Pierre nannte, ohne aus ihren Beziehungen zu ihm ein Hehl zu machen. »Ich will noch zuschütten.«
»Sie werden ihn verderben!«
»Unbesorgt! Nun, und wie steht's mit Ihrer Frau?« fragte die Baronin plötzlich, indem sie Wronskis Gespräch mit seinem Kameraden unterbrach. »Wir haben Sie hier verheiratet. Haben Sie Ihre Frau mit nach Petersburg gebracht?«
»Nein, Baronin. Ich bin als Hagestolz und Vagabund geboren und werde auch so sterben!«
»Das ist recht, das ist recht! Geben Sie mir Ihre Hand!«
Und ohne Wronski loszulassen, begann sie, ihm unter unaufhörlichen Scherzen und Späßen ihre neuesten Lebenspläne zu entwickeln und ihn um Rat zu fragen.
»Er will immer noch nicht in die Scheidung willigen! Also was soll ich nun machen?« (Dieser Er war ihr Mann.) »Ich will jetzt einen Prozeß anstrengen. Was raten Sie mir? Kamerowski, passen Sie doch auf den Kaffee auf! Er kocht ja über! Sie sehen doch, daß ich mit ernsten Dingen beschäftigt bin! Ich möchte einen Prozeß anfangen, weil ich mein Vermögen für mich allein haben will. Können Sie eine solche Dummheit begreifen: mit der Begründung, ich sei ihm untreu geworden«, fuhr sie in verächtlichem Tone fort, »will er von meinem Vermögen Vorteil ziehen!«
Wronski hörte mit Vergnügen das lustige Geplapper der hübschen Frau an, sagte ihr Schmeicheleien, gab ihr halb scherzhafte Ratschläge und nahm überhaupt sofort den Ton an, der ihm im Verkehr mit derartigen Damen geläufig war. Nach den Begriffen der Gesellschaft, die in Petersburg seinen Umgangskreis bildete,